Drama | Frankreich 2023 | 375 (sieben Folgen) Minuten

Regie: Tristan Séguéla

"Im Mittelpunkt der Miniserie „Tapie“ steht das Leben von Bernard Tapie, einer der legendärsten und kontroversesten Persönlichkeiten Frankreichs. Laurent Lafitte schlüpft in die Rolle des außergewöhnlichen Unternehmers und Politikers, dessen Aufstieg und Fall in der siebenteiligen Serie porträtiert wird." (Quelle: Netflix) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TAPIE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Unité
Regie
Tristan Séguéla
Buch
Olivier Demangel · Tristan Séguéla
Kamera
Romain Carcanade · Hichame Alaouie
Musik
Amin Bouhafa
Schnitt
Jean-Baptiste Beaudoin · Alice Plantin · Grégoire Sivan · Alexis Marro · Justine Roussillon
Darsteller
Laurent Lafitte (Bernard Tapie) · Ophélia Kolb (Michèle Tapie) · Joséphine Japy (Dominique Tapie) · Fabrice Luchini (Marcel Loiseau) · Patrick d'Assumçao (Jean-Baptiste Tapie)
Länge
375 (sieben Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Serie
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TMDB

Eine Miniserie um Leben und Werdegang des umstrittenen französischen Untenehmers, Politikers und Entertainers Bernard Tapie.

Diskussion

Bernard Tapie (Laurent Lafitte), der französische Multi-Entertainer auf vielen Gebieten, hatte einen entscheidenden Startvorteil, obwohl aus der Banlieu, dem Vorstadt-Proletariat, stammte: Er begann seine Karriere in den 1960er- Jahren unter anderem als Kleinkrämer mit Fernsehapparaten. Dass Frankreich, ebenso wie die übrige westliche Welt, längst ins TV-Zeitalter eingetreten war, war ihm also bewusst – und auch, nach welchen Regeln dieses funktionierte. Und so wurde er folgerichtig ein disruptiver Unternehmer, der den Dingen auf allen Feldern, denen er sich in seinem Leben zuwandte, ruckartig einen revolutionären Drive verlieh, ohne sich viel um die Gepflogenheiten der jeweiligen Branchen zu kümmern. Was auch die Wirtschafts- und Sozialdrama-Serie „Tapie“ (Showrunner: Tristan Séguéla und Olivier Demangel) sehr richtig in den Vordergrund rückt. Wichtiger als alle Regeln war Tapie stets seine Wirkung und die Anerkennung der Massen. Ein Nein wird keinesfalls akzeptiert, auch wenn es von Älteren, Erfahreneren kommt. So scheitert man früh und nachhaltig – oder man bringt es sehr weit.

„Ich bin die Fabrik!“

Wer so sehr an sich selbst glaubt, wird auch in den kapitalistischen Menschenmühlen der Casting-Shows erfolgreich sein. Tapie erreicht mit einem sentimentalen Song den ersten Platz einer fossilen Vorform von „France got talent“, damals noch im Schwarz-Weiß-Fernsehen. Von seinem sozialistisch orientierten Vater (Patrick d'Assumçao) skeptisch, aber stets auch unterstützend begleitet, erfindet sich der vom Erfolg getragene Tapie als Geschäftsmann neu. Zusammen mit dem zwielichtigen Finanzier Loiseau (Fabrice Luchini) entwickelt er ein frühes Leasingkonzept für Haushaltsgeräte. Auch damit reüssiert er, und zum ersten Mal fließt viel Geld in seine Taschen.

Doch dabei werden die Treue zu seinem Herkommen und zu seinen Grundsätzen auf die Probe gestellt. Noch bleibt er seinem im weitesten Sinne wohltätigen Geschäftsmodell treu, weniger jedoch seiner ersten Ehefrau Michèle (Ophélia Kolb), die er mit der äußerst attraktiven und erfolgsorientierten Assistentin von Loiseau (Joséphine Japy) betrügt; diese wird während seiner entscheidenden Jahre die starke Frau an seiner Seite, die Männer wie Tapie unbedingt nötig haben.

