Drama | Frankreich/Schweiz 2017 | 129 Minuten

Regie: Xavier Beauvois

1915 müssen fast alle Männer eines französischen Dorfes in den Ersten Weltkrieg ziehen, während die Frauen allein zurückbleiben. Auf einem der Höfe wird eine junge Waise eingestellt, die durch ihre Tüchtigkeit bald zur Familie dazugehört und mit einem der Söhne zusammenkommt, als dieser Heimaturlaub erhält. Doch als er wieder in den Krieg muss, verliert sie ihre Stelle. Eine ruhig entwickelte Literaturadaption, die im mühevollen Einsatz der Bäuerinnen den eigentlich lohnenden Kampf ausmacht und den Krieg als Inbegriff der Sinnlosigkeit darstellt. Das subtile, ganz dem Fluss der Landarbeit untergeordnete Drama besticht durch Konzentration, Einfühlsamkeit und hervorragende Darstellerinnen. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LES GARDIENNES
Produktionsland
Frankreich/Schweiz
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Les Films du Worso/Pathé/France 3 Cinéma/Versus Prod./Rita Prod./Orange Studio/KNM/RTS
Regie
Xavier Beauvois
Buch
Xavier Beauvois · Frédérique Moreau · Marie-Julie Maille
Kamera
Caroline Champetier
Musik
Michel Legrand
Schnitt
Marie-Julie Maille
Darsteller
Nathalie Baye (Hortense Sandrail) · Laura Smet (Solange) · Iris Bry (Francine Riant) · Cyril Descours (Georges Sandrail) · Gilbert Bonneau (Henri Sandrail)
Länge
129 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Historienfilm | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb

Subtiles Drama über die Frauen eines französischen Dorfs, die während des Ersten Weltkriegs das Arbeitspensum ihrer einberufenen Männer mitübernehmen müssen.

Diskussion

Wahrscheinlich fällt Stille nie mehr auf als in Kriegszeiten. In einem Dorf im Westen Frankreichs hört man im Jahre 1915 nur die Vögel ab und an kreischen. Der „große Krieg“ mit Geschützfeuer, Explosionen, Gasangriffen und dem Leid der Soldaten findet weit entfernt im Osten des Landes statt; niemand im Dorf kann sich das so richtig vorstellen. Vereinzelt dringen zwar Nachrichten auch hierher, und bei Heimatbesuchen versichert man einander routiniert: „Wir werden siegen.“ Im Allgemeinen aber hält man sich mit nationalistischen Tönen zurück, merkt man doch allerorten, welchen Preis der Krieg fordert.

Das Schreckensbild in „Die Wächterinnen“ sind ältere, schwarz gekleidete Männer, die in den Häusern auftauchen und verlegen ihre Hüte in den Händen drehen, im Wissen, dass ihre Mitteilung Trauer und Verzweiflung auslöst. Wenn bei Gedenkgottesdiensten für die getöteten Söhne des Ortes vom „Feld der Ehre“ die Rede ist, auf dem diese gestorben seien, muss das in den bäuerlichen Ohren besonders höhnisch klingen. Schließlich weiß niemand besser als sie, dass es nicht der Tod ist, der auf Feldern gedeihen sollte.

Der Krieg im Kopf

Im französischen Kino besitzt der Erste Weltkrieg auch nach einem Jahrhundert weiterhin das Potenzial für eindrückliche Erzählungen und generelle Fragen nach Sinn und Unsinn von Kriegen. Das Gedenken zum Jubiläum hat einen weiteren Schwung neuer filmischer Auseinandersetzungen mit dem Ersten Weltkrieg hervorgebracht, unter denen „Die Wächterinnen“ schon durch die nahezu gänzliche Aussparung der Kämpfe hervorsticht. Das Grauen des Stellungskriegs und die damals neuen Kriegspraktiken mit Bomben und Gas sind in dem Film von Xavier Beauvois nur in Form bebilderter Albträume präsent, als Heimsuchung der Soldaten, die sich auch während des Fronturlaubs nicht aus dem Bewusstsein verbannen lassen.

Wichtiger ist Beauvois aber der Kampf, den die Menschen im Dorf auszufechten haben, weniger die älteren und kriegsversehrten Männer als vielmehr die Frauen. In der Familie Sandrail sind es Mutter Hortense und ihre Tochter Solange, die neben ihrer normalen Hofarbeit auch noch die ihrer Söhne Constant und Georges sowie von Solanges Mann Clovis schultern müssen, seitdem alle drei eingezogen wurden. Die ersten beiden Kriegsjahre können sie sich einigermaßen behelfen, doch dann hält die gealterte Hortense den Belastungen immer weniger stand. Sie sucht nach Hilfe und findet sie in dem zwanzigjährigen Waisenmädchen Francine, das tüchtig mitanpackt und bald zur Familie dazugehört.

