Sieben Winter in Teheran

Dokumentarfilm | Deutschland/Frankreich 2023 | 99 Minuten

Regie: Steffi Niederzoll

Die Iranerin Reyhaneh Jabbari wurde im Oktober 2014 im Alter von 26 Jahren hingerichtet, weil sie in Notwehr einen Mann getötet hatte, der sie vergewaltigen wollte. Der Dokumentarfilm rollt den Fall auf, der juristisch brisant ist, weil er viel über die iranische Gesellschaft und ihre korrupte Justiz sowie das Verhältnis der Geschlechter untereinander verrät. Der erschütternde Film greift auf heimlich aufgenommene Videos mit Jabbari und Aussagen ihrer Familie zurück und plädiert eindringlich gegen die Todesstrafe. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Made in Germany Filmprod./TS Prod./Gloria Films/WDR
Regie
Steffi Niederzoll
Buch
Steffi Niederzoll
Kamera
Julia Daschner
Musik
Flemming Nordkrog
Schnitt
Nicole Kortlüke
Länge
99 Minuten
Kinostart
14.09.2023
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Erschütternder Dokumentarfilm über eine junge Frau aus dem Iran, die in Notwehr einen Mann erstach und dafür hingerichtet wurde.

Diskussion

Sieben Winter in Teheran: So lange währte der Aufenthalt von Reyhaneh Jabbari in den berüchtigten Gefängnissen der iranischen Hauptstadt, ehe sie im Alter von 26 Jahren trotz Protesten im In- und Ausland von den Schergen des Mullah-Regimes am 25. Oktober 2014 hingerichtet wurde.

Reyhaneh Jabbari war die älteste von drei Töchtern der liberalen Familie Jabbari. Im Jahre 2006 studierte die damals 19-Jährige Informatik und jobbte nebenbei als Innenarchitektin. Eines Tages sprach sie ein Mann mittleren Alters in einem Eiscafé an. Er hieß Morteza Sarbandi, gab sich als Schönheitschirurg aus und schlug ihr vor, seine Praxis einzurichten. Diese erwies sich jedoch als eine leerstehende Wohnung, in die Sarbandi die ahnungslose Frau lockte. Dort griff er sie an und versuchte sie zu vergewaltigen. Jabbari wehrte sich, indem sie mit einem herumliegenden Messer auf ihn einstach.

Sarbandi, der ein hoher Mitarbeiter im iranischen Geheimdienst gewesen war, starb später in einem Krankenhaus. Reyhaneh Jabbari wurde verhaftet und aufgrund eines durch Psychoterror und Folter erzwungenen Schuldgeständnisses ins Gefängnis Shar-el-Rey gebracht. Einen Rechtsbeistand erhielt sie nicht.

Der Verkehr fließt weiter

Der Dokumentarfilm von Steffi Niederzoll lässt Reyhaneh Jabbari selbst die Ereignisse erzählen, die sie Polizei, Geheimdienst und Gerichtsbarkeit nicht lückenlos mitteilen konnte. Jabbaris Aussagen werden von einer Schauspielerin gesprochen oder sind Originalaufnahmen von heimlich aufgenommenen Telefongesprächen aus dem Gefängnis mit ihrer Familie. Außerdem hat die Regisseurin Interviews mit Familienmitgliedern und anderen Beteiligten geführt.

Zwischendurch werden Bilder der riesigen Metropole Teheran eingeblendet. Man sieht Außenaufnahmen des berüchtigten Evin-Gefängnisses, in dem nicht nur namhafte Regimegegner wie die iranischen Regisseure Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof eingekerkert waren, sondern zeitweise auch Reyhaneh Jabbari. Auf mehrspurigen Straßen fließt der Verkehr scheinbar unbeteiligt weiter, genau wie das Leben der anderen Stadtbewohner. Seit 2022 erlebt man hier allerdings auch einen bis dato kaum vorstellbaren Widerstand der iranischen Zivilgesellschaft, zu dem auch Präzedenzfälle wie die Hinrichtung von Jabbari beigetragen haben.

