Exchange - Ein Leben für ein Leben

Drama | Ukraine 2022 | 90 Minuten

Regie: Volodymyr Kharchenko-Kulykovskyi

In den Kriegswirren des Jahres 2016, als der Donbas vom Konflikt zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Kräften erschüttert wird, soll der entführte Sohn eines ukrainischen Chirurgen gegen ein hohes Lösegeld wieder freigelassen werden. Doch die Geldübergabe scheitert. Der verzweifelte Vater versucht das Leben des Jungen zu retten und wird darüber immer mehr in die gewalttätigen Auseinandersetzungen hineingezogen, mit denen er eigentlich nichts zu tun haben wollte. Ein schwermütiges Kriegsdrama über den Riss, der seit 2014 durch die Ostukraine geht. Die Reflexionen über die innerukrainischen Brüche verlieren sich allerdings in einer recht schlichten Genregeschichte um einen Vater, der angesichts der Bedrohung seines Kindes rot sieht. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
OBMIN
Produktionsland
Ukraine
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Kinokompaniia 2016
Regie
Volodymyr Kharchenko-Kulykovskyi
Buch
Kostiantyn Linartovych · Vlad Dudko
Kamera
Serhii Bordeniuk
Musik
Nadiia Odesiuk
Schnitt
Serhii Klepach · Oleksii Shamin
Darsteller
Viacheslav Dovzhenko · Yehor Kozlov · Dmytro Linartovych · Vasyl Basha · Anna Adamovych
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Kriegsfilm
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Heimkino

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Drama über den kriegerischen Konflikt in der Ostukraine 2016, festgemacht an einem Vater, dessen erwachsener Sohn von prorussischen Separatisten entführt wird.

Diskussion

Der russische Oberst (Vasiliy Basha) macht unmissverständlich klar, um was es in diesem Krieg geht. Der Chirurg Alexander (Viacheslav Dovzhenko) solle ihm sagen, wie man die Krim von den Ukrainern abschneiden könne. Wie soll die Operation verlaufen? Alexander aber will nur seinen Sohn aus den Händen der Separatisten befreien. Mit dem militärischen Konflikt hat er sonst nichts zu tun, auch wenn er sich mitten in den Wirren des Donbas im Jahr 2016 befindet. Sein Sohn Kostja (Egor Kozlov) hat sich ohne sein Wissen als Freiwilliger der ukrainischen Armee angeschlossen, um sein Land vor der russischen Übernahme zu schützen. Während eines Einsatzes wurde er verletzt und gefangen genommen.

Die prorussischen Kräfte sehen eine Chance, ihre Kriegskasse durch eine enorme Lösegeldforderung aufzufüllen. Doch die Geldübergabe scheitert, weil die russischen Befehlshaber statt Kostja einen anderen Mann freigeben. Die ukrainische Armee greift ein. Schüsse fallen. Schließlich findet sich Alexander im Wagen eines schwer verletzten Separatisten wider. Weil er dessen Leben rettet, beschließt der Vater des Soldaten, dem Arzt helfen. Die beiden Männer lassen sich auf ein gefährliches Spiel mit dem russischen Oberst ein, der über das Gebiet wie ein Warlord herrscht und seine eigenen Regeln aufstellt.

Ein Riss geht durch die Ukraine

Regisseur Vladimir Kharchenko-Kulikovskiy hat „The Exchange“ in Kenntnis der Eskalation gedreht, die der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine im Frühjahr 2022 erlebt hat. Dem Film haftet deshalb die Atmosphäre einer unheimlichen Anbahnung an. Er wirft ein hartes Schlaglicht auf einen Konflikt, der sich seit der Maidan-Revolution 2013 zugespitzt hat. Die prorussischen Kräfte wollten den Verlust ihrer Macht nicht hinnehmen. Mit der Annektierung der Krim im Frühjahr 2014 bildetet sich in der Donbas-Region eine Front, an der sich ukrainische Streitkräfte und Freiwilligen-Bataillone ehemaligen Landsleuten gegenübersahen, die ihre Zukunft in die Hände russischer Unterstützer gelegt haben.

