Biopic | USA 2024 | 500 (zehn Folgen) Minuten

Regie: Todd A. Kessler

Die Zeit der deutschen Besetzung von Paris und die Jahre unmittelbar nach der Befreiung der Stadt hinterlassen auch bei in der französischen Haute Couture tiefe Spuren. Im Zentrum stehen die egozentrische Mode-Diva Coco Chanel und der noch wenig bekannte Christian Dior. In großer Ausführlichkeit folgt die Serie den Wegen der beiden Modeschöpfer durch Paris und Lausanne, zeigt Kollaboration und Widerstand, Eitelkeit und Meisterschaft, die Licht- und die Schattenseiten eines Lebens für die Mode. In der ersten Hälfte kommen die inneren Nöte der Figuren zugunsten eines etwas reißerischen Kriegstableaus etwas zu kurz. Nicht alle Zuspitzungen sind historisch belegt. Insgesamt überzeugt die Serie aber durch einen ungewöhnlichen Blickwinkel auf die Zeitgeschichte und einnehmende Darstellerleistungen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE NEW LOOK
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Apple Studios
Regie
Todd A. Kessler · Helen Shaver · Julia Ducournau · Jeremy Podeswa
Buch
Todd A. Kessler · Jason Rabe · Matthew Fantaci · Carter Harris
Kamera
Jaime Reynoso
Musik
James S. Levine
Schnitt
Jesse Overman · Aaron Kuhn · Jacob Waxler
Darsteller
Ben Mendelsohn (Christian Dior) · Juliette Binoche (Coco Chanel) · John Malkovich (Lucien Lelong) · Maisie Williams (Catherine Dior) · Emily Mortimer (Eva Colozzi)
Länge
500 (zehn Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Biopic | Drama | Historienfilm | Serie
Externe Links
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Historische Serie über die Welt der Pariser Haute Couture während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg und unmittelbar nach der Befreiung durch die Alliierten.

Diskussion

„Dass jemand ein Mörder ist, sagt noch nichts über seinen (Prosa-)Stil aus.“ Solche Aphorismen à la Oscar Wilde beschreiben prägnant das kognitive Dilemma, in das man gerät, wenn das abgrundtief Böse schneidig-schön und unter makelloser Oberfläche daherkommt. Die Vorstellung der klassischen Ästhetik, dass das Gute und Wahre auch schön und das Schöne auch gut und wahr sein müsse, ist mit der Moderne ins Wanken geraten. Das gilt auch für die Serie „The New Look“ von Todd A. Kessler, einem erzählerisch ehrgeizigen und inhaltlich anspruchsvollen Exkurs in die Geschichte der Mode in Zeiten des Krieges. In zehn einstündigen Episoden wird hier mit den Protagonisten der französischen Haute Couture - und ganz wesentlich durch ihre Augen - die Zeit der deutschen Besetzung von Paris und unmittelbar nach der Befreiung (1940-1947) anschaulich zu machen versucht.

Coco Chanel versus Christian Dior

Als die beiden geeignetsten Pole, um den Strom der Erzählung aufrechtzuerhalten und Spannung zu erzeugen, wählt das Drehbuch die bereits etablierte, radikal egozentrische und durchsetzungsfähige Mode-Diva Coco Chanel (Juliette Binoche) und den ebenfalls nicht mehr ganz jungen, aber noch wenig bekannten Designer Christian Dior (Ben Mendelsohn), der mit sich und seiner Berufung noch nicht im Reinen ist. Die Serie führt dabei allerdings eher ihre menschlich-moralische Gegensätzlichkeiten vor als die ästhetisch-konzeptionellen Unterschiede ihrer Kreationen.

Kollaboration im Krieg leiht sich viele verschiedene Gesichter und Gestalten –edel sind sie alle nicht. Während Dior als Angestellter des Modehauses von Lucien Lelong (John Malkovich) in „machtgeschützter Innerlichkeit“ (Thomas Mann) Kleider anfertigt, deren oft teutonischen Trägerinnen er lieber nicht begegnen möchte, rühmt Chanel sich, ihre Werkstätten für den Feind geschlossen zu halten. Allerdings wird bald offenbar, dass sich ihre Position in dem Unternehmen einzig dem Umstand verdankt, dass sie ihre jüdischen Teilhaber, die Gebrüder Wertheimer (Charles Berling; Jérôme Robart), mit dem „Arier-Paragraf“ aus dem Geschäft um das Pariser Goldwasser Chanel No. 5 und aus dem Land gedrängt hat.

Kreative in der moralischen Zwickmühle

Als der Krieg andauert und immer totalitärer alle Lebensbereiche bestimmt, sehen sich Chanel, Dior und die Ihren einer existenzialistischen Entscheidung gegenübergestellt: entweder sich selbst durchbringen, auch wenn dies einen Pakt mit dem Teufel bedeutet, oder aber, auch als Künstler, nach einem moralischen Kompass zu suchen und eventuell das eigene Leben oder das seiner Angehörigen für die gute, richtige Sache riskieren.

