Das Geheimnis der Braut

- | USA 1995 | 95 Minuten

Regie: Kayo Hatta

Um dem sozialen Elend zu entfliehen, verließen Anfang des 20. Jahrhunderts Frauen aus Korea, Okinawa und Japan ihre Heimat und siedelten nach Hawaii über. Nur auf der Grundlage von Fotografien ihrer zukünftigen Ehemänner wagten sie den Exodus. Doch statt Wohlstand und Geborgenheit erwarteten sie meist harte Arbeit und Abhängigkeit. Der episch angelegte vielschichtige Debütfilm zeichnet sowohl die Charaktere als auch das soziale Milieu glaubhaft nach. Weder idealisierend noch kitschig, fesselt er durch die einfühlsame Entwicklung der Geschichte. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
PICTURE BRIDE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Miramax/Thousand Cranes
Regie
Kayo Hatta
Buch
Kayo Hatta · Mari Hatta
Kamera
Claudio Rocha
Musik
Mark Adler
Schnitt
Lynzee Klingman · Mallory Gottlieb
Darsteller
Youki Kudoh (Riyo) · Akira Takayama (Matsuji) · Tamlyn Tomita (Kana) · Cary-Hiroyuki Tagawa (Kanzaki) · Toshirô Mifune (Benshi)
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.

Diskussion
Picture Brides nannte man in Japan Anfang dieses Jahrhunderts Mädchen, die nur auf der Grundlage von Fotografien ihrer künftigen Männer nach Hawaii übersiedelten, um dort zu heiraten. Mehr als 20.000 Eheschließungen kamen auf diese Weise zustande. Ein Exodus, dessen Ursache im sozialen Elend des japanischen Mutterlandes wurzelte. Versuche, das alte Feudalsystem in einen modernen Staat umzuwandeln, waren in Massenarbeitslosigkeit und Instabilität gemündet. Die japanischamerikanische Regisseurin Kayo Hatta hat in ihrem Debüt diesen historischen Hintergrund nun erstmals für einen Spielfilm aufgegriffen. Und sie wandte sich damit auch den eigenen biografischen Wurzeln zu: das Schicksal der Protagonisten ist dem ihrer Großeltern nachempfunden.

Riyo geht als 16jährige den Weg von Japan nach Hawaii. Als Vollwaise, die in Yokohama von Verwandten abhängig ist, erscheint ihr die Übersiedlung nicht als Ideal, wohl aber als sinnvolle Alternative. Bei der Einwanderungsbehörde in ihrer neuen Heimat sieht sie sich einem Mittvierziger gegenüber, der so gar nicht dem Foto entspricht, und dem der damals beigelegte romantische Haiku auch nicht so recht zuzutrauen ist. Aber es gibt nun kein Zurück mehr. Nach der Massentrauung folgt der nächste Schock: das Anwesen ihres Mannes Matsuji erweist sich als karge Hütte inmitten ungastlicher Wildnis. Schon am nächsten Morgen beginnt die unerbittlich harte Lohnarbeit in den Zuckerrohrplantagen. Unter der rigiden Aufsicht europäischer Vorarbeiter werden nun täglich mehr als 10 Stunden in den Pflanzungen verbracht, Monatslohn: 11 Dollar. Äußeres Zeichen dieser rücksichtslosen Ausbeutung sind Kennmarken aus Metall, die die Arbeiter am Hals tragen müssen. Riyo, das Mädchen mit der Nummer 3939, erlebt all dies zunächst unter der Betäubung des Kulturschocks. Bald setzt sie alles daran, so viel Geld wie möglich zurückzulegen, um schnellstens nach Japan zurückkehren zu können. Die Kommunikation mit ihrem Mann beschränkt sich aufs Notwendigste - immerhin akzeptiert er ihre Zurückgezogenheit im Rahmen des Möglichen und tut ihr keine Gewalt an. Vor allem durch die Freundschaft zur Außenseiterin Kana vermag sich Riyo langsam mit der Situation zu arrangieren. Ihre Erlebniswelt wird trotz aller Härten reicher. Ganz langsam gewinnt auch die Beziehung zwischen Riyo und Matsuji an Differenzierungen: eine zaghafte gegenseitige Annäherung beginnt sich zu entfalten.

Anders als der deutsche Verleihtitel nahelegt, geht es nicht um irgendwelche verborgenen Leidenschaften, dunkle Vergangenheiten oder gar Intrigen. Gerade durch die stark epische Anlage des Plots gelingt es ja, die Charaktere der beiden so unterschiedlichen Menschen, die sich auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind, glaubhaft zu modellieren. Ein Kino der Blicke und Gesten, nicht der Worte und Aktionen. In archaischen Zyklen vollzieht sich der Alltag, geprägt von elementarem Kräften: Sonnenauf- und - Untergang, Aussaat und Ernte, Feuer, Sturm, Ebbe und Flut. Dennoch werden die Figuren nicht zu Kreaturen reduziert, deren Handeln angesichts der Urgewalten irrelevant bleiben muß. Gerade in existentiellen Situationen, so vermittelt der Film glaubhaft, kommt dem Tun des einzelnen entscheidendes Gewicht zu. Dies wird auch durch die sehr genaue Zeichnung der sozialen Parameter deutlich. Sie sind von Menschen gemacht und werden von Menschen durchlitten. Als die Praktiken der Plantagenbesitzer unerträglich werden, entschließen sich die Landarbeiter zum Streik - eine undramatisch entworfene, dabei aber absolut nachvollziehbare Episode. Wie andere Ereignisse dient sie der inneren Struktur der Personen, nicht zum Vorantreiben der äußeren Handlung. Langsam kommt sich das Paar näher; dank der vielschichtigen Erzählung ist es dem Zuschauer vergönnt, diesem Prozeß unmittelbar beizuwohnen. Das Kunststück des Films besteht darin, niemals ins Idealisierende, geschweige denn Kitschige abzugleiten. Er kreist um ewige Themen wie Einsamkeit und Geworfenheit, bleibt aber dicht am konkreten Fall. So ist "Das Geheimnis der Braut" ein entschieden unamerikanischer Film. Obwohl er 1995 auf dem Sundance-Festival einen Preis als "Bester Film" (Drama) erhielt, wird er es wohl an den Kinokassen schwer haben. In einer kleinen Szene übrigens erlebt man Toshiro Mifune, den darstellerischen Altmeister des japanischen Kinos: als wandernder Filmvorführer zeigt er den Landarbeitern kurze Stummfilme von kämpfenden Samurais! Ohne dem Film als Ganzes damit Unrecht tun zu wollen: allein schon wegen dieser Minuten lohnt sich ein Kinobesuch.
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