Das Recht der Stärkeren (2022)

Drama | Deutschland 2022 | 103 Minuten

Regie: Sebastian Peterson

Eine 18-Jährige rebelliert gegen ihre Arbeit in einer Behindertenwerkstatt und ihren alleinerziehenden Vater und reagiert sich auf ihrem Videoblog und in den Sozialen Medien ab, indem sie teilt und kommentiert, was Aufmerksamkeit erzeugt. Dadurch gerät sie in den Fokus der rechtsradikalen Szene und freundet sich immer mehr mit deren jungen Parteigängern an. Das Drama über eine Radikalisierung setzt mit einem Terroranschlag ein und erzählt seine Geschichte als Rückblick über die Videos der jungen Hauptfigur. Diese ist mit Mut zur Vielschichtigkeit angelegt und verleiht dem Film eine Intensität, die ihn trotz einiger weniger gelungener inhaltlicher Ideen interessant und diskussionswürdig macht. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Faktor Filmproduktion
Regie
Sebastian Peterson
Buch
Sebastian Peterson
Kamera
Sebastian Peterson
Musik
Andreas Dopp
Schnitt
Sebastian Peterson
Darsteller
Irina Usova (Jana) · Jenny Löffler (Helene) · Tim Riedel (Marvin) · Wilfried Wieland Pucher (Dr. Kaltenbach) · Fabian Stumm (Dennis, Janas Vater)
Länge
103 Minuten
Kinostart
20.04.2023
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Formal bemerkenswertes Drama über die Radikalisierung einer 18-Jährigen, die in den Fokus der rechtsradikalen Szene gerät und ihre Erfahrungen auf ihrem Videoblog teilt.

Diskussion

Eigentlich soll Jana in einer Behindertenwerkstatt arbeiten, aber das macht ihr keinen Spaß. Stattdessen sitzt sie den ganzen Tag am Computer oder am Handy, nimmt ihre Vlog-Posts auf und surft im Internet. Mit ihren 18 Jahren beherrscht Jana perfekt die Klaviatur der Sozialen Medien: Sie verfügt über mehrere Fake-Accounts auf unterschiedlichen Portalen, sorgt ständig für Traffic, sammelt Likes und Follower und gibt zu allem ihren Senf dazu. Notfalls, indem sie einfach zwei Superlative und drei Ausrufezeichen bei fremden Postings ergänzt und sie weiterverbreitet. Wenn ihr selbst nichts als Kommentar einfällt, dann muss Obi-Wan Kenobi ran, den sie gern zitiert. Die wolkigen Sprüche von Licht und Dunkelheit, Gut und Böse kommen gut an, die Zahl der Follower steigt stetig.

Auf diese Weise gerät Jana in den Fokus der rechtsradikalen Szene und findet Kontakt zu einer Gruppe, die sich „Freundeskreis“ nennt, angeführt von der charismatischen Helene. Bei den gemeinsamen Unternehmungen – ein Neonazi-Rockkonzert gehört ebenso dazu wie die Teilnahme an Demos – fühlt sich Jana endlich wohl. Hier hört ihr endlich mal einer zu und nimmt sie ernst. Ganz anders als bei der Arbeit oder zu Hause, wo sie um die Aufmerksamkeit ihres alleinerziehenden Vaters kämpfen muss, der gerade frisch verliebt ist, was Jana überhaupt nicht gefällt. Immer mehr freundet sich Jana mit den Jung-Nazis an, mit dem Gruppenmitglied Marvin scheint sich sogar eine Liebesbeziehung anzubahnen. Doch in Wahrheit wird Jana, ohne es zu ahnen, vom „Freundeskreis“ lediglich ausgenutzt.

Der Vlog ist der einzige Hinweis auf die Tatumstände

Der Film beginnt mit einer Explosion: Bei der Premiere eines israelischen Films geht vor einem Berliner Kino ein Auto in Flammen auf. Offensichtlich handelt es sich um einen Terroranschlag. Am Steuer des Fahrzeugs sitzt Jana, die mit ihrem Handy die Bombe auslöst und dabei ums Leben kommt. Den einzigen Hinweis auf die Tatumstände bietet Janas Vlog, bestehend aus kurzen täglichen Postings, über die sich ihre Geschichte nach und nach aufrollt.

