Lars Eidinger - Sein oder Nichtsein

Dokumentarfilm | Deutschland 2022 | 92 Minuten

Regie: Reiner Holzemer

Der 1976 geborene Schauspieler Lars Eidinger ist seit einigen Jahren auch als Person in den Medien so omnipräsent, dass die Grenzen zwischen seinen Rollen, den oft provokativen Selbstinszenierungen und dem Menschen verschwimmen. Das dokumentarische Porträt umgeht diese Unschärfe, indem es Eidinger bei den Proben zum „Jedermann“ in Salzburg beobachtet und sich auf seine darstellerische Kunst und den Umgang mit anderen konzentriert. Der Privatmann bleibt außen vor, was nicht weiter ins Gewicht fällt, weil Eidingers Intensität und seine scheinbare Unmittelbarkeit auch ohne authentische Legitimation faszinieren. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Reiner Holzemer Film/arte/BR
Regie
Reiner Holzemer
Buch
Reiner Holzemer
Kamera
Reiner Holzemer
Musik
Max Rieger
Schnitt
Helmar Jungmann
Länge
92 Minuten
Kinostart
23.03.2023
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Dokumentarisches Porträt
Externe Links
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Heimkino

Die Extras enthalten u.a. ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen aus den Theaterstücken „Richard III“, „Jedermann“, „Hamlet“, „Baal“ und der Miniserie „Irma Vep“ (45 Min.).

Verleih DVD
Filmwelt (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
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Dokumentarisches Porträt des Schauspielers, das während der Proben zur „Jedermann“-Inszenierung 2021 in Salzburg entstanden ist.

Diskussion

Irgendwann in „Lars Eidinger – Sein oder Nichtsein“ bringt der Theaterregisseur Thomas Ostermeier das Unbehagen und die Neugier an Lars Eidinger gleichermaßen auf den Punkt: „Jaaa, wenn ich Lars nur aus den Medien kennen würde, dann …“ Dann wäre er nicht mehr an ihm interessiert? Andererseits gibt es dann ja wohl doch noch einen anderen Lars Eidinger als den „Eidinger“, der in Medien omnipräsent ist. Abgesehen von der „Sportschau“ und der „Sendung mit der Maus“ dürfte er, „der beste Schauspieler der Welt“ (Eidinger über Eidinger) sämtliche Formate durchlaufen haben: von „Durch die Nacht mit …“ über „Dislike“ bis hin zum „Tatort“. Und selbst das mit der „Sportschau“ ist nicht sicher, denn ein fanatisch ehrgeiziges Tennistalent war er ja auch – vor der Schauspielschule. Wie er gerne erzählt. Dort war er dann ja in einem Jahrgang mit Mark Waschke, Devid Striesow, Fritzi Haberlandt und Nina Hoss („die Klasse von ’99“) …

Man kennt diese und viele andere „Eidinger“-Geschichten schon: Die Geschichten von Marienfelde, von der „Autistic Disco“, der Designer-„Aldi“-Tüte, vom Nacktsein und der Penis-Größe, von den Würsten im Hintern und der Idee, den Monolog von Franz Moor nicht zu sprechen, sondern zu denken, von der Arbeit mit „Deichkind“. Alle wissen längst: Lars Eidinger kann spektakulär stürzen oder auf Kommando echte Tränen vergießen, was manchmal umwerfend toll ist, manchmal eher misstrauisch macht. Er hat Lederhosen im Schrank, „so kurze“ (Eidinger). Lars Eidinger war mal „big“ auf Instagram, fotografiert gerne und wird fotografiert (von Juergen Teller). Lars Eidinger macht sich Gedanken über öffentliche Auftritte seiner Kollegen in den Medien, über die Rolle des Künstlers und der Gesellschaft und sehr gerne auch darüber, was die Schauspielkunst ihm ganz persönlich ermöglicht, wie sehr er sich angreifbar macht und wie sehr ihn dann tatsächlich Angriffe verletzen. Er will doch geliebt werden.

