Drama | USA 2023 | 113 Minuten

Regie: Christos Nikou

In einer retrofuturistisch anmutenden Zukunft soll ein Labortest Sicherheit über den Verliebtheitsgrad eines Paars verbürgen. In der Praxis erweist sich der Befund für das romantische Lebensglück aber nicht immer als zielführend. Eine junge Frau entdeckt dies, als sie sich im Testlabor für ambitionierte Liebespaare in einen anderen Mann verliebt, obwohl sie eigentlich eine zertifiziert glückliche Beziehung mit ihrem Freund hat. Die tragikomische Romanze plädiert für echte Gefühle und gegen die technologische Überformung des Liebeslebens. Dabei profitiert der Film von einem feinen Gespür für Erzählrhythmus und Timing sowie einem überzeugenden Ensemble. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
FINGERNAILS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Dirty Films/FilmNation Ent.
Regie
Christos Nikou
Buch
Christos Nikou · Stavros Raptis · Sam Steiner
Kamera
Marcell Rév
Musik
Christopher Stracey
Schnitt
Giorgos Zafeiris
Darsteller
Jessie Buckley (Anna) · Riz Ahmed (Amir) · Jeremy Allen White (Ryan) · Luke Wilson (Duncan) · Annie Murphy (Natasha)
Länge
113 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Komödie | Science-Fiction | Tragikomödie
Externe Links
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Retrofuturistische Dramödie um eine junge Frau, die sich in einen anderen Mann verliebt, obwohl ihre Beziehung zu ihrem Freund durch einen Test als perfekt zertifiziert worden ist.

Diskussion

Erste Anzeichen für gravierende Herzerkrankungen zeigen sich bei Patienten häufig an den Fingernägeln. Das lässt Regisseur Christos Nikou gleich zu Beginn von „Fingernails“ wissen. Im Laufe der Erzählung wird von vielen unterschiedlichen Herzensprobleme die Rede sein, wenngleich nicht in pathologischer Hinsicht, sondern vielmehr in jenen Herzensdingen, die der romantischen Liebe entspringen. Nach dem surrealen Identitätsdrama „Apples“ lässt es der griechische Regisseur in der Liebeskomödie betont schräg zugehen. Die Protagonisten sind in einer eigentümlichen Retro-Zukunft beheimatet, die zwar keine Mobiltelefone und kein Internet kennt, dagegen jedoch eine wissenschaftlich ausgefeilte Methode hervorgebracht hat, um bei Paaren den Verliebtheitsgrad zu bestimmen – Messungenauigkeiten sind dabei eigentlich ausgeschlossen.

Hundert Prozent verliebt

0 Prozent, 50 Prozent oder 100 Prozent lauten die drei möglichen Testergebnisse. Beprobt wird der Zuneigungsgrad der Paare aber auf ziemlich haarsträubende Weise: Den Probanden wird im Liebesinstitut ein Fingernagel ausgerissen. Im Anschluss kommt das Nagelpaar in den Brutofen im Look einer Mikrowelle, und voilà: nach einigen Minuten haben vielversprechende Lebensabschnittsgefährten Gewissheit darüber, ob sie füreinander bestimmt sind oder eben nicht.

Das große Los ziehen dabei nicht allzu viele. Zwei, die sich glücklich schätzen können, sind Anna (Jessie Buckley) und Ryan (Jeremy Allen White). Ihr Test lieferte ein eindeutiges Ergebnis: zu hundert Prozent verliebt. Andere Thirtysomethings, die sich bei ihnen zum Dinnerbesuch anmelden, sind da schnell neidisch. Die Frage, ob man sich testen lässt oder nicht, ob man es tun oder lieber bleiben lassen sollte, ist gesellschaftlich hochbrisant.

Anna und Ryan scheinen nicht viel auf ihre Gewissheit zu geben; sie sind aber dennoch froh über das Testergebnis. In allen Lebens- und Problemlagen wissen sie jetzt, dass sie sich aufeinander verlassen können. Das trifft sich gut, denn Anna tut sich beruflich gerade schwer. Als Grundschullehrerin findet sie keinen Job. Deshalb wird sie im berüchtigten Liebesinstitut des Versuchsleiters Duncan (Luke Wilson) vorstellig. Der grüblerische Sonderling engagiert die junge Frau mit dem melancholischen Lächeln vom Fleck weg.

Das Herz bleibt ein wilder Jäger

Anna verschlägt es ins Team von Amir (Riz Ahmed), mit dem sie fortan die Versuchsreihen konzipiert. Ihr Forschungsgegenstand ist die Frage, ob Paare in der Lage sind, bei entsprechend beherztem Engagement das Testergebnis positiv zu beeinflussen. Denn manche Paare mit Liebesambition lassen sich mehrfach testen. Die Betreuung und das Trösten der vielen enttäuschten Negativfälle im Anschluss ist in psychologischer Hinsicht kein leichter Job. Anna und Amir kommen sich darüber näher, was Anna in einen Konflikt stürzt, den zwischen Herz und Vernunft. Ein Verhältnis, das in ihrer Zeit eigentlich berechnet und ausgelotet scheint; doch das Herz bleibt ein wilder, höchst unberechenbarer Jäger, auch unter (Labor-)Bedingungen, die eigentlich kontrolliert sind.

Die Zukunft steckt in „Fingernails“ voller 1980er- und 1990er-Jahre-Bezüge. Gleich zu Beginn singt Anna im Auto den Song „Total Eclipse of the Heart“ von Bonnie Tyler. Im Kino ist eine Hugh-Grant-Retrospektive zu sehen, während der einige Versuchspatienten hoffen, dass ihre romantischen Neigungen sich steigern, um ein eindeutig positives Testergebnis zu erzielen. Regisseur Christos Nikou spielt mit den Zutaten einschlägiger Liebeskomödien und unterzieht die romantische Komödie einer vergnüglichen Meta-Behandlung, die in stärkeren Momenten an „Vergiss mein nicht!“ von Michel Gondry erinnert. Allerdings fehlt es an einer vergleichbar ausgefeilten intellektuellen Prämisse. Die Botschaft von „Fingernails“ lautet schlicht: Vertraut euren Gefühlen im echten Leben, nicht der Technologie oder Dating-Apps.

Dass „Fingernails“ am Ende dennoch aufgeht, verdankt sich dem Gespür des Regisseurs für Erzählrhythmus und Timing und überdies einem famosen Ensemble. Vor allem die Hauptdarstellerin Jessie Buckley überzeugt mit einer Performance zwischen elegischer Verlorenheit und ungeahnt beherzter Entschlussfestigkeit. Die Liebe, das weiß die Protagonistin, kennt zuckersüße Rituale, aber auch solche, die eigentlich zu grausam sind, um hinzusehen.

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