Kurzfilm | Deutschland 2023 | 30 Minuten

Regie: Bárbara Santos

Am Rande der großen Karnevalsumzüge in Rio de Janeiro wartet eine alleinerziehende Mutter in einer Favela auf die Rückkehr ihrer Tochter von der Schule. Doch statt ihr tauchen ein Polizist, ein Pfarrer und der Gouverneur auf, die im Rahmen einer Drogenrazzia selbstherrlich ihren Machismo feiern. Das nur 30-minütige Musical verhandelt soziale Spannung, strukturellen Rassismus und die vielen Tötungen durch die Polizei als theaterhaft-szenische Performance. Die ästhetische Stilisierung lässt die Konfrontation allerdings lehrstückhaft und mitunter auch etwas holzschnittartig wirken. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Schuldenberg Films/Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf
Regie
Bárbara Santos · João Pedro Prado
Buch
Bia Krieger · Bárbara Santos · João Pedro Prado
Kamera
Kleber Nascimento
Musik
Ole Wiedekamm
Schnitt
Anton Buzal
Darsteller
Uriara Maciel (Demétria) · Ronni Maciel (Polizist) · Jefferson Preto (Pfarrer) · João Eduardo Albertini (Gouverneur)
Länge
30 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Kurzfilm | Musical

Filmisches Kurzmusical über die sozialen Spannungen und den strukturellen Rassismus in Brasilien, die in den letzten Tagen des Karnevals aufbrechen.

Diskussion

Rhythmisch tackert der Druckknopf des Dampfkochtopfs mit den Bohnen auf dem Herd. Demétria (Uriara Marciel) fegt, bügelt, und trällert ein Lied zum Ende des Karnevals, während sie ihre Tochter aus der Schule zurückerwartet. Über dem Dach knattert ein Hubschrauber. „Ash Wednesday“ von João Pedro Prado und Bárbara Santos beginnt kurz vor einer weiteren Razzia der Polizei. In einer der Favelas von Rio de Janeiro bedrängen Polizisten die Anwohner:innen der Straße vor Demétrias Tür. Rappend machen sie klar, dass sie sich unterzuordnen haben. Einer von ihnen (Ronni Marciel) schiebt sich zu Demétria in die Wohnung. Zwischen den beiden entwickelt sich ein Streitgespräch über die Rolle der Polizei und ihr Auftreten in der Favela. Unterlegt von Trommeln fährt sie den Polizisten im Sprechgesang an: „Ihr gebt nicht mal zum Karneval Ruhe, ihr dringt in unsere Wohnungen ein, es gibt Schießereien und Leichen.“ Dann wird der Polizist per Funk zur Schule gerufen. Jener Schule, die auch Demétrias Tochter Cora besucht.

Während die Mutter für ihre Tochter betet, purzelt ein Priester (Jefferson Preto) durchs Fenster und bittet um Zuflucht. Da er nun einmal da ist, hofft Demétria, dass er die Polizei überredet und sie zu ihrer Tochter in die Schule darf; doch der Priester hat nur Beschwichtigung und evangelikale Phrasen für sie übrig. Er fordert sie sogar auf, die Polizei ihre Arbeit machen zu lassen. Statt ihr zu helfen, fragt er, warum sie nicht in die Kirche komme.

Ein kammerspielartiges Musical

„Ash Wednesday“ ist ein Musical-Kammerspiel. Das Streitgespräch zwischen Demétria und dem Polizisten gleicht einer Hip-Hop-Battle, Texte werden perkussiv unterlegt. Auch die Choreographien sind populären Videos entlehnt. Als die Polizisten den Gouverneur in die Favela begleiten, wirkt die Szene wie aus einem Musikvideo. Der Film spielt über weite Strecken im begrenzten Raum der Wohnung von Demétria und der Straße vor ihrer Tür. Nacheinander treten dort die lokalen Autoritäten auf.

Der nur 30-minütige Film zeigt das Auftreten der berüchtigten Polizei von Rio de Janeiro in den Favelas aus der Sicht von Müttern wie Demétria. Der Priester erweist sich in dieser Konfrontation als so wenig hilfreich wie der profilierungsbedürftige Gouverneur von Rio de Janeiro (João Eduardo Albertini), der sich als dritter in der Wohnung einfindet. Er klettert eine Strickleiter vom Hubschrauber herunter und nimmt Selfies von sich auf, ohne Demétria weiter zu beachten. Mit einem Mal ist die Wohnung voller Mütter, die den Gouverneur umkreisen und ihn damit konfrontieren, dass er ihre Kinder nicht schützt.

„Ash Wednesday“ greift das Phänomen der massenhaften Tötungen durch die Polizei in Rio de Janeiro auf. Allein 2019 wurden 1.814 Menschen von der Polizei erschossen; landesweit waren unter den Toten, die auf das Konto der Polizei gingen, im ersten Halbjahr 2020 fast 100 Kinder und Jugendliche. Als Demétria nach dem Streitgespräch mit dem Polizisten ihr Handy zückt, brechen unzählige Klagerufe der Mütter über sie herein, die sich um ihre Kinder sorgen.

Karneval der Macht

João Pedro Prado studiert Regie an der Filmuniversität Babelsberg und steht kurz vor dem Abschluss, Bárbara Santos arbeitet als Theatermacherin in der Tradition des Theaters der Unterdrückten. Als Schauspielerin war sie zuletzt als Filomena in „Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão“ von Karim Aïnouz zu sehen. „Ash Wednesday“ greift theatrale Inszenierungen auf, arbeitet mit reduzierten, bühnenhaften Räumen wie der Wohnung, der angedeuteten Straße und zeigt die Auftritte der Autoritäten wie in den Szenen einer Revue. Auch die Musik verbindet diese beiden Linien: Während die Songs von einem Team der Filmuniversität um Ole Wiedekamm komponiert wurden, stammt die Untermalung der Dialoge im Sprechgesang von Till Baumann, der als Musiker wie Santos ebenfalls eher aus dem Bereich des Theaters kommt.

In seiner überbordenden Inszenierung, dem Tanzen und Singen, und seiner Lust an der Stilisierung ist „Ash Wednesday“ ein beeindruckender Film. Diese Stärke ist jedoch auch seine größte Schwäche, weil es dem Film nicht gelingt, die Form in mehr als eine recht allgemein gehaltene Kritik zu übersetzen. Die Stilisierung der Figuren zu gesellschaftlichen Rollen lässt die Konfrontation lehrstückhaft wirken, ohne dass die Symbolik ein wirkliches Eigenleben entfaltet und über die holzschnitthafte Gegenüberstellung der Mutter mit der Macht hinausgehen würde. Am Ende feiern die Polizisten, der Priester und der Gouverneur zusammen Karneval, während bei den Müttern der Favela Aschermittwochsstimmung herrscht.

Doch auch wenn in „Ash Wednesday“ nicht alles ganz aufgeht, bleibt der Film ein ausgesprochen interessanter Versuch, die theatrale Tradition des Theaters der Unterdrückten in eine filmische Form zu integrieren, ohne dass der Film dadurch statisch würde.

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