Eidinger und „Eidinger“

Kurzum: Was immer man Lars Eidinger fragt, wird von ihm beantwortet. Und wahrscheinlich ehrlich. Oder kokett. Oder beides. Lars Eidinger ist unfassbar eitel und unglaublich unterhaltsam. Das sind eigentlich schlechte Karten, wenn man wie Reiner Holzemer ein dokumentarisches Porträt über ihn drehen will. Kommt man angesichts von Eidingers Medienpräsenz überhaupt an Lars Eidinger heran? Oder doch nur an „Lars Eidinger“? Gibt es überhaupt eine Differenz zwischen Eidinger und „Eidinger“?

Holzemer geht dieses Problem recht pragmatisch an, indem er Eidinger 2021 bei seiner Arbeit an „Eidinger“ während der Inszenierung des „Jedermann“ in Salzburg porträtiert. Das bedeutet: Es ist zumindest ansatzweise zu sehen, wie sich der Schauspieler eine Rolle erarbeitet, wie er einen Körper für die Rolle entwirft, wie ihm die Wahl der passenden Schuhe dabei hilft. Es ist zu sehen, dass der Schauspieler auch bei Proben auf ungeteilter Aufmerksamkeit besteht und gegenüber dem Regisseur in Kinski-Manier ausfällig wird, wofür er sich später beim Ensemble entschuldigt. Unter „Tränen“.

Es ist durchaus faszinierend, wenn man beobachtet, wie der Schauspieler mittels des ihm zur Verfügung stehenden Instrumentariums und seiner Techniken eine Intensität zu erarbeiten versteht, die spürbar in Bann schlägt. So wird man Zeuge, wenn der Schauspieler bei der Pressearbeit für den „Jedermann“ seine „Buhlschaft“-Kollegin Verena Altenberger bittet, sich beim Fotoshooting doch bitte anders zu positionieren, damit sein vorteilhaftes linkes Profil mehr zur Geltung kommt. Natürlich formuliert Eidinger diese Bitte doppelbödig mit einer Prise Ironie – und Holzemer kontert das, indem er diesem Wunsch fortan selbst nachkommt. Das ist ebenso spannend wie Altenbergers Souveränität oder der grenzenlose Respekt des Schauspielers vor der raumgreifenden, aber stillen Präsenz von Edith Clever. Oder ist diese Geste des Respekts auch nur ein weiterer Schachzug seitens „Eidingers“ oder des Filmemachers, um für die Wohltemperiertheit des Filmporträts zu sorgen?

Was zu verkraften wäre

Flankiert wird das Ganze durch ein paar Respektsbekundungen von Kolleg:innen wie Isabelle Huppert, Angela Winkler oder Thomas Ostermeier, etwas Archivmaterial von gefeierten Inszenierungen mit Eidinger („Hamlet“, „Richard III“) und ein paar randständigen Hinweisen auf die Filmarbeiten des Schauspielers, die ihm auch jenseits der Bühne international Anerkennung verschafft haben. Selbst bei Kurzauftritten und Nebenrollen. Eidinger selbst hält mit gutem Grund seine Leistung in „Alle anderen“ von Maren Ade für seine bislang wichtigste Rolle.

Ausgespart bleibt der „private“ Lars Eidinger, so es ihn denn überhaupt gibt. Auffällig auch seine Marotte, sich Figuren über Momente von körperlicher Behinderung zu erarbeiten, was dazu passt, dass Eidinger selbst gerne tabulos auf seine eigenen körperlichen Defizite zu sprechen kommt. Bis zum Schluss bleibt auch ungeklärt, in welcher Hinsicht „Eidinger“ seine Aktion mit der Designer-„Aldi“-Tüte vorm Obdachlosenheim, die auf teils heftige Kritik feststoßen ist, als Missverständnis empfunden hat. Hier wäre angesichts der offenbar noch immer nachwirkenden Verletztheit ein klärendes Wort denkbar gewesen. Doch „Eidinger“ belässt es beim raunenden Hinweis, wieder mal gründlich missverstanden worden zu sein.

Die Pose des Provokateurs gefällt eben, weil sie den Nimbus der Bedeutsamkeit verleiht, die den Popstar-Status von „Eidinger“ befeuern hilft. Könnte also durchaus sein, dass die Suche nach dem realen Eidinger hinter dem „Eidinger“ ins Leere läuft. Was zu verkraften wäre, weil „Eidinger“ derart faszinierend ist, dass dies hinreicht. Selbst, wenn man alles in Anführungszeichen setzen muss, was für einen Schauspieler ja eigentlich das größte Kompliment ist.

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