Lagunaria
Dokumentarfilm | Italien 2022 | 85 Minuten
Regie: Giovanni Pellegrini
Filmdaten
- Originaltitel
- LAGUNARIA
- Produktionsland
- Italien
- Produktionsjahr
- 2022
- Produktionsfirma
- Ginko Film
- Regie
- Giovanni Pellegrini
- Buch
- Giovanni Pellegrini
- Kamera
- Giovanni Pellegrini
- Musik
- Filippo Perocco
- Schnitt
- Chiara Andrich
- Länge
- 85 Minuten
- Kinostart
- 21.12.2023
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Dokumentarfilm über Venedig, die die versinkende Stadt mit Hilfe von Drohnenaufnahmen in die Lagune einbettet und mit einen mythisierendem Off-Kommentar grundiert.
Keine andere Stadt auf diesem Planeten ist wohl so oft gemalt, fotografiert und gefilmt worden wie Venedig. Gerade im digitalen Zeitalter lassen Millionen von Besucher:innen die Masse der Bilder ins gefühlt Unendliche wachsen. Gibt es irgendeinen Ort, irgendeinen Durchgang, irgendeinen Kanal, der noch nicht abgelichtet wurde? Gibt es Venedig selbst nicht schon mehrfach, einmal in echt und einmal als Bild? Und zwar nicht nur in einem, sondern in tausenden von Bildern, die das Nachleben der versinkenden Stadt in einer unbegrenzten Anzahl von Kopien sichern, ohne dass es zwischen Stadt und Bild noch einen Unterschied gäbe?
Lauter Bilder, die man schon kennt
Wozu, fragt man sich da, noch einen weiteren Film, eine weitere Dokumentation über Venedig? Um eine solche handelt es sich bei „Lagunaria“ von Giovanni Pellegrini. Dem venezianischen Bilderkatalog hat er wenig Neues oder Ungesehenes hinzuzufügen, im Gegenteil. Auch dieser Film enthält viele jener Bilder, die man kennt, vor allem, wenn man die Stadt selbst schon touristisch-fotografierend heimgesucht hat. Immerhin reflektiert der Film diese Sackgasse der Bildproduktion, was in Anbetracht seines Gegenstandes allerdings mehr Pflicht als Kür ist, da diese Form der medialen Brechung ein hinlänglich bewusster Bestandteil des allgemeinen Venedig-Bildes ist. Alle, die hierherkommen, heißt es in „Lagunaria“ einmal, finden nur jene Bilder, die sie schon kennen (und sind sich dessen bewusst). Venedig: ein vulgäres Museum seiner selbst. Der Film macht da keine Ausnahme. Auch er findet hier nur Bilder, die andere schon gemacht haben; auch er ist nur ein weiterer Besucher in diesem vulgären Museum (und ist sich dessen ebenfalls bewusst).
So erfährt man auch nichts Überraschendes. Die Stadt sinkt und die Stadt stinkt. Die Tourist:innen sind zahlreich und ein Problem. Die originalen Venezianer:innen tauchen im Film kurz auf, bleiben aber dennoch vage und schemenhaft. Covid brachte eine Verschnaufpause: menschenleere Plätze, Straßen und Kanäle erzeugten ein fast surreales Bild. Ansonsten setzen Überschwemmungen weite Areale regelmäßig unter Wasser und machen aufwändige Restaurierungsarbeiten an der historischen Substanz nötig.
Sich im Raum und in der Zeit zurückziehen
Dennoch versucht Pellegrini, dem Ganzen einen neuen Blickwinkel hinzuzufügen, für die Bilder, aber auch für das Wissen über die Stadt. So filmt er das Bilder-Museum unter offenem Himmel gerne „von oben“, durch Drohnenaufnahmen. Es geht darum, sich im Raum wie in der Zeit zurückzuziehen, sich von der Stadt zu entfernen, damit Venedig mit seiner Umgebung verschwimmt, also der Lagune zurückgegeben wird, in der sie einst wie aus dem Nichts erbaut wurde.
Begleitend zu der Distanznahme durch die über dem Wasser kreisenden Bilder gibt es durchgängig eine weibliche Off-Stimme, die ihrerseits von weit herzukommen scheint. Die Stimme verwandelt die Geschichte Venedigs in eine mythische Gründungsgeschichte, die sich von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft erstreckt. Berichtet wird von der „Legende“ einer Stadt, „suspendiert in Zeit und Raum“, entstanden auf dem Wasser, in denen aus Booten Häuser wurden und aus Häusern wieder Boote, welche die Stadt letztlich mit sich nehmen, sie wieder „verschwinden“ lassen. Auf diese Weise wird die Geschichte der Stadt zu einer fiktionalen Geschichte, als habe sie nie wirklich existiert.
Kein unorigineller Ansatz
Der Ansatz ist nicht unoriginell. Nur sind Stimme und Text von einem solchen mythisch-poetischen Geraune und einer solchen Schwere und Bedeutsamkeit, dass der Mythos mehr gefestigt als abgebaut wird und sich eben nicht auf dieselbe Weise auflösen darf wie die Stadt in der Erzählung. Bisweilen denkt man an die Essayfilme von Terrence Malick, in denen der visuelle Strom des kosmischen Werdens und Vergehens ebenfalls aus dem Off begleitet und kommentiert wird, von einer Stimme, die wie bei Pellegrini außerhalb der Raumzeit steht und diese überblickt. Aber während Malicks Stimme ihre Ehrfurcht vor den Wundern des Universums kundtut, die vor unseren Augen entstehen und (durch die Montage) wieder verschwinden, kann Pellegrini nur versuchen, das Gezeigte und x-fach Gesehene durch die Narration krampfhaft zu überhöhen. So werden aus Containerschiffen und Industrieanlagen in der Lagune „Maschinen mit mysteriöser Stimme“, ohne dass einen das im Mindesten davon abhalten würde, in ihnen etwas anderes als durch die Off-Stimme aufgeblasene Banalitäten zu sehen.
Auf diese Weise verlässt aber auch „Lagunaria“ das imaginäre Museum der Venedig-Bilder nicht. Mag dieses theoretisch so unendlich wie der Kosmos sein, ist es in seinen Inhalten doch beklagenswert beschränkt. Bekanntlich verlängert sich das Bild Venedigs noch bis in die Wasserspiegelungen. Die natürliche Umgebung der Lagune, in der sich die Stadt hier auflösen soll, ist damit nur ein weiterer Spiegel, um ihr Bild zurückzuwerfen und zu vervielfältigen. Es ist dieses Spiegelbild, in dem sich der Film „Lagunaria“ zwangsläufig verlieren muss, so dass es zwischen „Venedig, der Stadt“ und „Venedig, dem Bild“ einmal mehr keinen Unterschied gibt.