Drama | Deutschland 2023 | 96 Minuten

Regie: Constantin Hatz

Ein Freund des Filmemachers Constantin Hatz nimmt sich das Leben und hinterlässt „Notizen über meine Existenz“. In dem Film verlesen sechs Schauspieler diese Aufzeichnungen, in verschiedenen Settings, die an die Stationen auf dem Leidensweg des Freundes erinnern. Der Text schildert die frühere Erfahrung der Flucht aus dem jugoslawischen Kriegsgebiet, die Ankunft in einem neuen Land, den Tod der Eltern sowie den Aufenthalt in der Psychiatrie. Die ruhigen, schwarz-weißen Breitwandbilder wirken dabei wie Totenmasken, die Orte wie Kopfbühnen eines in sich selbst eingesperrten Denkens. Mit großer formaler Strenge vergegenwärtigt der Film das Qualvoll-Repetitive der „Notizen“, ohne dadurch den Abgrund des Todes überwinden zu können. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Kinescope Film/ZDF - Das kleine Fernsehspiel
Regie
Constantin Hatz
Buch
Constantin Hatz
Kamera
Moritz Mössinger
Schnitt
Marco Rottig
Darsteller
Robert Kuchenbuch (Holzfäller) · Jakub Sierenberg (Erster Gast) · Mariam Avaliani (Schauspielerin) · Peter Marty (Lkw-Fahrer) · Amanda Babaei Vieira (Krankenschwester)
Länge
96 Minuten
Kinostart
30.11.2023
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Episodenfilm | Experimentalfilm
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IMDb

Ein Freund des Regisseurs Constantin Hatz nimmt sich das Leben und hinterlässt „Notizen“, die der Filmemacher mit großer formale Strenge von Schauspieler:innen lesen lässt.

Diskussion

„Suizid. Keine Obduktion nötig. Notizen über meine Existenz an Constantin Hatz übergeben“: Mit dieser knappen Nachricht beendet ein enger Freund des Regisseurs sein Leben. Er setzt einen Schlusspunkt unter eine verzweifelte Existenz und einen literarischen Nachlass, den er dem Filmemacher überantwortet. In „Störung“ will Hatz diesen Notaten nun gerecht werden, ihnen und seinem Freund eine letzte – filmische – Ruhestätte errichten. Wie der Freund heißt, erfährt man nicht, und auch nicht, ob es sich bei dem Filmemacher um jenen „Legastheniker“ handelt, der in diesen Aufzeichnungen als guter Freund des Autors immer wieder auftaucht und diesen mit Büchern versorgt. Dennoch lässt sich die Idee nicht ganz verjagen: Der Verfasser der „Notizen“ ist ein Buchmensch, der vermeintlich legasthenische Filmemacher ein Bildmensch, und ihre Freundschaft eine Verbindung von Wort und Bild.

Als Kind flieht der Freund mit seiner Mutter aus einem Kriegsgebiet und gelangt in eine neue Heimat. Die als Geflüchteter erlittenen Demütigungen bestimmten das weitere Leben. Beschrieben werden die Erfahrungen im Asylheim, in der Schule, in der neuen, gemeinsam mit der Mutter bezogenen Wohnung. Der Vater ist im Krieg geblieben, die Nachricht von seinem Tod erreicht Mutter und Sohn erst lange nach ihrer Flucht. Einige Zeit geht es im neuen Leben aufwärts, dann stirbt die Mutter, und der verwaiste Junge landet in einem Kinderheim. Als Erwachsener folgt ein Aufenthalt in der Psychiatrie, aber insgeheim hat sich der Mann von seinem aus dem Krieg „geretteten Leben“ längst verabschiedet, das für ihn nur einen „aufgeschobenen Tod“ bedeutet.

