Señorita 89
Drama | Chile/Spanien 2022 | 360 (8 Folgen) Minuten
Regie: Lucía Puenzo
Filmdaten
- Originaltitel
- SEÑORITA 89
- Produktionsland
- Chile/Spanien
- Produktionsjahr
- 2022
- Regie
- Lucía Puenzo · Jimena Montemayor · Nicolás Puenzo · Silvia Quer · Luis Puenzo
- Buch
- Mará Renée Prudencio
- Musik
- Andrés Goldstein · Daniel Tarrab
- Darsteller
- Ximena Romo (Elena) · Ilse Salas (Concepción) · Bárbara López („Miss Guerrero“ Dolores) · Leidi Gutiérrez ("Miss Chihuahua" Jocelyn) · Natasha Dupeyrón ("Miss Yucatan" Isabel)
- Länge
- 360 (8 Folgen) Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama | Serie | Thriller
Heimkino
Krimiserie rund um einen mexikanischen Schönheitswettbewerb, hinter dessen glanzvoller Fassade sich sinistre Geschäfte verbergen.
Sie sind Prinzessinnen, und eine von ihnen soll demnächst zur Königin gekrönt werden. Die jungen Frauen, die in einem luxuriösen Anwesen im Wald ankommen, sind in ihrem jeweiligen Bundesstaat bereits zur schönsten Frau gekürt worden; jetzt konkurrieren sie um die Krone der „Señorita Méxiko“. Im Jahres 1989, in dem die Serie von Showrunnerin Lucía Puenzo spielt, ist das in Mexiko eine große Sache: Der „Señorita Méxiko“-Wettbewerb ist ein Fernsehevent mit phänomenalen Eischaltquoten und qualifiziert die Siegerinnen für die Teilnahme an der „Miss World“- und „Miss Universum“-Wahl. Eine märchenhafte Chance für Mädchen, von denen die meisten aus Verhältnissen kommen, in denen sich Frauen sonst kaum Perspektiven bieten. Oder?
Verquere Schönheitsideale und handfester Missbrauch
Die junge Kulturwissenschaftlerin Elena (Ximena Romo), die von den Veranstaltern angeheuert wurde, um den Kandidatinnen einen gewissen Bildungsschliff in Sachen verbale Selbstdarstellung zu geben, hat da so ihre Zweifel. Sie sieht ihren Lehrauftrag auf dem „La Encantada“-Anwesen, wo die Mädchen auf die Misswahl vorbereitet werden, als Forschungsprojekt rund um Schönheit als kulturelles Konstrukt – und sie will wissen, warum sich Frauen freiwillig in die Mühlen einer Unterhaltungsindustrie begeben, die der sie konsumiert und dann wieder ausgespuckt werden.
Elena fungiert in der achtteiligen Serie als Erzählerin und Kommentatorin. Früh macht sie klar, dass es sich um ein Märchen mit düsterer Schlagseite handelt. Schon in der Rahmenhandlung sieht man, wie eine der Kandidatinnen bei der Party am Vorabend der Misswahl durch einen mysteriösen Sturz vom Dach ums Leben kommt. Die einzelnen Folgen, die nach unterschiedlichen Frauenfiguren benannt sind, aber immer die Gruppe im Blick haben, rollen dann peu à peu die Hintergründe dieses Todes und die hässliche Realität hinter der Fassade des Wettbewerbs auf.
Dabei geht es nicht nur um verquere Schönheitsideale, sondern um ganz handfesten Missbrauch. Die jungen Frauen geben mit ihrer Ankunft auf La Encantada mehr oder minder das Recht an ihrem Körper ab; die Kommunikation mit der Außenwelt wird verboten. Angesichts der abgelegenen Lage der Nobelfinca sind sie regelrechte Gefangene unter dem Regiment der Veranstalterin Conception (Ilse Salas) und ihres Ehemannes (Marcelo Alonso). Der entpuppt sich als eine Art Schmalspurversion von Dr. Moreau, und La Encantada als seine Insel, wo er an den Körpern der Kandidatinnen – legitimiert durch deren Unterschrift auf einem Knebelvertrag – seinen Vorstellungen von der perfekten Frau nacheifert und „Korrekturen“ vornimmt.