Jemand, der schon mal „Ich bin die Fabrik!“ verlauten lässt, muss Alleinherrscher in seinem Reich sein. Deshalb trennt er sich von Loiseau und gründet die Beteiligungsgesellschaft Groupe Bernard Tapie, mit der er ins Schlingern geratene Firmen der traditionellen Realwirtschaft (Druckerei, Batterien) günstig aufkaufen, sanieren und mit Profit wieder verkaufen möchte. Doch diesmal muss Tapie lernen, dass es gar nicht so einfach ist, ein Mann aus dem Volk und im Herzen ein Linker und gleichzeitig Unternehmer mit Profitinteresse zu sein. Die Börse liebt zwar Verheißungen auf die Zukunft, aber Tapie muss im Hier und Jetzt mitunter fatale Entscheidungen fällen („ekelhaft – aber ein gutes Geschäft“), sich mit hartnäckigen Gewerkschafterinnen herumschlagen und versuchen, aus den legendären französischen Arbeitskämpfen als geachteter Gewinner hervorzugehen.

Entertainer, Unternehmer, Politiker

Tapie beherrscht aber auch das Spiel mit den Kategorien links und bürgerlich, gesellschaftlich engagiert und gewinnoriertiert und erreicht – auch als Host einer Fernsehshow à la „Die Höhle der Löwen“ – neue Höhen der Popularität, die seinen Entschluss, in die Politik einzusteigen, nur folgerichtig erscheinen lässt.

Entertainer (manche sagen: Clown), Unternehmer, Politiker: Man könnte darüber sinnieren, mit welcher inneren Logik sich diese Trias im kapitalistischen Westen des 20. Jahrhunderts in einem Menschen zusammenfindet. Jedenfalls reiht sich Bernard Tapie glaubwürdig und gleichberechtigt zwischen Tycoons wie Silvio Berlusconi und Donald Trump ein. Doch trotz innovativer Ansätze und erneut disruptiver Versuche, das in den 1980er-Jahren in Krisen erstarrte System in Frankreich mit einem Handstreich wieder flott zu bekommen, stößt Tapie als Minister für Stadtentwicklung an Grenzen.

Die Miniserie überträgt es dem lauernd-undurchschaubaren Präsident François Mitterrand (glänzend gespielt von Samuel Labarthe), Tapie eine Lehrstunde in politischer Opportunität, aber auch elitärem Hochmut der Macht zu erteilen. Seitdem lautet Tapies populistische Parole „Das Volk gegen die Pariser Elite“. Als Parteigänger der Bewegung der linken Radikalen (MRG) lieferte er sich mit Jean-Marie Le Pen und dem gefährlich erstarkenden Front National erbitterte Fernsehdebatten um die Gunst der Wechselwähler aus dem wachsenden Prekariat.

In die Niederungen von Filz und Korruption

Und was ist mit Tapie, dem Sportfunktionär? Dem Boss von Adidas und dem Präsidenten des Fußballclubs Olympique Marseille? Wesentliche Teile der beiden letzten Episoden widmen sich diesen Engagements von Tapie, auch um die fatale Parallelität seines selbstherrlichen, hier nun endgültig illegalen Geschäftsgebarens in Wirtschaft und Politik sowie im Sport exemplarisch vorzuführen; der Abstieg des internationalen Fußballs in die Niederungen von Filz und Korruption wird hier an einem frühen Fall illustriert.

Tapie wittert zwar, dass der Sport auch als Medium der Integration und des Aufstiegs neuer prekärer Schichten taugen könnte, doch diese Chance wird vergeben. Der Ball kommt zum Stillstand, das Spiel ist aus. Die Justiz holt Tapie ein und zieht ihn in Gestalt des Staatsanwalts (David Talbot) zur Rechenschaft.

Insgesamt bietet die siebenteilige Serie „Tapie“ über sechs Stunden gute und involvierende Unterhaltung in einem anspruchsvollen, voraussetzungsreichen Genre. Dass dieses Konzept aufgeht, liegt ganz überwiegend an dem glänzend disponierten Laurent Lafitte, der der Rolle des großen Zampano genügend menschliche Zwischentöne beimisst. Besonders positiv hervorzuheben ist das Drehbuch, das am Fall Tapie viele fragwürdige und bis heute wirkmächtige Entwicklungen des modernen Turbokapitalismus historisch entwickelt und anhand seiner Person anschaulich macht.

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