Nelly & Monsieur Arnaud

- | Frankreich/Italien/Deutschland 1995 | 104 Minuten

Regie: Claude Sautet

Die Beziehung zwischen einer Frau, deren junge Ehe vor dem Scheitern steht, und einem älteren Mann. Mit einfühlsamen Beobachtungen beschreibt der Film ihre unmögliche und uneingestandene Liebe, die zahlreichen Momente der Selbsttäuschungen im täglichen Miteinander. Ein mit sparsamen Mitteln inszenierter Film, der auf großartige Darsteller und ein psychologisch bis in die Nuancen stimmiges Drehbuch vertrauen kann. Bei aller Ernsthaftigkeit lebendig und mit stillem Humor gezeichnet. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
NELLY ET M. ARNAUD
Produktionsland
Frankreich/Italien/Deutschland
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Les Films Alain Sarde/TF 1/Cecchi Gori Group/prokino
Regie
Claude Sautet
Buch
Claude Sautet · Jacques Fieschi · Yves Ulmann
Kamera
Jean-François Robin
Musik
Philippe Sarde
Schnitt
Jacqueline Thiédot
Darsteller
Emmanuelle Béart (Nelly) · Michel Serrault (Monsieur Arnaud) · Jean-Hugues Anglade (Buchverleger) · Michael Lonsdale (Monsieur Dollabella) · Michèle Laroque (Isabelle)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Als Monsieur Arnaud in seinem Stammcafé an den Tisch einer Freundin gerufen wird, beginnt einer der schönsten und subtilsten Liebes-filme der letzten Jahre. Sofort hat der in die Jahre gekommene Mann nur noch Augen für Nelly, seine Bekannte wird zur Nebenfigur. Arnaud, der schon seit langer Zeit von seiner Frau getrennt lebt, steht eigentlich jenseits von Gut und Böse, hat mit seinen Mitmenschen abgeschlossen und, was Gefühle betrifft, nichts mehr zu verlieren. Denkt er! Deshalb bietet er Nelly auch umstandslos an, für ihre Mietschulden aufzukommen: Eine freundliche Geste, die ihn nicht ruiniert, ein formaler Ausdruck für die Sympathie, die er empfindet und die bei einem Mann seines Alters ja wohl auch nicht mißverstanden wird. Nelly lehnt zunächst ab. Doch ihrem Mann erzählt sie am Abend, sie habe das Geld angenommen. Schon die Eingangssequenz des Films hat den Zuschauer auf die Krise zwischen beiden hingewiesen. Vielleicht ist es ihr letzter Versuch, ihn aus der Reserve zu locken. Er jedoch reagiert nicht. Nelly beschließt daraufhin die Trennung, nimmt am nächsten Tag das Angebot Arnauds an und unterstützt ihn sogar bei der Bearbeitung seiner Memoiren.

Später wird Nelly ein weiteres Mal in die Situation kommen, eine Flunkerei nachträglich in die Realität umzusetzen. Das ist die Crux mit den Gefühlen: man glaubt, man hat sie unter Kontrolle, man taktiert und inszeniert - und plötzlich verselbständigt sich das Szenario. Das, was man sagt, ist plötzlich nicht mehr das, was man meint; weil man das, was man meint nicht mehr sagen zu dürfen, glaubt, um das, was man fühlt, sich selbst aber nicht eingestehen will, nicht zu verraten. Zumindest so ungefähr. Erst, wenn man sich vollends in der Verhüllung der eigenen Gefühle verfangen hat, besteht wieder die Möglichkeit einer Begegnung.

Claude Sautet behauptet nichts - er beobachtet ganz einfach. Man wird nicht ganz schlau aus den Figuren, aber wie sollte man auch. Was hat es mit dem seltsamen Monsieur Dollabella auf sich, Arnauds altem Bekannten aus skrupellosen Geschäftstagen? Eine Begleichung alter Rechnungen, Erpressung? Deshalb auch Arnauds Verkauf der wertvollen Bibliothek? Sautet legt falsche Fährten, läßt seinen Figuren ihre Geheimnisse und widersprüchlichen Motive. Arnaud ist ein selbstbewußter, in vieler Hinsicht antiquierter Herr, der sich mit der Isolation abgefunden zu haben scheint. Aber er tut das - anders als der Geigenbauer Stéphane in "Ein Herz im Winter" (fd 30 445) - mit Witz und einer Portion Selbstironie. Und doch wird er vor Nelly oft zum kleinen Jungen, produziert sich, kokettiert und nimmt sich gleichzeitig verbal wieder zurück, weil nicht sein kann, was nicht sein darf: ein alter Mann und eine junge Frau. Das verleiht Nelly Macht über ihn, kompensiert sowohl den Standes - als auch den Altersunterschied. Und doch läßt sie sich auf eine kurze Affäre mit Arnauds jungem Verleger ein.

Für den alten Herrn in seiner aufgesetzten Abgeklärtheit ist das so selbstverständlich wie für seine Gefühle ernüchternd. Dabei hat er mit seiner gespielten Gleichgültigkeit diesen Moment selbst heraufbeschworen. Statt sich zu seinen Gefühlen zu bekennen, übte er sich in der Kunst geschickter (Selbst-)Täuschung.

Nach "Ein Herz im Winter" übertrifft sich Claude Sautet ein weiteres Mal im Minimalismus der filmischen Mittel (bis hin zu relativ sparsam eingesetzter Filmmusik). Statt auf großen Aurwand setzt er auf eine relativ bühnenhafte Inszenierung, die das ganze Interesse der Zuschauer auf die verschlungenen und uneingestandenen Gefühle seiner Figuren konzentriert. Aufrichtigkeit und psychologische Raffinesse bestimmen das Drehbuch des Films, werden aber von einem pointiert-lebendigen Humor geschickt ausbalanciert. So entsteht in keinem Moment der Eindruck, man stehe vor einem Stück "grauer Theorie" - im Gegenteil. Die Vitalität des Films kommt, dank großartiger Leistungen der Darsteller, aus dem Inneren der Figuren, aus der Widersprüchlichkeit ihres Denkens und Fühlens. Er ist zeitlos, unverwechselbar europäisch, ohne jeden Anflug von Kitsch, und doch, zumindest in Frankreich, ein beachtlicher Kinoerfolg. Das macht ihn noch faszinierender.
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