Der Arzt ist allerdings keineswegs das Schlimmste, mit es die Mädchen zu tun bekommen. Denn die Show um die Schönheit ist nur der Köder für ein ganz anderes, schmierig-brutales Geschäft, mit dem der Strippenzieher im Hintergrund, Conceptions Bruder Raoul (Juan Manuel Bernal), zu einem der einflussreichsten Männer Mexikos geworden ist.
Ein Netzwerk aus Geld, Gewalt und Einfluss
Doch dann kommt es zu einem gewaltsamen Vorfall und einem Akt weiblichen Widerstands, der den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung aus der Spur bringt und dafür sorgt, dass Köpfe rollen müssen. In den Fall verwickelt sind die abgeklärte, mit einem Drogenproblem kämpfende „Miss Guerrero“ Dolores (Bárbara Lopéz), die schon von Kindesbeinen an in Schönheitswettbewerben auftrat, „Miss Chihuahua“ Jocelyn (Leidi Gutiérrez), die vor ihrer Kandidatur in einer Textilfabrik in Nordmexiko schuftete, und die indigene „Miss Oaxaca“ Angeles (Coty Camacho) – sowie Elena. Zunächst versucht das Quartett zu vertuschen, was in jener Nacht passiert ist. Doch als sich die Ereignisse immer mehr zuspitzen, müssen sie sich aus der Defensive wagen und versuchen, an die Öffentlichkeit zu gelangen. Und wo ließe sich das besser bewerkstelligen als im Rahmen der Ernennung von „Señorita Méxiko“?
„Señorita89“ ist eine Produktion von Fabula, der Produktionsfirma des chilenischen Filmemachers Pablo Larraín. Sie passt bestens zu Larrains Interessen rund um ikonisierte Frauenfiguren („Spencer“, „Jackie“), das Sich-Abarbeiten an Genderrollen („Ema“) und strukturelle Misogynie in Lateinamerika. Ähnlich wie in der chilenischen Serie „Die Meute“, die ebenfalls von Larraín produziert wurde und bei der auch schon Lucía Puenzo an Buch und Regie mitwirkte, geht es auch in „Señorita89“ um weibliche Charaktere, die sich einem patriarchalen Netzwerk gegenübersehen, dessen auf Geld, Gewalt und Verbindungen fußender Herrschaft sie zunächst wenig entgegensetzen haben.
Ihre Spannung bezieht die Serie weniger daraus, diese dunklen Verwicklungen allmählich offenzulegen; was hinter der Fassade von „Señorita Mexiko“ läuft, bekommt man relativ schnell mit. Spannend bis zum Schluss ist hingegen die Frage, ob und wie sich die weiblichen Figuren dazu verhalten und ob sie es schaffen, die Konkurrenzsituation der Misswahl zu überwinden und ein eigenes Netz weiblicher Solidarität zu kreiieren.
Lucía Puenzo und dem Autoren- und Regieteam gelingt es trotz der luxuriösen Ausstattung des Schauplatzes, eine beklemmende, kammerspielartige Gefängnisfilm-Atmosphäre zu entwerfen. Vor allem aber funktioniert die Serie dank ihrer pointierten Charakterzeichnungen und der explosiven, spannungsvollen Beziehungen, die zwischen ihnen entstehen. Wobei die weiblichen Figuren im Zentrum stehen, ohne dass die Männer auf eindimensionale Bösewicht-Rollen festgeschrieben werden. Einige Angestellte, die in La Encandada die Dinge am Laufen halten, haben ähnlich wenig Handlungsspielraum wie die Mädchen oder ähnlich viel zu verlieren, wenn sie sich dem Regime von Raoul widersetzen.
Bis auf wenige Ausnahmen verzichtet „Señorita 89“ auf dezidierte Gewaltszenen, arbeitet aber dennoch eindrucksvoll ein Klima latenter Gewalttätigkeit heraus. Ein Menschenleben, vor allem das einer Frau, ist in diesem Mexiko keinen Pfifferling wert. Die Krone, um die die Señoritas konkurrieren, kann daran nur wenig ändern.