Icon of French Cinema

Serie | Frankreich 2023 | 184 (6 Folgen) Minuten

Regie: Judith Godrèche

Eine französische Schauspielerin will nach zehn Jahren in Hollywood wieder in Paris Fuß fassen. Der Neuanfang ist durchsetzt von Rückblenden auf eine „Mesalliance“ ihres jugendlichen Selbst mit einem wesentlich älteren Regisseur. Als ihr die versprochene Rolle in einem Filmprojekt durch einen rachsüchtigen Freund ihres Exmannes versagt bleibt, beginnt sie selbst das Ruder in die Hand zu nehmen. Eine Miniserie, in der Schauspielerin Judith Godrèche sich selbst spielt und ihre Erfahrungen verarbeitet. In angenehm unskandalösen Bildern und einer selbstironischen, leicht entrückten Darstellung wird die Balance zwischen Naivität, Hingabe, Ausgeliefertsein und männlichen Machtmissbrauch derart fein austariert, dass manch inszenatorischer Leerlauf dieser tragikomischen Aufarbeitung verschmerzbar bleibt. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
ICON OF FRENCH CINEMA
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
CPB/A24/ARTE F
Regie
Judith Godrèche
Buch
Judith Godrèche
Kamera
George Lechaptois
Musik
Faux Amis
Schnitt
Guillaume Lauras
Darsteller
Judith Godrèche (Judith) · Liz Kingsman (Kristin) · Tess Barthélemy (Zoé) · Gina Cailin (Kim) · Alma Struve (Judith jung)
Länge
184 (6 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Serie | Tragikomödie

Eine tragikomisch-selbstironisch gefärbte Miniserie von und mit Schauspielerin Judith Godrèche, in der sie eigene Erfahrungen verarbeitet: Eine französische Schauspielerin kehrt aus Hollywood in ihre Heimat Paris zurück, doch der erhoffte Neuanfang hat seine Tücken.

Diskussion

2017 berichtete auch Judith Godrèche von ihren Erfahrungen mit Harvey Weinstein: 1996 bedrängte der mächtige US-Produzent die französische Schauspielerin während der Filmfestspiele von Cannes in seinem Hotelzimmer. Ihre Erinnerungen steuerte Godrèche als eine der Vorkämpferinnen der „MeToo“-Bewegung zuletzt in Maria Schraders Drama „She Said“ (2022) bei. Ihr eigenes, autobiografisches Projekt als Drehbuchautorin, Regisseurin und Hauptdarstellerin, die sechsteilige Miniserie „Icon of French Cinema“, reicht allerdings noch weiter zurück, richtet aber ebenso den Fokus auf Männer, deren Gutdünken ihre Schauspiel-Karriere bestimmte – bis heute.

Immer wieder begibt sich die Judith der Serie mit Ende 40 in Rückblenden auf die südfranzösische Ferieninsel Porquerolles und damit zu ihrer ersten großen Liebe: Yann, der Sohn des örtlichen Arztes, der nur wenige Jahre später an einer Erbkrankheit sterben sollte. Noch während der Beziehung wird die 14-jährige Judith in den Bann des wesentlich älteren Regisseurs ihres ersten großen Films gezogen, oder besser „hineindelegiert“. Es sind schmerzliche Erinnerungen, die die erwachsene Schauspielerin wahrscheinlich gerade jetzt einholen, wo ihr ein Neustart blüht: Mit ihrer Tochter Zoé, einer so talentierten wie hübschen Tänzerin, ist Judith frisch nach Paris zurückkehrt. Sohn Abel soll später nachkommen. Nach zehn Jahren Hollywood will die alleinerziehende Schauspielerin in ihrer Heimat wieder Fuß fassen. Eine große Traumrolle soll dabei helfen. Da wird Judith plötzlich vom koproduzierenden Sender geschasst. Judith ist raus – aus Rache für die vergangene Untreue gegenüber ihrem Exmann.

Abwesende Mütter und übergriffige Vaterfiguren

„Erinnert ein bisschen an Machtmissbrauch.“ So gibt Judith später gegenüber einem attraktiven Unbekannten zu bedenken, als dieser ihr von Konrad Lorenz erzählt. Der umstrittene Verhaltensbiologe gab sich als Mutter seiner per Hand aufgezogenen Tiere aus, um sie zu prägen und ihr Verhalten zu studieren. Das Ungleichgewicht von Macht, deren Ausübung und die Rolle abwesender Mütter und übergriffiger Vaterfiguren sind denn auch die Themen, um die sich „Icon of French Cinema“ dreht. Vom ganz normalen Wahnsinn, dem eine alternde Schauspielerin überall ausgesetzt ist, in den USA wie in Frankreich, ganz zu schweigen: Statt der vorgeschützten Rollen bei Regisseuren wie Wes Anderson oder Olivier Assayas ergattert Judith in ihrer neuen Realität höchstens mal einen Auftritt als Hamster beim Pendant von „The Masked Singer“.