Unterdrückte Trauer, Sorge und Not

Aus der geplanten Anstellung für die Erntezeit wird eine Aufnahme auf Dauer, und als bei einem Heimaturlaub Georges und Francine sich ineinander verlieben, scheint auch in dieser Beziehung ihr Glück gemacht. Doch dann ereignen sich Dinge im Umfeld des Hofes, die Mutter Hortense um ihren Ruf im Dorf fürchten lassen; bei aller Anerkennung von Francines Verdiensten ist es in dieser Situation der Bruch mit der Außenstehenden, der eventuelle Gerüchte am leichtesten im Keim ersticken kann.

Angesichts dieser offensichtlichen Ungerechtigkeit begehrt selbst die sonst sehr zurückgenommene Francine einmal auf; es ist einer der wenigen lauten Gefühlsausbrüche in „Die Wächterinnen“. Die Menschen gestatten sich nur gelegentlich einen längeren Austausch untereinander; als die Sandrails vom Tod Constants und der Gefangenschaft von Clovis in Deutschland erfahren, fließen ihre Tränen nur dann, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Ihre Empfindungen sind dem Film aber alles andere als unwichtig, doch er zeigt, dass sie nicht die Oberhand gewinnen dürfen, da die Frauen sich bei der Arbeit keinen Ausfall leisten können.

Dem ländlichen Rhythmus untergeordnet

Die verschiedenen bäuerlichen Tätigkeiten auf dem Feld und im Haus beobachtet Beauvois mit hoher Aufmerksamkeit und lässt sie von der Kamerafrau Caroline Champetier in langen Fahrten einfangen: Pflügen, Säen und Ernten, Korn dreschen, Viehtreiben, Kühe melken, Holz hacken, Backen im Winter oder das Brennen von Schnaps werden mit großer Detailfreudigkeit vermerkt und nehmen einen großen Teil des Films ein.

Ähnlich wie in dem spirituellen Drama „Von Menschen und Göttern“, wo Xavier Beauvois sich ganz dem in sich ruhenden Rhythmus des klösterlichen Lebens überließ, ordnet er sich bei „Die Wächterinnen“ nun dem Fluss der Landarbeit unter. Die Konzentration der Kamera, die äußerst sparsam und dann sehr effektvoll eingesetzte Musik von Michel Legrand und die hochpräzisen Leistungen der Darstellerinnen Nathalie Baye, Laura Smet und Iris Bry als Hortense, Solange und Francine sind dabei maßgeblich, um einen außergewöhnlich leichten Anschluss an die damalige Zeit und Gesellschaft mit ihren Freuden und Beschwerlichkeiten zu finden. Die Strahlen der Sonne meint man dabei fast ebenso zu spüren wie das unfreundliche Herbstwetter oder die Winterkälte.

Die politischen Zusammenhänge oder Entwicklungen des Ersten Weltkriegs lässt Beauvois dabei außen vor; auch auf den Krieg blickt er nur über die Wahrnehmung der Bauernfiguren. Durch diese bewusst eingegrenzte Sicht tritt in dem leisen, subtilen Drama umso klarer hervor, was sich auch schon bei „Von Menschen und Göttern“ in Bezug auf den algerischen Bürgerkrieg während der 1990er-Jahre als Position abzeichnete: dass Krieg ein fundamentaler Widerspruch zu allem ist, was ein sinnvolles Leben ausmacht. Was aber nicht heißt, dass „Die Wächterinnen“ nicht auch vorführen würde, wie in dieser Zeit die Weichen für einen nicht mehr rückgängig zu machenden Fortschritt gestellt werden: Die fehlende Arbeitskraft der Männer befördert die Bereitschaft, moderne Landmaschinen anzuschaffen. Und die jungen Frauen nutzen die Gunst der Stunde, um sich von traditionalistischen Zuschreibungen zu lösen und von der Abhängigkeit von Männern zu emanzipieren.

Die Gunst der Stunde

Ohne ein idealisiertes Bild des Dorflebens zu zeichnen, bricht „Die Wächterinnen“ überdies mit dem Klischee der rückständigen oder gar bösartigen Provinz, die für den Ausbruch aus Traditionen nur die Bestrafung kennt. Auch wenn es Streit und Rückschläge gibt, steht hier nie in Frage, dass Lösungen gesucht und oft auch gefunden werden.

Kommentar verfassen

Kommentieren