Biopic | USA 2023 | 106 Minuten

Regie: George C. Wolfe

Bayard Rustin (1912-1987) gilt als eine der wichtigsten Stimmen in der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre, wurde aber aufgrund seiner Homosexualität viele Jahrzehnte nicht in dem Maße gewürdigt, wie er es verdient hätte. Das Biopic zeichnet seine Verdienste im Kampf gegen die Diskriminierung von Afroamerikanern, nicht zuletzt bei der Organisation des legendären Marsches auf Washington 1963, nach und beleuchtet zugleich den Privatmann, der verhältnismäßig offen zu seiner queeren Identität steht und dafür einen hohen Preis zahlt. Dabei gelingt die Balance zwischen Privatem und Zeitgeschichte nicht immer, dank eines starken Hauptdarstellers überzeugt der Film aber trotzdem als packendes Porträt. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
RUSTIN
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Higher Ground Productions
Regie
George C. Wolfe
Buch
Julian Breece · Dustin Lance Black
Kamera
Tobias A. Schliessler
Musik
Branford Marsalis
Schnitt
Andrew Mondshein
Darsteller
Colman Domingo (Bayard Rustin) · Aml Ameen (Martin Luther King Jr.) · Glynn Turman (A. Philip Randolph) · Chris Rock (Roy Wilkins) · Gus Halper (Tom)
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Biopic | Drama | Historienfilm
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Ein Biopic über Bayard Rustin, einen der wichtigsten Köpfe hinter der Organisation des Marsches nach Washington im August 1963.

Diskussion

Bayard Rustin (1912-1987) war einer der wichtigsten Köpfe hinter der Organisation des legendären Marsches nach Washington im August 1963, jenem Ereignis, das einen der Höhepunkte der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den USA markierte. Trotzdem wurde ihm weit weniger Aufmerksamkeit und Anerkennung zuteil als seinem Mitstreiter Martin Luther King. Denn Rustin war nicht nur ein streitbarer Afroamerikaner, sondern auch ein Homosexueller, der sich traute, für die damalige Zeit verhältnismäßig offen zu seiner Identität zu stehen. Zudem war er in seiner Jugend Mitglied der kommunistischen Partei gewesen. Für seine Gegner ein gefundenes Fressen, um nicht nur Rustin selbst zu diskreditieren, sondern auch die Bürgerrechtsbewegung. Und so geriert Rustin lange in Vergessenheit.

George C. Wolfe ist ein offen schwul lebender, afroamerikanischer Regisseur. Sein Film „Rustin“ geht nun daran, diesem vergessenen Helden der jüngeren US-Geschichte ein Denkmal zu setzen. Finanziert wurde das Projekt von Higher Ground Productions, einer Firma, die Michelle und Barack Obama gründeten. Nicht nur daran zeigt sich, dass Rustin noch (oder gerade wieder) heute politische Relevanz hat. Und zwar nicht nur durch das, was er mit dem „Marsch auf Washington“ für die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung erreicht hat, sondern gerade auch durch die Schwierigkeiten, die sich ihm als queerem Mann entgegenstellten und die ein anschauliches Schlaglicht auf die bei weißen wie schwarzen Amerikaner:innen der Zeit tief verwurzelte Homophobie werfen.

Der Marsch für die Freiheit

Als Bayard Rustin (im Film gespielt von Colman Domingo) in den späten 1950er-Jahren von Gegnern der Bürgerrechtsbewegung wegen seines Lebenswandels attackiert wird, bietet er seinem Freund Dr. Martin Luther King (Aml Ameen) seinen Rücktritt als Berater an – in dem sicheren Glauben, King werde ablehnen und die Sache sei damit erledigt. Doch King denkt nicht daran, zu seinem Weggefährten zu stehen, und lässt ihn fallen. Ein Sturz, von dem Rustin sich lange nicht erholt. Erst Jahre später, auch bedingt durch den Mord am schwarzen Bürgerrechtler Medgar Evers, springt Rustin über seinen Schatten und besucht die Galionsfigur der Bewegung, seinen alten Freund Martin Luther King. Über der Idee, einen Marsch auf Washington zu organisieren, finden die beiden wieder zueinander.