Paris, die Stadt des freien Geistes, scheint unter solchen Verhältnissen besonders zu leiden. Die Schande der faulen Kompromisse und die Scham derer, die sie beständig eingehen müssen, ist allgegenwärtig. Der Kontakt mit der amoralischen Macht, so suggeriert es „The New Look“, korrumpiert notwendigerweise gerade die Künstlerseele.

Dior bringt sich und seinen Lebensgefährten Jacques (Davis Kammenos) in höchste Gefahr, als er seine Wohnung der Résistance öffnet; seine Schwester Catherine (Maisie Williams) wird von der Gestapo verhaftet, grausam gefoltert und schließlich ins KZ Ravensbrück verschleppt – ein tiefes Trauma für den hilflos und mit heftigen Schuldgefühlen zurückbleibenden Bruder. Coco Chanel hingegen tut, immer unter dem Vorwand, alles nur fürs Geschäft zu unternehmen, mehr, als nötig wäre, um den braunen Machthabern willfährig zu sein. Sie beginnt eine gegenseitig gewinnbringende und bald auch erotische Beziehung mit dem adligen Weltmann Hans Günther von Dincklage (Claes Bang), eine historisch verbürgte „liaison dangereuse“; das Drehbuch lässt sie aber auch vor zwanglosem Geplauder mit dem Spionagechef Walter Schellenberg (Jannis Niewöhner) oder dem Reichsführer SS Heinrich Himmler (Thure Lindhardt) nicht zurückschrecken – alles stets in der Belétage des Hôtel Ritz, bei reichlich Champagner, versteht sich.

Von reißerischen Büchern befeuert

Hier wie auch in der Darstellung der Beziehung Chanels zu Vera (Elsa) Lombardi (Emily Mortimer) weicht die Serie aber stark von belegbaren Fakten zugunsten biografischer Fiktionen ab, die von reißerischen Büchern über Chanel befeuert worden zu sein scheinen, etwa Hal Vaughans „Sleeping with the Enemy“. Auch in der Darstellung der Deutschen wäre etwas mehr historisches Feingefühl sicher angebracht gewesen.

Während Dior leise, kopfscheu und in stummer Verzweiflung in der Krise kreative Schübe erlebt und daran arbeitet, „Freude zu schaffen aus gebrochenem Herzen“, überschüttet Chanel unter falschzüngigen Jubelrufen die einrückenden Alliierten mit Schampus. Es sind vor allem die im Verlauf der Serie immer häufiger und immer abrupter werdenden Schnitte zwischen den Erzählebenen, die Chanel in ihrer Eigensucht und Taktlosigkeit geradezu monströs erscheinen lassen. Man müsste mit ihrer Vita und der von Lombardi vertrauter sein, um entscheiden zu können, ob diese Darstellungen groteske Karikaturen oder präzise Porträts hemmungsloser Egomaninnen sind.

Das Glück und das Schicksal wenden sich schließlich. Die französischen Autoritäten recherchieren jeden Kollaborationsverdacht minutiös und sind mit drakonischen Strafen gerade gegenüber Frauen nicht zimperlich. Chanel zieht es vor, in der neutralen Schweiz zu bleiben; was ehedem das Ritz war, ist nun das Beau Rivage in Lausanne. Dennoch arbeitet sie zäh an der vollständigen Wiedererlangung ihres Imperiums. In diesem Zusammenhang kommt es zur grotesken Szene, in der Chanel den Holocaust implizit mit der Frauendiskriminierung auf eine Stufe stellt – Pierre Wertheimer ins Angesicht! Auch von Dincklage hat noch zwei folgenschwere Auftritte, bevor sich der Fokus der Serie endgültig auf Dior richtet und das Versprechen des Titels final eingelöst wird.

Dior ist der Mann der Stunde

So wie die (US-)Alliierten zur Befreiung des alten Kontinents nötig waren, so ist es am Ende die mächtige Chefredakteurin von „Harper’s Bazaar“, Carmel Snow (Glenn Close), die als Sachverständige in Fragen des guten Geschmacks Christian Dior zum endgültigen Durchbruch verhilft, indem sie einen demonstrativen Auftritt bei seiner ersten Schau als Chef seines eigenen Modehauses hinlegt. Hier laufen dann alle Fäden für Dior zusammen und ergeben zum Schluss ein versöhnliches (Gesellschafts-)Bild. Seine Präsentation ist ein voller Erfolg, er ist der Mann der Stunde! Allein der intensive, vielsagende Blick, den sich John Malkovich und Glenn Close hier in ihren Rollen über die Länge des Raumes – und 150 Jahre französische Kulturgeschichte seit Choderlos de Laclos‘„Gefährliche Liebschaften“ – hinwegzuwerfen, rechtfertigt so manche Ausführlichkeit des Drehbuchs.

Licht und Farben kehren zurück auf den Schirm und in das Leben der Menschen; die Stimmung hebt sich merklich. Auch die des stets wie unter einem melancholischen Schatten stehenden Dior. Er lernt zu delegieren, wird teamfähig und kommt als moderner Chef zu sich. Das ermöglicht ihm endlich auch, sein persönliches Lebensrätsel zu lösen und auf eine Formel zu bringen: „Creation was survival“, dass ich schaffen konnte, ließ mich überleben.

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