Spree - Alles für die Klicks

Psychothriller | USA 2020 | 89 Minuten

Regie: Eugene Kotlyarenko

Ein Jugendlicher träumt erfolglos von einer Karriere als Online-Influencer. In seiner Verzweiflung überlegt er sich eine neue Challenge, um endlich die Aufmerksamkeit auf seine Internet-Kanäle zu ziehen, und überschreitet dabei auf drastische Weise moralische Grenzen. In makaber-überspitzter Form und mit kreativer Kameraarbeit rechnet der Film mit Auswüchsen im Kampf um Social-Media-Popularität ab und zeichnet die zunehmende Radikalisierung eines aufmerksamkeitsbedürftigen Jedermanns nach. Dabei liefert der Film gekonnt Thriller-Spannung, ohne jedoch tiefer auf die realen Problemstellungen einzugehen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SPREE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Dreamcrew/Forest Hill Ent./SuperBloom Films/Spacemaker Prod.
Regie
Eugene Kotlyarenko
Buch
Eugene Kotlyarenko · Gene McHugh
Kamera
Jeff Leeds Cohn
Musik
James Ferraro · Maison Ware
Schnitt
Benjamin Moses Smith
Darsteller
Joe Keery (Kurt Kunkle) · Sasheer Zamata (Jessie Adams) · David Arquette (Kris Kunkle) · Kyle Mooney (Miles Manderville) · Mischa Barton (London Sachs)
Länge
89 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Psychothriller
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Tiberius (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt., dts engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Tiberius (16:9, 1.78:1, dts-HDMA engl./dt.)
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Psychothriller um einen erfolglosen Influencer, der seinen Nebenjob als Ridesharing-Fahrer ausnutzt und nichtsahnende Mitfahrer in eine tödliche Challenge einbindet.

Diskussion

Viele liebäugelten schon mal mit dem Gedanken, eine Zukunft als Schauspielerin, Musiker oder Model einzuschlagen. Doch nur ein Bruchteil schafft auch den Karrieresprung, wovon wiederum nur ein winziger Anteil tatsächlich Erfolg hat. Doch die Hürden für angehende Sternchen scheinen heutzutage, wo der Weg zu Bekanntheit nicht mehr notgedrungen von Agenturen, Castings, Produzenten, den Medien etc. reguliert wird, niedriger als früher: In der Regel reichen bereits ein Smartphone und eine Internetverbindung, um potenziell Massen zu erreichen, wenn man nur ein Händchen für das hat, was bei den Milliarden von Social-Media-Nutzern zieht, die sich täglich via Youtube und Co. mit Inhalten versorgen. Es ist also kein Wunder, dass immer mehr Jugendliche von einer Karriere als Influencer träumen. Eugene Kotlyarenko zeigt in seinem Psychothriller „Spree“ die Kehrseite dieses Traums – und wie weit ein verzweifelter Influencer für seine fünf Minuten Ruhm gehen würde.

Kurt Kunkle (Joe Keery) ist ein Jedermann. Der schlaksige Junge lebt mit seinen Eltern in einem einfachen Einfamilienhaus, der Vater schlägt sich als zweitklassiger DJ in Striplokalen durch. Doch Kurt verachtet seinen erfolglosen Erzeuger und strebt eine bessere Zukunft an. Hierfür versucht er sich als Influencer, der von Online-Challenges bis Fortnite-Gaming jedem Trend hinterherrennt. Der Erfolg bleibt jedoch aus, seine erhofften Community-Zuwächse stagnieren. Aber Kurt gibt nicht auf und klügelt mithilfe seines Ridesharing-Nebenjobs und einem Auto voller Kameras eine neuartige Challenge aus, um dem digitalen Niemandsland zu entkommen.

Die Sucht nach Aufmerksamkeit

Kurts Gesicht kommt der Kameralinse so nahe, dass der Zuschauer jedes flaumige Haar auf seiner Oberlippe zählen kann. Doch genau solche Ultranahaufnahmen sind das tägliche Brot von sogenannten „Digital Creators“, weshalb sich nur Internetabstinenzler über die direkte Ansprache wundern dürften. Und so lernen wir Kurts Leben in einer Collage seiner digitalen Gehversuche kennen. Seine bisherigen Lebensstationen zeichnet er mit einfachen Markerstrichen auf einem Whiteboard, während er von seinem drögen Schulalltag und dem Job seines Vaters erzählt. Regisseur Eugene Kotlyarenko erzählt durch Methoden typischen Influencer-Storytellings die Geschichte eines jungen Mannes, der immer noch vom großen Starruhm über Nacht träumt. Kurts Motivation rührt neben der allgegenwärtigen Dauerstimulation durch Soziale Medien insbesondere von seinem ehemaligen Schützling Bobby, der sich trotz seines jüngeren Alters bereits einen beachtlichen Followerstamm aufbauen konnte. Er als Bobbys ehemaliger Babysitter will das nicht akzeptieren und seine jahrelangen Mühen auch endlich belohnt sehen. So entsteht Kurts Idee von #DieLektion, einer kryptisch verpackten Live-Challenge mit weitreichenden Folgen.