Rustin legt sich mit vielen an, die dem Plan skeptisch gegenüberstehen, so mit dem Chef der NAACP (National Association for the Advancement of Colored People“), Roy Wilkins (Chris Rock), und auch mit dem schwarzen Abgeordneten Powell (Jeffrey Wright), der Rustin wegen seiner Homosexualität am liebsten komplett aus der Organisation verbannen würde. Doch Rustin gibt nicht auf und stellt in wenigen Wochen eine der größten Aktionen für Bürgerrechte auf, die es jemals gab. Doch sein Privatleben gerät darüber aus den Fugen.

Wolfes Film zeigt eindrucksvoll den politischen und mitreißenden Bayard Rustin, doch dies ist nur eine Seite der Figur. Die private Seite, der schwule Mann in all seiner Resignation vor einem Wertesystem, das seine sexuelle Identität diffamiert, der dennoch hartnäckig um sein Glück kämpft, ist für Wolfe aber genauso wichtig. Und so findet der Film auch Raum für Rustins unglückliche Liebe zu einem verheirateten Pastor (Johnny Ramey) und die Eifersucht seines Freundes Tom (Gus Halper), mit dem Rustin eine Affäre hat und der für den anderen immer mehr sein will als eine unverbindliche Liebschaft.

An der schieren Menge dessen, was der Film erzählen will, verhebt sich Wolfe in mehr als einer Szene. Aber das Feuer, das Colman Domingo durchgehend versprüht, reißt einen dennoch mit. Für seine Leistung wird der Schauspieler bereits als Kandidat für eine „Oscar“-Nominierung gehandelt.

Die Balance zwischen Privatem und Zeitgeschichte gelingt nicht immer

Seine Darstellung eines tieftraurigen, gebeugten, aber nie gebrochenen Mannes rührt, ohne auf die Tränendrüse zu drücken, macht dort wütend, wo deutlich wird, wie verletzend und perfide die doppelte Diskriminierung als Afroamerikaner und als Homosexueller auf Rustins Lebensweg einwirkt, und zeigt den Menschen hinter dem vergessenen Helden. Mehr kann ein Schauspieler kaum erreichen.

Nicht immer gelingt es der Inszenierung dabei allerdings, eine gute Balance zwischen Privatem und Zeitgeschichte zu finden und vor allem letztere angemessen zu vertiefen. Gerade für Zuschauer, die in der Geschichte der Bürgerrechtsbewegung nicht sonderlich firm sind, dürften die historischen Ereignisse einschließlich der berühmten „I have a dream“-Rede von Dr. King bisweilen in einem Tempo herniederprasseln, das überfordert. Rustin setzt vieles an Wissen voraus. Das Einbinden historischer Dokumentaraufnahmen verleiht „Rustin“ zwar eine große Authentizität; was darauf genau zu sehen ist und wer sich gerade mit wem über was streitet, wird jedoch nicht immer verständlich gemacht.

Hier zeigen sich die Probleme des Films am deutlichsten. Zwischen den fast intimen Momenten, die Rustins Privatleben beleuchten, und seinen großen politischen Ambitionen schaffen weder die Bilder von Kameramann Tobias A. Schliessler noch der coole Jazz-Soundtrack von Branford Marsalis durchgehend eine organische Verbindung. Und manch etwas pathetisch geratenen Moment bei der Inszenierung der Ereignisse in Washington hätte es gar nicht gebraucht: Die Lebensleistung, die Bayard Rustin allen Anfeindungen zum Trotz für die Sache der Bürgerbewegung erbracht hat, wird auch ohne dies deutlich.

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