Judith Godrèche verarbeitet hier ihre eigenen Erfahrungen, ließ sie sich doch als junges Mädchen tatsächlich auf eine Beziehung mit dem 25 Jahre älteren Regisseur Benoît Jacquot ein, der sie in „Die Entzauberte“ (1990) besetzte. In ihrer eigenen Serie werden Godrèches Erfahrungen von der 16-jährigen Filmtochter, gespielt von ihrer echten Tochter Tess Barthélémy, gespiegelt, als sich diese in ihren wesentlich älteren Choreografen verliebt. Die Mutter warnt und versucht zugleich, die aufkommenden Erinnerungen an die eigene Jugend zu verarbeiten – mit ihrer Therapeutin, die sie als „ideale Mutterfigur“ bezeichnet, obwohl diese eine ominöse Bekanntschaft zu ihrem Exmann zu pflegen scheint, wie auch mit den ehemaligen Therapeuten ihrer Kinder.

Auf der anderen Seite des Wohlstandsgefälles befindet sich Judiths Haushälterin Kim in ähnlichen Abhängigkeiten, wenn auch mit existentialistischeren Auswirkungen: Kein Karriereknick, sondern die Abschiebung auf die Philippinen droht der illegalen Einwanderin, sollte ihr Liebhaber sie nicht heiraten. Die aufopferungsbereite Kim ist für Judith Freundin und Verbündete, aber auch Schützling der „weißen Retterin“, wie sie Judith einmal lakonisch vor sich hinlächelnd bezeichnet.

Ein Leben zwischen Schmach und Schmeichelei

Judith Godrèche, selbst in Paris geborene Tochter zweier Psychoanalytiker, hat ihre eigenes Ich dabei selbstironisch ein wenig entrückt angelegt, gezeichnet von ihren Wunden, aber dennoch voller Lebensmut und Verspieltheit. Sie gibt sich selbst nicht auf, zeigt aber immer wieder Momente der Schwäche. Gewitzt gibt sich Judith im Sex-Talk mit ihrer befreundeten Agentin Kristin. Viel Mut zur Verstellung erweist sie beim Versuch, den Chef des renitenten Senders auf ihre Seite zu ziehen. Dabei ist die Traumrolle schon längst an Juliette Binoche gegangen.

Dass Judith mitnichten die „Ikone des französischen Films“ ist, als die sie sich zu betiteln beginnt, nachdem sie von einem Freund so genannt wurde, ist schnell klar. Judith gilt eher als „zweite Reihe“, davon spricht ihre wechselhafte, auch mit wenig rühmlichen Rollen durchsetzte Karriere und die Seltenheit, mit der sie tatsächlich als „DIE Godrèche“ erkannt wird. Es ist ein Leben zwischen Schmach und Schmeichelei, das Judith in Paris zu führen beginnt. Immer im Schatten von Weltstars wie Juliette Binoche und unter Mitnahme zahlreicher Fettnäpfchen, die erahnen lassen, warum es, abseits des Talents, im Filmgeschäft für sie vielleicht nicht immer ganz glatt gelaufen ist.

Komplexe Gratwanderung

Vor allem die Szenen, in denen Judith den Choreografen ihrer Tochter auf seine potentielle Homosexualität testet oder ihren Exmann in flagranti beim Blow-Job durch genau jenen Mann erwischt, der ihr die große Rolle raubte, kippen vom Komischen ins Alberne. Was sich vielleicht damit erklären lässt, dass sich Judith Godrèche, die sich 13 Jahre nach ihrem Debütfilm „Toutes les filles pleurent“ erneut in die Doppelrolle als Hauptdarstellerin und Autorenfilmerin begibt, thematisch und handwerklich sehr viel vorgenommen hat.

Auf der anderen Seite verhandelt „Icon of French Cinema“ hintergründig und in zurückhaltenden Bildern emotional geprägte Abhängigkeitsverhältnisse. „Vielleicht bin ich nicht der Typ für ‚Dick-Pics‘“, gibt Judith einmal mit echtem Bedauern zu bedenken, als sie von Kim die ungefragt zugesandten Penis-Bilder ihres Liebhabers gezeigt bekommt. In Godrèches Aufarbeitung geht es nicht um justiziable Übergriffe oder moralische Empörung, sondern um die komplexe Gratwanderung aus dem durchaus legitimen Bedürfnis, begehrt zu werden, auch aus jugendlicher Hingabe heraus, und dem Ausnutzen dieses Ungleichgewichts durch wesentlich erfahrenere Männer. Vor allem aber geht es um das Wegsehen der Verantwortlichen, nämlich von Judiths Eltern. Hier, in den fein verästelten Irritationen zwischen Eltern und Kind hat „Icon of French Cinema“ seine größten Stärken – und das lässt einen auch über manch inszenatorische Unbeholfenheit hinwegsehen.

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