Deutschlandlieder - Almanya Türküleri

Dokumentarfilm | Deutschland 2023 | 85 Minuten

Regie: Nedim Hazar

Von der ersten türkischen „Gastarbeiter“-Generation in Deutschland an entstanden in der türkischstämmigen Community Lieder, die sich mit den besonderen Erfahrungen fern der Heimat auseinandersetzten. Der Dokumentarfilm reist durch 60 Jahre Musikgeschichte mit Heimatliedern, Schlagern und Rapsongs und mündet in der Aufzeichnung einer Konzertreihe 2021/22, bei der zahlreiche Protagonisten dieser Musik erstmals gemeinsam auftraten. Mit hohem Unterhaltungswert und vielen Songs gewährt der Film einen ungewohnten, bittersüßen Einblick in die komplizierte Beziehung zwischen den türkischen Migranten und ihrem Gastland, das viele immer noch nicht als Heimat betrachten können. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Bredok Film/Nedim Hazar Film und Musik/ZDF/3sat
Regie
Nedim Hazar
Buch
Nedim Hazar
Kamera
Jörg Gruber · Edwin Krieg · Gökhan Yilmaz
Schnitt
Levent Çelebi · Nedim Hazar
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Musikdokumentation
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Ein Dokumentarfilm über die Geschichte der Musikkultur türkischer Migranten in Deutschland seit den 1960er-Jahren und eine Tournee mit zahlreichen Künstlern.

Diskussion

Am Anfang steht ein Projekt: Zum 60. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens von 1961, das gelegentlich auch „Gastarbeiterabkommen“ genannt wird, starten der Musikpädagoge Ruddi Sodemann und Nedim Hazar, Filmemacher, Musiker und Allroundkünstler, gemeinsam mit vielen Stars der türkischstämmigen Musikszene ein Konzertprogramm, mit dem sie in mehreren deutschen Städten auftreten und schließlich auch – einer der Höhepunkte der Tournee – in Istanbul. Als Mitglied des Ensembles und als Dokumentarfilmer begleitet Nedim Hazar das Projekt. Gemeinsam mit seinem Sohn, der als Deutsch-Rapper unter dem Namen Eko Fresh bekannt ist, führt Nedim Hazar in lockerer Form durch den Film „Deutschlandlieder - Almanya Türküleri“, der sich einerseits als „Best of“ der bekanntesten türkisch-deutschen Songs präsentiert, andererseits aber auch überdeutlich das Versagen der deutschen Migrationspolitik dokumentiert, ohne dass dies konkret an- und ausgesprochen würde. Im Gegenteil: Die Stimmung ist überwiegend heiter und manchmal nostalgisch, und auf diese Weise entsteht eine durchaus ambivalente Emotionalität, die dem Film sehr guttut. Über die Musik wird eine Geschichte erzählt: Sie ist nicht besonders schön, aber dafür interessant und spannend.

Der ursprüngliche Plan – eine Art türkisch-deutsche Version des „Buena Vista Social Club“ – wird damit eigentlich sogar übertroffen, denn sowohl in der Begegnung der verschiedenen Generationen von Migranten als auch in ihren unterschiedlichen musikalischen Vorlieben spiegelt sich die Vielfalt dieser außerhalb der türkischen Community weitgehend unbekannten Musikkultur. Ebenso wie ihre politische und soziale Bedeutung für Menschen, die bis heute um Akzeptanz kämpfen müssen und auch in der mittlerweile dritten Generation oft Probleme damit haben, Deutschland als ihre Heimat zu betrachten.

Aspekte eines gestörten Miteinanders

Nedim Hazars Film präsentiert so ganz nebenbei, unprätentiös und in stets freundlichem Ton einige Aspekte dieses gestörten Miteinanders zwischen türkischstämmigen Einwandererkindern und denen, die sich als Deutsche betrachten und dabei selbst oft Nachkommen diverser Wanderungsbewegungen und Vertreibungsprozesse sind. Diese sind praktisch überall anzutreffen, was sich aber auch schon am unterschiedlichen musikalischen, religiösen und kulturellen Hintergrund der Menschen zeigt, die eine Sonderstellung in der türkischen Community einnehmen, wie zum Beispiel Aleviten und Kurden.

