Drama | Deutschland/Österreich 2024 | 138 (fünf Episoden) Minuten

Regie: Ulrike Kofler

Eine alleinerziehende Frau um die vierzig soll mit ihrem Dildo einen Mann vergewaltigt haben. Die Vorwürfe werden in den Köpfen schnell zu Tatsachen und ein Schauprozess gegen die resolute Feministin beginnt. In der fünfteiligen Mini-Serie wird die Hauptfigur in eine sexistische Gesellschaft geworfen, die Frauen von Kindesbeinen an in eine Rolle zwischen Unterordnung, Fremdbestimmung und braver Vorzeigbarkeit drängt. Die Protagonistin weigert sich jedoch, das gängige Rollenbild zu akzeptieren, und nimmt sich unverfroren heraus, was für Männer als normal gilt, wodurch die Serie mit plakativer Übertreibung zu einer pointierten Groteske über Gleichberechtigung wird. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SEXUELL VERFÜGBAR
Produktionsland
Deutschland/Österreich
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Majestic Filmprod./Dor Film/Viafilm
Regie
Ulrike Kofler
Buch
Caroline Rosales · Timon Karl Kaleyta
Kamera
Robert Oberrainer
Musik
Malakoff Kowalski
Schnitt
Christoph Loidl
Darsteller
Laura Tonke (Michaela "Miki" Walter) · Florian Stetter (Benjamin "Ben" Sellmann) · Merlin Sandmeyer (Heini) · Svenja Jung (Bianca Sellmann) · Hanno Koffler (August von Modersohn)
Länge
138 (fünf Episoden) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung | Serie
Externe Links
IMDb | JustWatch

Frei nach Caroline Rosales’ gleichnamigem Buch kreist die Serie um weibliche Identität, den gesellschaftlichen Einfluss darauf und eine Hauptfigur, die unverfroren dagegen aufbegehrt.

Diskussion

Mit unsicherem Blick betritt die zweifache Mutter Miki (Laura Tonke) eine vollbesetzte Sauna. Dicht an dicht sitzen nackte Männer, wie Männer eben sitzen: breitbeinig und beiläufig majestätisch. Trotz der ungewollten Einblicke macht Miki keinen Rückzieher, sondern steht als alleinige Frau im Raum ihren Mann, wenn man so will. Die abgedroschene Redewendung ist in diesem Fall zufälligerweise treffend, das bestätigt ein flinker Schnitt in Mikis Schritt: Sie hat sich mit Strap-on vor der Tribüne voller Männer aufgebaut, mit umgeschnalltem Dildo also, schwarze Ledergurte und XXL-Silikon auf Augenhöhe der ersten Zuschauerreihe. Ausnahmsweise starrt mal niemand auf ihre Brüste. Genüsslich setzt sie sich hin, sortiert den Schritt und schließt entspannt die Augen. Verschämt schielt ein älterer Herr ihr zwischen die Beine: anerkennendes Nicken.

So plakativ wie die Metaphern ist auch der Titel der fünfteiligen Mini-Serie: „Sexuell verfügbar“ basiert auf den gleichnamigen Memoiren der Autorin Caroline Rosales, die 2019 mit ihrem wütenden Buch analysierte, wie eine sexistische Gesellschaft Frauen und Mädchen von Kindesbeinen an in eine Rolle zwischen Unterordnung, Fremdbestimmung und braver Vorzeigbarkeit drängt und damit kleinhält. Die titelgebende sexuelle Dauerverfügbarkeit, die das mit sich bringt, wird so zur politischen Gemengelage, in der Missbrauch, Erziehung und Feminismus fließend ineinander übergehen: Ist es eine Frage der Höflichkeit, dem netten Onkel ein vermeintlich unschuldiges Küsschen auf die Wange zu drücken, und ab wann schickt es sich, „Nein!“ zu sagen? Wo liegt die Grenze zwischen eigenem Wollen und unerhörter Renitenz?

„Penisneid!“

Für die Serie hat Rosales gemeinsam mit dem Schriftsteller Timon Karl Kaleyta ein fiktives Alter Ego entwickelt und in eine Situation geworfen, die irgendwo zwischen Midlife-Crisis, Selbstbehauptung und #MeToo-Diskurs wabert. Miki Walter ist auf dem Papier durchschnittlicher Durchschnitt: Um die vierzig, geschieden, zwei Kinder. Und doch weicht sie damit von der Norm ab, weil sie sich weigert zu akzeptieren, dass ihr Leben und ihre Karriere zwischen Ehe und zwei Kindern stecken geblieben ist. Deshalb hat sie nun einen jungen Lover, der die meiste Zeit im knappen Metallic-Slip die Hausarbeit macht und Nanny spielt (herrlich als Millennial mit dem dümmlich-harmlosen Namen Heini: Merlin Sandmeyer, der als Ladendetektiv in die „Die Discounter“ schon für einige Cringe-Momente sorgte), während Miki versucht, sich als Werberegisseurin einen Namen zu machen, obwohl sie immer wieder sexistische Projekte vorgesetzt bekommt. Sohn Max wird in der Schule gemobbt, weil er als einziger Junge gerne tanzt, Tochter Lilo ist ganz nach der Mutter geraten und gilt deshalb als vorlaut und ungezogen. Die anderen Mütter lästern hinterrücks über Miki, die sich einfach nicht mit ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter begnügen wolle, „Penisneid!“ so die einhellige Meinung.