Beklemmende Fixierung aufs Innenleben

Die fürchterlichen Erfahrungen führen den Freund zu einer zunehmenden Abwendung von der Außenwelt und einer beklemmenden Fixierung auf das eigene Innenleben, das sich zum verzweifelten Versuch auswächst, die eigene, unerträgliche Existenz durch schieres Nachdenken zu überwinden; eine Verzweiflung, bei der sich der luzide Autor selbst beobachtet und die in den „Notizen“ ihren Niederschlag findet.

Diese Aufzeichnungen lässt Hatz von sechs Schauspieler:innen verlesen, in Settings, die den Stationen des Leidenswegs des Freundes nachempfunden sind. Die Männer und Frauen befinden sich, allein und isoliert, in einem Lastwagen, einer Wohnung, einem Wald und einer Klinik, beschäftigt mit der Ausführung minimaler Gesten, die den Anschein einer produktiven Existenz nur mit Mühe aufrechterhalten, wenn sie nicht schon in Lethargie erstarrt sind. Die schwarz-weiß gefilmten, leicht abstrakten Orte wirken dabei wie Theaterbühnen, als hätten sie, wie der Autor der „Notizen“, die Trennung zur realen Welt längst vollzogen. Wenig überraschend ist das letzte Dekor tatsächlich eine Bühne, auf der sich der Namenlose ein letztes Mal die Erinnerungen und Traumata der Vergangenheit imaginiert. Die Bühne eines einsamen, suizidären Kopftheaters.

Es muss für Hatz darum gegangen sein, Bilder zu diesem Text zu finden, die ihm etwas entgegensetzen, ohne seine Verzweiflung auszulöschen, auf ihn antworten, ohne ihn verstummen zu lassen. Seine Inszenierung will den verlesenen Text nicht einfach illustrieren (mit irgendwelchen Bildern) oder nachspielen (als Spielfilm). Es geht darum, den Worten nicht das Leben einzuhauchen, dem der Autor entflohen ist. Und doch muss der Text dem Tod entrissen werden, zu dem der Freund Zuflucht genommen hat.

Nichts gelingt wirklich

Nichts von all dem gelingt wirklich. Wenn der Film „Störung“ heißt, dann deshalb, weil die Bilder hier eben stören müssen, oder weil der Text die Bilder stört und klarmacht, dass diese Bilder nie und nimmer passen können. Einmal bezeichnet der Autor der „Notizen“ seine ganze Existenz als einzige „Störung“; wie könnte der Film gleichen Namens da anders als selbst irgendwie „gestört“ sein?

Hatz trifft eine bemerkenswerte formale Entscheidung: Er filmt in Schwarz-weiß sowie im großformatigen Breitwandformat. So als würden hier weniger die verschiedenen Darsteller:innen den verstorbenen Freund porträtieren, als das Bild selbst, das durch diese Kadrierung mal wie ein Sarg wirkt, mal wie eine Totenmaske, die Aussehen und Identität des Toten wie in einer Krypta verwahrt. Durch diese Maske hindurch spricht der Tote weiterhin mit den Stimmen jener, die immer wieder starr im Bild sitzen oder liegen, ihre Bewegung ans tote und stumme Bild abgegeben haben. Es ist die Autorität dieses Bildes, die dem Film etwas Monotones und Unflexibles verleiht, eine formale Strenge, die dem Übergenauen und Qualvoll-Repetitiven der „Notizen“ perfekt entspricht. Vielleicht zu perfekt.

Diese Entscheidung ist in jeder Hinsicht zu respektieren. Dennoch denkt man sich, dass es besser gewesen wäre, wenn Hatz mit seinen Bildern dem Text nicht ganz so gut entsprochen, den Freund an diesem Punkt ein Stück weit „verraten“ hätte. Um ihm wirklich zu antworten, um als Bildermacher seine „eigene Stimme“ zu behalten. Aber wie soll man das jemandem vorhalten, der jene Person, der zu antworten wäre, verloren hat? Auf diese Weise äußern sich nun mal die Toten: Sie besetzen die Stimmen der Lebenden, weil sie der einzige Ort sind, von dem aus sie noch sprechen können.

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