Dokumentarfilm | Schweiz 2022 | 96 Minuten

Regie: Susanne Regina Meures

Mehrere Jahre lang folgt der Dokumentarfilm einer jungen Berliner Influencerin, die mit viel Arbeitsaufwand und der Unterstützung ihrer Eltern ihre Reichweite vergrößern will. Angetrieben von Leistungsdruck und Existenzängsten arbeitet die Familie bis zur Erschöpfung am sozialen Aufstieg. Der Film gewährt interessante Einblicke in den Alltag des Trios, greift auf märchenhafte Stilisierungen zurück und weist auf die Gefahren von übertriebenem Fankult und Kommerzialisierung hin. Allerdings bleibt die Perspektive durchgängig distanziert, didaktisch und von gängigen Vorurteilen geprägt; die Faszination der Influencerin auf ihre Follower wird nicht weiter ergründet. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
GIRL GANG
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Christian Frei Filmprod.
Regie
Susanne Regina Meures
Buch
Susanne Regina Meures
Kamera
Susanne Regina Meures
Schnitt
Katja Dringenberg
Länge
96 Minuten
Kinostart
20.10.2022
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Über mehrere Jahre hinweg entstandene Doku über eine junge Berliner Influencerin und ihren gemeinsamen mit ihren Eltern betriebenen Channel.

Diskussion

Die aufgewühlten Mädchen wirken, als wären sie in diesem Moment zu allem bereit. Einige von ihnen zittern und lächeln glückselig, andere weinen vor Überforderung. Worauf sich diese Erregung bezieht, lässt Susanne Regina Meures in ihrem Dokumentarfilm „Girl Gang“ zunächst im Unklaren. Erst nach einer Weile taucht man in den Alltag der 14-jährigen Berliner Influencerin Leonie Balys ein. Durch die klare filmische Trennung zwischen dem Star und seinen Fans stellt der Film aber schon zu Beginn klar, dass die Nähe und Verbundenheit zwischen beiden Sphären nur eine Illusion ist.

Über mehrere Jahre hat Meures die Influencerin mit der Kamera begleitet und hinter die Kulissen geblickt. Die kurzen Videos, mit denen Balys auf Instagram mittlerweile 1,6 Millionen Follower unterhält, spielen dabei nur eine sehr untergeordnete Rolle. „Girl Gang“ rückt vielmehr den Arbeitsaufwand und die Inszenierung der scheinbar spontanen, scheinbar alltäglichen Clips ins Zentrum. Make-Up und Klamotten müssen ebenso stimmen wie Filter, Lichtsetzung und der perfekte Zeitpunkt, um einen Post zu veröffentlichen.

Im Takt eines Familienunternehmens

Leonie Balys’ Channel ist dabei längst zum Familienunternehmen geworden. Vater Andy und Mutter Sani weichen ihrer Tochter nur selten von der Seite. Das Leben der Eltern ist einzig auf die Unterstützung der Jugendlichen ausgerichtet. Das bringt sie mit Leonies steigender Berühmtheit auch in die undankbare Position, das Mädchen durch einen immer dichteren Wochenplan zu zwängen. Hinter den zunächst noch liebevollen Zickereien zwischen Vater und Tochter tritt immer stärker die Anspannung hervor. Leistungsdruck, Hasskommentare und ein Stalker führen zu ständigem Streit. Durch die Inszenierung von Vertrautheit scheint alles Private von der Arbeit aufgefressen zu sein.

Irgendwann wirkt es, als würde sich die Familie in einem unaufhaltbaren Hamsterrad befinden. Innere Monologe, die auf der Tonspur immer wieder eingeblendet werden, sollen offenbaren, was hinter der Fassade steckt: Einsamkeit, Stress und Erschöpfung. Die Eltern, die durchaus auch vom Ruhm ihrer Tochter profitieren, treibt vor allem Existenzangst an. Im Pool, der gerade neu in den Garten der Familie eingelassen wurde, würde sich die Mutter am liebsten einfach mal nur entspannen. Doch bei dieser Aufstiegsgeschichte ist für Ruhe keine Zeit.

Meures rahmt den Film mit einer märchenhaften Erzählung, in der Smartphones schwarze Zauberspiegel sind. Dieser etwas bemühte Kniff soll vermutlich für die fantastischen Glücksversprechen der virtuellen Welt stehen. Ansonsten geht „Girl Gang“ aber betont auf Distanz. Wenn Leonie etwa eines ihrer Videos aufnimmt, sieht man sie meist nur aus der Entfernung herumhampeln, während Choräle und dissonante Klangflächen dem Schauspiel etwas Erhabenes, aber auch Unheilvolles und Trauriges verleihen.

Zwischen Kommerz, Manipulation und Spiel

Auch sonst versucht der Film immer mal wieder, seine Beobachtungen zu einer bestimmten Interpretation hinzubiegen. Etwa wenn er sich einer ergebenen Followerin widmet, die für Leonie einen Fan-Account angelegt hat und eine besorgniserregende Besessenheit für ihr Idol entwickelt. Wie schnell diese ungesunde Vergötterung in Angst und Verzweiflung umschlagen kann, geht zweifellos nahe. „Girl Gang“ zwängt seine Protagonistin auf Dauer aber doch in eine etwas altbackene, medienkritische Erzählung. Nachdem man erfahren hat, dass die Bewunderin keine Freunde hat, wird sie nach einem Zeitsprung gezeigt, wie sie Leonie den Rücken gekehrt und ihr Glück endlich doch in einer leibhaftigen Freundschaft gefunden hat.

Die Probleme, die „Girl Gang“ behandelt, sind nicht von der Hand zu weisen. Gerade im Hinblick auf große Konzerne, die Influencer erfolgreich nutzen, um die Kaufkraft derer meist minderjährigen Follower zu mobilisieren. Ein lukrativer Werbe-Job wird dabei als freundschaftlicher Rat verkauft. Was bei „Girl Gang“ jedoch etwas aufstößt, ist die Gewichtung. Die wenigen professionellen Aufnahmen von Leonie, die in „Girl Gang“ auftauchen, sind fast alle etwas unbeholfene Versuche, ein Produkt spontan und authentisch zu präsentieren. Sie stützen das Bild einer leeren, materialistischen Welt, das im Film immer wieder heraufbeschworen wird.

Besucht man jedoch einmal Leonies Instagram-Profil, stellt man schnell fest, dass solche Werbeaktionen zwischen Modefotos, Alltagsweisheiten, Schmink-Experimenten und Interaktionen mit der Followerschaft nur einen Teil ausmachen. Ein anderer Mangel von „Girl Gang“ besteht darin, dass er keinerlei Interesse für die Frage entwickelt, warum so viele Menschen der Protagonistin folgen. Statt näher zu ergründen, was das Faszinierende an Leonies Internetauftritt sein könnte, verharrt „Girl Gang“ genügsam in der Perspektive eines verständnislosen Erwachsenen.

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