Weil „Sexuell verfügbar“ #MeToo konsequent invertiert, ist es nur folgerichtig, dass Mikis bestes Stück auch juristisches Beweisstück wird: Sie soll mit dem Dildo einen Mann vergewaltigt haben. Was aus ihrer Sicht einvernehmlicher Gelegenheitssex mit Spielzeug war, ist für den Immobilienhai August Modersohn (Hanno Koffler) Anlass für einen Schauprozess, um seine sexuellen Vorlieben vor seiner Ehefrau nicht zugeben zu müssen. Ein Seitensprung scheint gesellschaftlich akzeptabler als ein Mann, der sich freiwillig penetrieren lässt. Den Seitenhieb gegen jegliche Form der queeren Sexualität nimmt er natürlich gerne mit. August münzt den Vergewaltigungsvorwurf dann um in einen Beweis für gelebte Gleichberechtigung: Wenn Frauen dieselben Rechte einforderten, dann müsse man auch über männliche Opfer sexualisierter Gewalt sprechen. Von Anfang an ist klar: Hier schlagen alle einander gegenseitig mit den eigenen Waffen und halten sich dabei für besonders gewitzt und schlau. Gut davonkommen wird eigentlich niemand.

Lilo Wanders & Dr. Bitch Ray rücken Miki den Kopf zurecht

Laura Tonke spielt diese Miki dennoch herrlich nahbar. Hin- und hergerissen zwischen an Selbstaufgabe grenzender Selbstoptimierung und den eigenen Bedürfnissen trägt sie die Schizophrenie der Grundsituation nach außen, die wohl viele Frauen kennen. Die widersprüchlichen Stimmen im Hinterkopf visualisieren Rosales und Kaleyta mit einem launigen Kunstgriff: In sepiagefärbten Rückblenden hält Mikis Mutter dem Mädchen Sellerie-Sticks statt Schokolade hin, kommentiert mit strenger Stimme ihren herausgestreckten Kinderbauch im Ballettunterricht und konditioniert sie auf das gängige, natürlich heteronormative, Schönheitsideal – schlank, von Jungs begehrt, ergo erfolgreich. Gegen dieses Ideal reden dann jedoch gleich mehrere Stimmen an. In Cameo-Auftritten erscheinen Miki queer-feministische Ikonen und rücken ihr beizeiten auch den Kopf zurecht: Dragqueen Lilo Wanders, die mit der Sendung „Wa(h)re Liebe“ zur Kultfigur wurde, Rapperin Dr. Bitch Ray und Komikerin Ines Anioli. Man glaubt beinahe, Jane Goodall zu hören: „Es braucht eigentlich nicht viel, um als schwierige Frau zu gelten, deshalb gibt es ja so viele von uns.“

Mikis Saunabesuch also ist nicht nur plakative Provokation, sondern ein pragmatischer Feldversuch. Glich zuvor jeder Fußweg einem Spießroutenlauf aus Remplern und Ellenbogenhieben, weil Frauen für die breitschultrige „Hier komm ich“-Haltung der Männer weitestgehend unsichtbar sind, bekommt sie nun zumindest manchmal anerkennendes Nicken.

Eine pointierte Groteske über Gleichberechtigung

Ihr brachialer Schenkelklopfer-Humor ist entlarvende Methode, und bisweilen geht man ihr trotzdem selbst auf den Leim. Dann findet man Miki in ihrer selbstverständlichen Blasiertheit nervig bis peinlich und wünscht sich einfach mehr Respekt und Benehmen – und genau darum geht es letztlich: Das Benehmen ist immer daneben, egal, ob Mann oder Frau. Was allerdings für Männer als normales Verhalten durchgeht und sie zu kernigen Kerlen macht, wird zum Aufreger, wenn Miki es sich wie einen Dildo umschnallt: Im Restaurant bestellt sie selbstverständlich für ihr Date mit, spricht den Kellner mit „Schätzchen“ an und palavert ausschließlich über sich selbst. Selbstwirksamkeit oder Penisneid? Alles eine Frage der Perspektive.

Möglicherweise hätten die Wut und der Frust dieses umgekehrten Sexismus nicht mehr als die fünf halbstündigen Folgen von „Sexuell verfügbar“ getragen. Als Nummern-Revue plakativer Übertreibung ist die Serie jedoch eine pointierte Groteske über Gleichberechtigung, die ein absurdes System sich nur als Deckmäntelchen übergeworfen hat und an internationalen Feiertagen mehr schlecht als recht zurechtzupft.

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