Das ist die Vorgabe – im Grunde ein interessanter, spannender Ansatz, auch in formaler Hinsicht. Sebastian Peterson, der hier seinen dritten abendfüllenden Spielfilm nach „Helden wie wir“ (1999) und „Meier Müller Schmidt“ (2015) vorlegt, ist bereits ein recht erfahrener Filmemacher, der sich mit diesem Drama erstmals an ein brisantes, hochpolitisches Thema wagt, das in Form und Inhalt höchste Ansprüche an ihn stellt. Für die Produktion, die coronabedingt länger als anderthalb Jahre in Anspruch nahm, musste Peterson ohne Fördermittel auskommen – der Film entstand über eine Crowdfunding-Initiative. Vielleicht erklärt das, warum Peterson nicht nur das Drehbuch schrieb und Regie führte, sondern auch zusätzlich für Kamera und Schnitt verantwortlich zeichnet. Trotz der insgesamt sauberen Arbeit gibt es aber auch Irritationen, zum einen durch (vermutlich gestellte) Dokumentarbilder und zum anderen durch Kamerapositionen, in denen sich Jana nur schwer selbst gefilmt haben kann. So bleibt der Eindruck, dass der Film nicht durchgängig schlüssig und logisch durchdacht ist.

Eine desorientierte und haltlose junge Frau

Bei der Wahl seiner Hauptdarstellerin hatte Peterson großes Glück: Irina Usova ist eine Idealbesetzung für Jana. Obwohl schon Mitte zwanzig, wirkt sie deutlich jünger und verkörpert glaubhaft die 18-jährige Jana: eine desorientierte und haltlose junge Frau ohne Ziele. Dabei wechselt sie ganz beiläufig innerhalb von Sekunden die Stimmung, schafft mal hier eine Atmosphäre der Bedrohlichkeit, mal dort eine leicht destruktive, manchmal sogar fröhlich anarchistische Stimmung. Aber Irina Usovas größtes Verdienst ist es, diese vielschichtige und durchaus komplizierte Persönlichkeit sympathisch zu gestalten, auch wenn sie im Verlauf des Films etliche Dinge sagt und tut, die die Identifikation mit Jana naturgemäß erschweren.

Dass Jana allerdings selbst behindert ist, was sich erst im Verlauf des Films herausstellt und dann nicht weiter thematisiert wird, wirkt irritierend und wäre dramaturgisch nicht notwendig – zumal die genaue Form der Behinderung, vermutlich im neuropsychologischen Bereich, nicht benannt wird. Zu Beginn sieht es aus, als ob Jana als Praktikantin in der Behindertenwerkstatt tätig ist – das wäre ebenso glaubhaft. Dieser Aspekt könnte durch unerwünschte Assoziationen sogar kontraproduktiv wirken, so als ob behinderte Menschen besonders leicht beeinflussbar seien.

Gut recherchiert und formal beachtlich konsequent

Obwohl Sebastian Peterson offenbar gut recherchiert hat, um einen vielschichtigen, formal beachtlich konsequenten Film zu gestalten, der nicht nur die Strategie der rechten Terrornetzwerke thematisiert, sondern auch die Gefühlswelt und den Lifestyle junger Leute reflektiert, wirkt doch einiges plakativ. Gelegentlich werden Vorurteile bestätigt: Die Sozialen Medien werden zwar nicht direkt verteufelt, aber zumindest kritisch und als gefährlich dargestellt. Dass Jana ein schwieriges, extrem aggressives Kind war, das sich gern geprügelt hat, ist letztlich aber ebenso wenig relevant wie ihre Familienverhältnisse, die sie als kompliziert und schwierig betrachtet, obwohl sie das objektiv gesehen nicht sind, oder – siehe oben – ihre Behinderung. Einiges hört sich ein wenig nach Sozialpädagogen-Dramaturgie an und wäre eigentlich nicht nötig gewesen, um eine spannende Geschichte zu erzählen.

Warum die rechte Szene beziehungsweise extremistisches Gedankengut generell auf junge Menschen attraktiv wirkt, hängt vermutlich weder mit Behinderungen noch mit sozialen oder psychischen Defiziten zusammen, sondern eher mit der Suche nach Halt und Sinn sowie mit der Sehnsucht nach einer klar in Gut und Böse eingeteilten Welt. Wie perfide dies von den rechtsradikalen Netzwerken ausgenutzt wird, ist nicht neu, wird aber doch eher selten im Kino thematisiert. Insofern ist es durchaus zu loben, dass Sebastian Peterson eine ziemlich spannende Geschichte erzählt, die zwar keinen direkten Appellcharakter hat, aber durchweg zum Nachdenken anregt.

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