Drama | Deutschland 2023 | 108 Minuten

Regie: Katharina Huber

In einem mysteriösen Dorf verharrt eine kleine Gemeinschaft in einem Zustand der Stagnation. Der bevorstehende Start eines Raumschiffs und das Verschwinden von Menschen stellen die herrschende Ordnung zunehmend infrage und wecken Bedürfnisse nach radikaler Veränderung. Als eine Art Endzeitparabel umkreist das beeindruckende Spielfilmdebüt Fragen nach gemeinschaftlichem Handeln und Vereinzelung, Widerstand und Kapitulation. Ein geheimnisvoller Film im Spannungsfeld von Konkretion und Abstraktion, der durch seine originäre Filmsprache fasziniert. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Acker Film
Regie
Katharina Huber
Buch
Katharina Huber
Kamera
Jesse Mazuch · Carmen Rivadeneira
Musik
Chris Pitsiokos · Federico Perotti
Schnitt
Katharina Huber
Darsteller
Clara Swinning (Güte) · Céline De Gennaro (Margarita) · Jannik Mioducki (Wolf) · Andreas Schneiders (Hutmann) · Julian Sark (Geni)
Länge
108 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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In einem mysteriösen Dorf ringen zwei Frauen damit, ob sie den Ort mit einem Raumschiff verlassen oder lieber bleiben sollen.

Diskussion

Der Ort ist nicht schön. Aber warum eigentlich nicht? Der Ort ist ein Dorf, umgeben von Landschaft: Wälder, Hügel, weite, von Blumen bewachsene Wiesen, ein Fluss. Alles scheint intakt und vorerst sind die sichtbaren Zerstörungen der Natur nur etwas, das aus dem Fernseher kommt. Vielleicht also sind eher die Menschen das Problem. Oder die Umstände. Oder die Umstände, die die Menschen sich selbst geschaffen haben.

Von den Menschen und den Umständen, in denen sie existieren, aber lässt sich in „Ein schöner Ort“ von Katharina Huber nur ein bruchstückhaftes Bild machen. Ein Dorf und eine kleine Gruppe von Menschen. Die Zeit könnte jetzt oder früher sein: schwere dunkle Möbel, überholte Technologien, dicke Stricksachen und weiße, altertümliche Blusen, deren Stoffe allmählich auseinanderfallen; Menschen mit verdreckten Händen und verwitterten Gesichtern.

Stimmen, Hühner und Eier

Als zentrale Figuren konturieren sich Güte (Clara Schwinning) und Margarita (Céline De Gennaro) heraus, zwei Frauen, die sich nahestehen und über ihre Gedanken und Pläne austauschen und über das, was sie so gehört haben. Margarita lebt mit ein paar Menschen in einer familienähnlichen Gemeinschaft; man teilt Mahlzeiten, bespricht die Lage und liest den anderen aus der Zeitung vor. Güte macht Geschenke, von denen nicht ganz klar ist, aus welcher Gabe sie bestehen. Es heißt, sie bezahle sie mit ihrem Körper. In ihrem Gesicht finden sich immer wieder Spuren eines Kampfes.

Zu den lebenden Präsenzen des Alltags gehören auch die Stimmen, die aus unaufhörlich laufenden alten Radioapparaten schallen und auf Englisch Nachrichten über andere Welten und Revolutionen verbreiten. Und Hühner, die Eier legen. Sie liegen als tote Küken und zerdepperte Schalen auf der Erde oder als Suppeneinlage auf Tellern aus Emaille. Vom Huhn geht etwas Merkwürdiges aus. Als sich einmal ein lebendes Exemplar in die Dorfkneipe verirrt, schrecken die Anwesenden auf.

Warten oder handeln

Menschen im Dorf verschwinden; doch niemand weiß, wohin. Auch nicht, ob sie freiwillig gegangen sind. Früher, so heißt es in einem Radiogespräch, seien die Menschen weggegangen, wenn sie sterben wollten, so musste sich niemand um die toten Körper kümmern. Aber auf diese Weise könne man ja nicht wissen, ob jemand tot oder einfach nur gegangen sei, wendet die Gesprächspartnerin ein. Die Antwort ist bestimmt: „Als jemand, der lebt, sollte man nicht warten.“

Güte und Margarita aber warten. Nicht auf die Verschwundenen, sondern darauf, dass etwas in Bewegung gerät. Wie alle anderen, die dem Dorf noch nicht abhandengekommen sind, verharren sie in lähmender Stagnation. Einen Aufbruch zu Neuem verspricht eine Rakete, deren Flug im Radio angekündigt wird und die die Menschen an den Rand des Sonnensystems bringen soll. Aber was dann? „Da ist ja erst mal weit und breit nichts.“ Und: „Die ganze Mission ist ja nur symbolisch.“

Während der Start der Rakete verschoben wird, schreitet ein anderer Countdown voran. „Ein schöner Ort“ ist in Kapiteln unterteilt, die von zehn („Schlechte Nachrichten“) bis eins („Die letzte Aufgabe“) nach unten heruntergezählt werden. Das soziale Gefüge verschiebt sich. Maria, eine Frau, die bei Margarita lebt, stirbt. Güte zieht sich in eine einsame Hütte im Wald zurück, probt ein Leben fernab der Gemeinschaft. Wolf, ein etwas gefährlich wirkender Mann, der mit Margarita zusammen ist, aber auch irgendwie mit Güte, zeigt sich von seiner gewaltsamen Seite. Irgendetwas wird aus der Erde gegraben. Irgendetwas wird in die Luft gesprengt. Es werden irgendwelche Geschäfte gemacht.

Film als Experiment

Dass die vielen „irgendetwas“ nicht als kryptische Leerzeichen in der Geschichte herumstehen, sondern sich zu einem faszinierend rätselhaften Text verdichten, verdankt sich dem ästhetischen Eigensinn einer Filmemacherin, die das Medium Film als offenes Experiment begreift. Katharina Huber, geboren in St. Petersburg und Absolventin der Kunsthochschule für Medien in Köln, kommt vom Animationsfilm. Die Freiheiten des Genres wirken auch in ihr Spielfilmdebüt hinein. „Ein schöner Ort“ ist wundersam, konkret und abstrakt, physisch und mental, gegenwärtig und überzeitlich und gleichzeitig voller Patina. Der Choral von Federico Perotti („Empor hebt Luft“) deutet auf Transzendenz – aber die gibt es nicht. Auch in die Bildkompositionen von Jesse Mazuch und Carmen Rivadeneira sind Spannungsverhältnisse eingetragen. Sie wirken präzise, dabei nie streng; statisch und gleichzeitig dynamisch.

Die Zeichen im Film sind endzeitlich: die Verknappung von Ressourcen, die Rede über das Verlassen der Erde, das Ausharren, die latente Gewalt. Und doch scheint der Zustand, den die Erzählung entfaltet, mit dem Begriff „Apokalypse“ nur unzureichend beschrieben. Endzeitparabel und (Anti-)Heimatfilm sind eher Wirkungsfelder, in denen Fragen nach gemeinschaftlichem Handeln und Vereinzelung, Widerstand und Kapitulation adressiert werden. „Egal was passiert, bleibt nicht an diesem Ort. Er ist nicht schön und es gibt ihn nicht.“

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