Juristisch betrachtet hatte die junge Frau kaum eine Chance. In der Haft wurde sie gefoltert, und in der Wohnung der Jabbaris platzierten Geheimdienstmitarbeiter falsche Indizien, darunter das Tatmesser. Im Gefängnis befand sich Jabbari zunächst in Isolationshaft in einer neun Quadratmeter großen Zelle, in der ständig das Licht brannte. Ihre Familie konnte die junge Frau monatelang nicht sehen, und dann auch nur, weil ihre Mutter Shole drohte, einen Aufstand anzuzetteln. Die Mutter und Reyhanehs Schwestern nahmen im Gefängnis heimlich und unter hohem Risiko Gespräche mit dem Gefängnispersonal und mit Reyhaneh auf – etwa bei den Besuchszeiten, wo die Familie durch eine Glasscheibe mit ihr kommunizierte. Es sind verwackelte Bilder, die einen Eindruck vom psychischen und physischen Stress vermitteln, unter dem die Familie stand.

Ein korruptes System

Der Schutz des erstochenen Ex-Geheimdienstmitarbeiters Sarbandi durch das Regime sowie die Wiederherstellung seiner vermeintlichen Ehre durch die Familie wogen schwerer als alle Beweise. Vier Anwälte sagten Jabbari vor Prozessbeginn ab, bis sich ein mutiger Verteidiger für sie fand. Ein liberaler Richter wies zunächst auf die Ungereimtheiten des Falls nach iranischem Recht hin: Wie konnte ein verheirateter Mann eine unverheiratete junge Frau in eine Wohnung einladen? Warum wurde der Tatort nicht gründlicher untersucht? Doch dann wurde der Richter ausgetauscht. Außerdem befanden sich Jabbaris Folterer im Gerichtssaal, sodass sie es nicht wagte, öffentlich alle Details zu schildern, die der Tat vorausgegangen waren.

Der Film offenbart ein korruptes juristisches System, das sich in bestimmten Fällen als besonders von der Politik abhängig erweist. Außerdem verdeutlicht „Sieben Winter in Teheran“ den archaischen Brauch der Blutrache. Diese besagt, dass die Familie des Opfers darüber entscheidet, ob ein/e zum Tode Verurteilte/r sterben soll oder nicht. Gnade kann nur sie gewähren. Doch der Sohn Sarbandis, nun Oberhaupt der Familie, wollte Reyhaneh nur begnadigen, wenn sie die Vergewaltigungsvorwürfe zurücknahm. Das tat sie aber nicht.

Durch Aussagen der Familie und befreundeter Insassinnen aus dem Gefängnis, die heute nicht mehr im Iran leben, beleuchtet der Film auch die Sexualmoral im Iran, bei der Frauen stets das Nachsehen haben. Frauen werden von ihren Männern finanziell und psychisch abhängig gemacht, während fast ausschließlich Männer über Frauen richten. Frauen, die sich nicht den restriktiven Gesetzen des Ehelebens unterwerfen, werden geächtet und bestraft.

Die Macht der Sozialen Medien

Ankreiden kann man „Sieben Winter in Teheran“ eine gewisse Überdeutlichkeit. Muss wirklich die Mutter in dem Augenblick eingeblendet werden, als sie gerade erfährt, dass ihre Tochter hingerichtet wurde? Ein paar Schnitte oder Ellipsen hätten dem Film gutgetan. Dennoch zeigt er, dass sich innerhalb des Iran schon vor Jahren Widerstand regte, wie die Petitionen gegen die Hinrichtung von Reyhaneh Jabbari beweisen. Auch die Macht der Sozialen Medien, die Shole Jabbari ausgiebig benutzte, arbeitet dieser aufrüttelnde Film heraus. Auf diese Weise schlägt er eine thematische Brücke zu dem aktuellen Widerstand der iranischen Bevölkerung gegen das Regime heute und erweist sich als beeindruckendes filmisches Plädoyer gegen die Todesstrafe.

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