Chantal im Märchenland

Fantasy | Deutschland 2024 | 123 Minuten

Regie: Bora Dagtekin

In einem überdrehten Spin-off zu den „Fack ju Göhte“-Schulkomödien wird die prollige Titelfigur, nunmehr eine Möchtegern-Influencerin, von einem magischen Spiegel in ein Märchenland gezogen. Vordergründig herrscht dort eine traditionelle Geschlechterverteilung, doch die junge Frau sorgt mit mehr Glück als eigener Überzeugung dafür, dass die (Märchen-)Geschichte und ihre fest zementierten Rollenbilder emanzipatorisch umgeschrieben werden. Garniert mit inflationär gebrauchten Schimpfwörtern aus dem Genitalbereich, frönt die Persiflage dem Fettnäpfchen-Humor und lärmenden Dialoggefechten. Einige gewitzte Drehbucheinfälle können nicht verhindern, dass die an sich ambitionierte Botschaft durch die Zeichnung der Titelfigur untergraben wird. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Constantin Film
Regie
Bora Dagtekin
Buch
Bora Dagtekin
Kamera
Christian Rein
Musik
Eímear Noone
Schnitt
Sabine Panek · Robert Kummer · Constantin von Seld · Claus Wehlisch
Darsteller
Jella Haase (Chantal) · Gizem Emre (Zeynep) · Mido Kotaini (Aladin) · Max von der Groeben (Prinz Bosco) · Maria Ehrich (Prinzessin Amalia)
Länge
123 Minuten
Kinostart
28.03.2024
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Fantasy | Komödie | Persiflage
Externe Links
IMDb | TMDB

Überdrehtes Spin-off zu den „Fack ju Göhte“-Schulkomödien, in dem die prollige Chantal in ein Märchenland gezogen wird und festverankerte Rollenbilder umzuschreiben hilft.

Diskussion

Das Handy thront im Selfie-Modus auf dem Badezimmerspiegel, immer bereit, Chantal Ackermanns (Jella Haase) Followerschaft den neuesten „Hack“ als Live-Übertragung näherzubringen. Chantal schnappt sich den Sekundenkleber, klappt die Lippen um und klebt sie an die angrenzende Haut. Für kurze Zeit sind die absurd überdimensionierten Schlauchboot-Lippen sichtbar, die zurzeit so viele Gesichter „zieren“. Dafür ist kein Hyaluron vonnöten, aber auch kein Grips. Einmal falsch getippt, entwickelt der Sekundenkleber allerdings ein Eigenleben und klebt Chantals Lippen komplett zusammen. So entsteht ein seltener Moment hektischer Ruhe.

Denn nach diesem Einstieg in Bora Dagtekins Spin-off der „Fack ju Göhte“-Reihe wird Chantal ihren Mund nicht mehr halten. „Chanti is bäck!“, und die ist schließlich keine Unbekannte. Mit ihrem fehlerhaften, nie abbrechenden Prollo-Gequassel, knallengen Jeans und wenig kognitiven Ambitionen glänzt "Chanti" auch nach dem Abi mit wenig Wissen und großer Klappe – zu allem und zu jedem.

Schwupps in die Märchenwelt

Dabei ist Chantals Realität als Möchtegern-Influencerin im Münchner Plattenbauviertel Neuperlach recht unmärchenhaft. Mit ihrer besten Freundin Zeynep (Gizem Emre) hängt sie im Jugendzentrum herum, „weil’s hier wlan gibt, Mann!“. Während sich Zeynep auf Ausbildungsstellen bewirbt, glaubt Chantal das Versprechen des schnellen Ruhms im Internet – mit der kläglichen Zahl von 300 Followern. „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die geilste Influencerin im ganzen Land?“, fragt Chantal in einen alten, für den Wohltätigkeitsbasar gespendeten Spiegel hinein. Schwupps landet sie in einer Märchenwelt, in der ganz traditionell Männer die edlen Retter sind und Frauen willig in der Position der schmachtenden Bewunderin verweilen, während der König die Schwesternschaft der Hexen, ehemalige Hebammen und Heilerinnen, auf dem Scheiterhaufen merklich dezimiert hat. Voll vorgestrig! Chantal versucht zunächst, im Rahmen eines Influencer-Wettbewerbs die Märchenwelt als Werbefolie für einen Salz-Kaugummi zu instrumentalisieren. Blöd nur, dass sich der zu gewinnende Prinz als schwul entpuppt, und dann auch noch der Spiegel zu Bruch geht.