Der Film nimmt sich ausführlich Zeit, die Motive und Denkmuster seines Protagonisten zu verdeutlichen. Kurts penetranter Drang nach Aufmerksamkeit rührt aus juvenilem Neid und dem Aufbegehren gegen das väterliche Vorbild, was zwar wenig subtil, aber effizient die Geschichte vorantreibt. So offenbart sich nach und nach die tödliche Dimension seiner vermeintlich harmlosen Challenge, die mit präparierten Wasserflaschen in seinem Spree-Auto beginnt. Seine Mitfahrer, allesamt unsympathische Zeitgenossen, fallen nach einem beiläufigen Schluck und anschließendem Hustenanfall in Ohnmacht. Was Kurt mit ihnen anstellt und welche Lektion er ihnen erteilen will, bleibt zunächst im Dunkeln. Erst während einer Chatdiskussion mit Bobby lässt Kurt beiläufig fallen, dass er die Mitfahrer umgebracht hat.

Das Überschreiten der Grenze

Allein diese distanzierten und unreflektierten Mordgeständnisse während eines weltweiten Livestreams lassen Kurts innerliche Verkümmerung erahnen. Moralische Grenzen scheint er bereits lange vor dem Start des Livestreams überschritten zu haben, weshalb die tatsächlichen Morde und die Entsorgung der toten Körper ihm keinerlei reumütige Reaktion mehr entlockt. Zusätzlich steigert sich Kurt immer weiter in sein Projekt hinein und greift nach jedem so schmalen Strohhalm, auch wenn er für diesen über weitere Leichen gehen muss. So sucht er zunehmend nach anderen Influencern, deren Follower er nach deren Beseitigung einfach seinen eigenen hinzufügen kann. Joe Keery verkörpert diese mehr und mehr ins Psychopathische driftende Entwicklung eindringlich. Der aufdringliche Junge mit der „Follow me, follow you“-Attitüde wird nach und nach zur tragischen Figur, der der Sinn für die Realität längst abhandengekommen ist und deren vermeintlicher Lausbubenstreich immer mehr radikale Denkansätze offenbart. Eine Umkehr scheint ausgeschlossen.

Kotlyarenko zeigt so in überspitzter Genre-Form, aber mit gutem Gespür für echte Problemstellungen auf, welch gefährlichen Dynamiken sich heranwachsende Influencer:innen in ihrer digitalen Isolation meist selbstständig stellen müssen. Die Verlockung zu Grenzüberschreitungen, die Gefahr der moralischen Verrohung zugunsten von belohnenden Abonnentenzahlen und Likes, die ähnlich dem Suchtverhalten eines Drogenabhängigen funktioniert, wird pointiert-makaber herausgearbeitet.

Eine tiefgehende Analyse von Kurts Ängsten und Beweggründen oder das Aufzeigen von Bewältigungsansätzen vermeidet der Regisseur jedoch; obwohl wir Kurt auf Schritt und Tritt über diverse Handykameras und Überwachungsbilder folgen, fällt es schwer, eine emotionale Bindung zu der Figur zu entwickeln. So fällt etwa der Auftritt von David Arquette als Kurts pseudocooler Vater der erzählerischen Distanz, die die Inszenierung zur Hauptfigur wahrt, zum Opfer: auf die Untiefen dieser Vater-Sohn-Beziehung lässt sich der Film nicht ein. Und auch die Schockwirkungen der Morde verpuffen oft zu kurzweiligen Thrills, obwohl diese nicht an gewalttätiger Wucht und Blut sparen.

Kreative Kameraarbeit

Spannend bleibt „Spree“ trotzdem dank der kreativen Kameraarbeit von Jeff Leeds Cohn, der durch die ständigen Endgerätwechsel dem Found-Footage-Stil einige spannende Facetten hinzufügt. Beeindruckend wirkt dies insbesondere in ruhigen Momenten, wenn Kurt etwa aufgesetzt freundlich in das Fahrzeug eines anderen Ridesharing-Fahrers einsteigt und eine Fahrt bucht. Dass ihm dieses Auto zum Verhängnis werden soll, ahnt er nicht. Es scheint ihm jedoch auch egal. Denn schlussendlich hat er sie erreicht: seine fünf Minuten Ruhm.

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