Die Sonne ist überall gelb

Dokumentarfilm | Deutschland 2022 | 75 Minuten

Regie: Afraa Batous

Vier syrische Frauen, darunter die Regisseurin Afraa Batous, unternehmen im Campervan eine Reise durch Europa. Sie alle sind vor Jahren vor dem Krieg in ihrer Heimat über das Mittelmeer nach Europa geflüchtet und besuchen jetzt wichtige Etappen ihrer Flucht in der Schweiz, in Italien und in Griechenland. Dabei kommen verdrängte Emotionen wieder hoch und die Frauen reflektieren über Vergangenheit und Gegenwart, während ihr jetziges Leben in Deutschland nicht konkret beleuchtet wird. Dennoch vermitteln sich die Brüche und Traumata in ihren Biografien zwischen Flucht, Sehnsucht und dem Einrichten im Heute. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Tondowski Films/Filmuniversität Babelsberg/ZDF - Das kleine Fernsehspiel
Regie
Afraa Batous
Buch
Afraa Batous
Kamera
Afraa Batous · Antonia Kilian
Musik
Samer Saem Eldahr · Majd Al Hamwi
Schnitt
Raya Yamisha
Länge
75 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Dokumentarfilm über vier syrische Frauen, die vor einigen Jahren nach Deutschland flüchteten und nun eine Reise mit dem Campervan unternehmen, um zusammen wichtige Stationen ihrer Flucht aufzusuchen.

Diskussion

Eigentlich wollen Afraa, Rahaf, Rawa, Sara und ihre Tochter Shams verreisen, doch Corona macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Also beraten die vier Frauen sich zunächst online, wie es weiter gehen soll. Nach dem Lockdown, und als die Grenzen wieder offen sind, klappt es schließlich doch mit der Reise durch Europa. Der Campervan wird bepackt, die Frauen sind guter Dinge, Saras kleine Tochter Shams auch, und so starten die fünf von Berlin aus in Richtung Süden. Denn als der Bürgerkrieg in Syrien ausbrach, mussten alle vier Frauen ihre Heimat verlassen und strandeten irgendwann in Deutschland. Drei von ihnen überlebten eine traumatische Flucht über das Mittelmeer, eine lebte zunächst in Italien.

Alle vier Frauen in „Die Sonne ist überall gelb“ sind starke Persönlichkeiten, gebildet, wissen die Freiheit in Europa zu schätzen sowie die Selbstbestimmung, die diese mit sich bringt. Doch Syrien lässt sie nicht los. Sie tragen ihr Ursprungsland im Herzen, auch wenn (oder weil) ihnen klar ist, dass sie so schnell nicht in das immer noch von Krieg und Diktatur versehrte Land zurückkehren können. Rawa ist es einmal gelungen, eine Woche in Syrien zu verbringen. Doch das Land, das sie einst kannte, existiert nicht mehr. Auf dem Bahnhof in Mailand hört sie sich die Tonaufnahme an, die ihr Mann ihr nach seiner erfolgreichen Flucht über das Mittelmeer einst per Handy schickte. Vollkommen erschöpft und verschmutzt war er in der norditalienischen Großstadt mit dem gemeinsamen Sohn angekommen – froh, am Leben zu sein.

Gefahr und Tod, um in Sicherheit leben zu können

Rawa nehmen die Worte ihres Mannes sehr mit. Vor der Kamera sinniert sie über den Widerspruch, Gefahr und Tod zu riskieren, um in Sicherheit leben zu können. Sie war vor ihrer Familie in Europa angekommen, und der Druck der Verantwortung, auch für ihre Familie die Flucht zu organisieren – ohne Gewissheit, wie diese ausgeht –, wiegt auch im Rückblick noch schwer.

Auch ihre Mitstreiterinnen werden im Laufe der Reise immer wieder von Emotionen überwältigt. Genießen sie auf ihrer ersten Etappe, der Schweiz, noch die prächtigen Landschaften und die Aufbruchstimmung im Minibus, reflektieren sie an verschiedenen Etappen des Roadtrips auch über ihre jetzigen Befindlichkeiten. Rahaf, die jüngste der vier Frauen, ist viel herumgekommen, bevor sie sich in Berlin niedergelassen hat. Sie hat deshalb unter Bindungsschwierigkeiten gelitten, scheint nun in der Wahlheimat Berlin aber erst einmal ihren Frieden gefunden zu haben. Ihr langfristiges Ziel besteht allerdings darin, nach Syrien zurückzukehren. An der Revolution und dem Krieg in Syrien hat sie nicht teilgenommen. Doch eines Tages möchte sie die Geschichte ihres Landes mitschreiben.

Initiiert wurde die Reise von der aus Aleppo stammenden Regisseurin Afraa Batous, die in Syrien als Theaterregisseurin aktiv war. 2016 beantragte sie in Berlin Asyl, studierte dann an der Filmhochschule Konrad Wolf in Potsdam und hat mehrere Dokumentarfilme gedreht oder produziert. Im Film erfährt man das allerdings nicht. Das Leben der vier Frauen in Deutschland wird nicht bebildert, man weiß nicht einmal, was sie – außer Batous – beruflich machen, ob sie überhaupt arbeiten oder auch, wie sie in ihrem Aufnahmeland sprachlich oder kulturell zurechtkommen. So entsteht eine Lücke, welche die Brüche in ihrer Biografie für das Publikum weniger nachvollziehbar macht. Wenn die Frauen in Griechenland Station machen, wird erwähnt, wie das mediterrane Land durch seine Architektur, das Meer und die Lebensweise der Menschen an Syrien erinnert. Doch sinnliche Erfahrungen oder Reflexionen über den Alltag in Deutschland – ob gut oder schlecht – fehlen, und somit auch mögliche Kontraste oder Ähnlichkeiten zu ihrem jetzigen Dasein oder Reflexionen darüber, wie die vier ihr aktuelles Leben in einer anderen Kultur konkret gestalten.

Die Reise und die Erinnerungen

Der Film besinnt sich ganz auf das Jetzt der Reise und die Erinnerungen, welche diverse Stationen der Flucht bei den Frauen auslösen. Sie können nun in Sicherheit leben, doch für den Kontakt zu ihren in Syrien verbliebenen Angehörigen bleibt meist nur die Kommunikation per Handy oder Computer. Auf einem griechischen Passagierschiff erzählt die alleinerziehende Sara ihrer dreijährigen Tochter von ihrer Flucht über den Libanon und die Türkei. In einem Schlauchboot erreichte sie eine griechische Insel und wurde schließlich auf einem ähnlich großen Schiff in Sicherheit gebracht. Doch die Kleine ist mit den Emotionen ihrer Mutter überfordert und will lieber spielen.

Als roter Faden fungiert im Film das Meer. In seiner türkisen, glasklaren Schönheit kontrastiert es mit den Erzählungen der Protagonistinnen, die es auch als dunkle, gefahrenträchtige Naturgewalt erlebt haben. Auch eine 360-Grad-Drehung der Kamera, die ein Kentern simulieren soll, kann von deutschen Zuschauern und Zuschauerinnen, die das Mittelmeer vorrangig von touristischen Aufenthalten kennen, kaum nachvollzogen werden. Womöglich zeigen solche Bilder eher die Unterschiede in der Erfahrungswelt zwischen den Porträtierten und dem deutschen TV-Publikum auf, als es ein weiteres Erforschen der deutschen Lebensumstände der vier Frauen vor der Kamera getan hätte.

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