Dieser Riss, der die Ukraine durchzieht, reicht tief in die Seelen der Menschen. Aus Nachbarn wurden Feinde, die von unterschiedlichen Gruppen ausgespielt werden. Die Grenzen zwischen Militär und paramilitärischen Kampfgruppen, deren Wurzeln bis ins organisierte Verbrechen reichen, lösen sich zunehmend auf.

Es kommt nicht von ungefähr, dass es „The Exchange“ zunächst vermeidet, eine der beiden Seiten als gut und makellos zu zeigen. Bevor Kostja den Separatisten in die Hände fällt, versuchten er und sein Freund, eine Gefangenschaft vorzutäuschen, um von Kostjas Vater Lösegeld zu fordern. Der schenkte dem mysteriösen Anruf zunächst aber keine Beachtung. Doch seine Sorgen wuchsen, und schließlich wandelte sich der egoistische Spaß in blutigen Ernst.

Mit Waffen lässt sich der Konflikt nicht lösen

Die Darstellung von Familie und ihren Krisen wird in „The Exchange“ mit dem militärischen Konflikt und dessen existenziellen Dimensionen kurzgeschlossen. Alexander und Kostja sind einander zu Beginn des Films völlig entfremdet. Der Vater hat die Mutter verlassen und ist mit einer Kollegin liiert. In der Kernfamilie ist es zu einer Abspaltung gekommen, zu einer Distanznahme, wie sie sich im großen Stil auch im nationalen Rahmen vollzieht.

Zu wem oder zu welcher Nation fühlt man sich zugehörig? Wer ist ein richtiger Ukrainer? Wem gehört das Land? Im Kampf um Antworten – und um Land und Leben –, in der kriegerisch gewendeten Frage nach Zugehörigkeit und Heimat, wiederholt sich die Familienfrage.

All das sind Themen, die in ihren reaktionären Dimensionen seit dem Aufstieg der AfD auch in Deutschland eine immer größere Rolle spielen. In „The Exchange“ führt dies aber zu allzu einfachen Antworten. Der Film ruft die „Heilige Familie“ als heilende Kraft an. Alexander will zwar nicht im Namen der Ukraine kämpfen, doch für seinen Sohn, sein eigen Fleisch und Blut, überschreitet er die Schwelle zur Gewalt und befeuert damit den Teufelskreis der Aggressionen.

Wenn die Kamera am Ende in die Landschaft einer hügeligen Steppe blickt, an deren Horizont die grünen Wälder in den Himmel ragen, klingen nachdenkliche Töne an. Die familiäre Seelenlandschaft wird zur Kriegsebene voller Narben, Zerrüttungen und Schmerz. Fast könnte man meinen, Kharchenko-Kulikovskiy schwebte eine Art Psychoanalyse vor, die sich selbst noch mitreflektiert. Mit Waffen allein lässt sich dieser Krieg nicht gewinnen; zunächst müssten all die Enttäuschungen durchgearbeitet werden, die in der Ukraine zur separatistischen Bewegung vor der russischen Agitation geführt haben.

Solche reflexiven Momente haben es aber schwer, sich gegen die Genre-Elemente des Filmes zu behaupten. Insbesondere das letzte Drittel verstolpert sich auf dem unwegsamen Gelände generischer Action- und Kampfszenen, wobei vor allem die russischen Antagonisten mit groben Strichen dämonisiert werden. Das mag aus der politischen Realität heraus nachvollziehbar sein, führt aber dazu, dass der Film allzu unterkomplex ausfällt und den Krieg zum austauschbaren Hintergrundrauschen macht. Ein Sohn wird entführt, sein Vater sieht rot. Über diese Formel pinselt Kharchenko-Kulikovskiy eilig die Flagge der Ukraine. Das kann nicht über den dünnen, mitunter reaktionären Unterbau von „The Exchange“ hinwegtäuschen.

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