Das Rückreiseportal kann allein durch eine verifizierte Hexe wieder auf Vordermann gebracht werden, oder besser auf Vorderfrau, sieht man sich das eigentliche Thema der überdrehten Märchen-Persiflage an: Eine Montage alter Home-Video-Aufnahmen von kleinen Mädchen und Jungs, die ganz Gender-klassisch als Feen, Prinzessinnen oder Ritter verkleidet sind, bevölkert den Vorspann einer Geschichte, die die Geschlechter-Narrative in der Märchenwelt umkehren will. Ein sinnstiftender Ansatz, schön transportiert über eine an die wortwörtliche Kette gelegte Märchenfeder, die viel lieber die Heldinnentaten der weiblichen Figuren aufschreiben würde als die kindischen Abenteuer aus der Fantasie des Königs.

Tussi mit feministischer Botschaft

Neu ist diese Emanzipation nicht, schließlich hat selbst Disney einige coole neue Heldinnen auf die Leinwand gebracht, die jeden Prinzen an die Wand spielen. Für solch eine Geschichte ist die „Heilsbringerin“ Chantal allerdings gänzlich fehl am Platz, da sie über so viele Insignien verfügt, die sonst einer weiblich konnotierten „Tussigkeit“ zugeschrieben werden. Am Hals trägt Chantal eine goldene Halskette mit dem Wort „Fotze“, ihr Berufswunsch ist die Vermarktung des eigenen Körpers im Internet. Wie viel Feminismus lässt sich wohl verbreiten, wenn die Überbringerin ihn selbst nicht lebt?

Bis auf den Umstand, dass die selbsternannte „Bitch“ ihr tussihaftes Selbstverständnis aus der „elektrischen Welt“ mitbringt, gibt es an Chantal keine Merkmale, die sie dazu prädestinieren würden, in einer Männerwelt ihre Frau zu stehen. Selbst beim finalen Kampf gegen den Drachen braucht es neben den High-Heels-Stiefel keine Geistes- oder Muskelgröße. Stattdessen ergibt sich das edle Fabelwesen beim Vorzeigen eines über sein Konterfei gelegten Pokémon-Selfie-Filters. Was die Artus-Sage oder Aladin im Grimm’schen Märchenkosmos verloren haben, wird auch nicht ganz ersichtlich.

Überdrehtes Kuddelmuddel

„Chantal im Märchenland“ ist ganz wie das Leben der Titelheldin ein großes überdrehtes Kuddelmuddel, das gegen Ende auch noch das frechste Product-Placement des Jahres aus dem Hut zaubert, initiiert von einem zahlungskräftigen Elektronik-Hersteller und dessen neuestem Handy-Modell. Im Gegenzug werden dann (nicht sonderlich gelungene) Spezialeffekte und ein erstaunliches Schaulaufen von Darstellern aufgefahren, die man in solch einem Komödien-Klamauk nicht erwartet hätte: Jasmin Tabatabai, Alexandra Maria Lara, Nora Tschirner und auch Frederick Lau als garstig scheiternder Tafelrunden-Anwärter Artolf.

Humor daraus zu ziehen, dass die Märchenwelt mit Begriffen wie „Fotze“ oder „Fuckface“ bislang keinen Kontakt hatte und diese inflationär als neue Trendwörter nutzt, gehört zum bekannten Pennäler-Ansatz, der in der „Fuck ju Göhte“-Reihe der jugendlichen Zielgruppe ärgerlicherweise zugeschrieben oder besser zugemutet wird. Erfolgreich ist es trotzdem. 20 Millionen Zuschauer zogen die drei „Fack ju Göhte“-Filme ins Kino. Ein Spin-off aus wirtschaftlichen Gründen ist also schlüssig. Was das über die deutsche Filmförderung aussagt, das klingt allerdings nicht nach „Happily ever after“, sondern nach „Fack ju Grimm“!

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