Nedim Hazar baut alle diese sowohl lehrreichen als auch interessanten Bezüge in seinen Film ein. Er spart dabei nichts aus, weder die iGeschichte der Musikproduktion für die türkischen Migranten mit Zentrum in Köln noch die Entwicklung des braunen Terrors im wiedervereinten Deutschland aus Sicht der Einwanderer. Cem Özdemir, geboren als Kind einer Einwandererfamilie in Baden-Württemberg und heute Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, spricht ganz offen darüber, dass seine Eltern sich Gedanken darüber machten, Strickleitern an den Fenstern zu befestigen, um sich gegebenenfalls aus dem brennenden Haus zu retten. Die dramatischen Folgen der Nazi-Anschläge ab den 1990er-Jahren werden auch in der Musik deutlich: weniger deutschsprachige Songs, weniger Humor, der Ton wird aggressiver.

Doch Nedim Hazars Film bewahrt sich in der Retrospektive und in der Gegenwart eine gewisse Leichtigkeit, die niemals seicht oder allzu lässig wirkt. Im Gegenteil: Der Film entwickelt einen gehörigen Tiefgang und ist oft bewegend, besonders dann, wenn sich nach einigen unbekümmert fröhlichen oder humorvollen Songs die Stimmung ändert. Nur selten geschieht es, dass der Film wirklich melancholisch wird, und dann ist das ungeheuer wirkungsvoll, besonders wenn die wunderbare Jazz-Sängerin Sema Moritz mit ihrer sanften, warmen Stimme lyrische Balladen interpretiert.

Abwechslungsreich und lebendig inszeniert

Auch wenn manches im Film an den ebenfalls gelungenen Kinofilm „Liebe, D-Mark und Tod“ von Cem Kaya erinnert: „Deutschlandlieder“ ist als Musikfilm ebenso stark wie als Geschichts- und Kulturdokument. Das liegt sowohl am charismatischen Protagonisten und Filmemacher Nedim Hazar wie an seiner abwechslungsreichen, lebendigen Inszenierung. In einer lockeren Chronologie von den 1960er-Jahren bis heute zeigt er in der Mischung von Konzertbildern, hauptsächlich vom Auftritt des Ensembles 2021 in Köln, Interviews, Statements und alten Tonaufnahmen die musikalische Entwicklung und die Beziehungsgeschichte zwischen den türkischen Migrantinnen und Migranten und ihrem deutschen Gastland, das sich von Anfang an als wenig gastfreundlich erweist. Da kreuzen und begegnen sich immer wieder hinreißende Songs mit Biografien und Storys dahinter.

Schon die schiere Menge ist erstaunlich. Gleich zu Beginn werden die Künstlerinnen und Künstler kurz vorgestellt – und eines wird sofort klar: Es ist ein großer Verdienst des Projektes wie des Films, dass hier vielleicht zum ersten Mal viele unterschiedliche Musikerinnen und Musiker auf der Bühne stehen, die eigentlich nur eines gemeinsam haben. Sie sind oder waren die Stars der türkischstämmigen Community in Deutschland, manche schon seit 40 oder 50 Jahren, und sie sind trotzdem weitgehend unbekannt in einer Nation, in der sie ihre größten Erfolge feierten und feiern. Außer in einem relativ kurzen Zeitraum etwa Anfang bis Mitte der 1980er-Jahre gab es kaum Annäherungen zwischen der deutschen und der deutsch-türkischen Musikszene.

Aus vollem Herzen

Viele Interpretinnen und Interpreten sind längst im Rentenalter – auch Metin Türköz gehört dazu, ein „Gastarbeiter“ der ersten Stunde. Zu Beginn der Konzertreihe sitzt er im Rollstuhl auf der Bühne. Er wurde mit seiner Streikhymne zur Stimme der türkischen Arbeiter in Deutschland. Als einer der ersten brachte er türkische Volksmusik nach Deutschland und machte daraus humorvoll-kritische Songs über seine Situation, die er viele Jahre lang vor allem auf Musikkassetten veröffentlichte. Metin Türkoz singt noch einmal seinen Song „Guten Morgen, Mayistero“. Und Nedim Hazar begleitet ihn. Aus vollem Herzen.

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