Raining Stones

Drama | Großbritannien 1993 | 91 Minuten

Regie: Ken Loach

Ein 40-jähriger Arbeitsloser in einer nordenglischen Industriestadt verschuldet sich, um seiner Tochter das Kommunionskleid kaufen zu können. Nach dem Tod des skrupellosen Geldverleihers rettet ihn vor allem der Zuspruch des Pfarrers. Ein mit stillem Humor und anrührender Menschlichkeit entwickelter Film, der voller Zuneigung und Verständnis vom täglichen Überlebenskampf in einem wirtschaftlich heruntergekommenen Land, vom drohenden Verlust menschlicher Würde und von der Hoffnung auf eine "höhere Gerechtigkeit" erzählt. (Auch O.m.d.U.; Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
RAINING STONES
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Parallax/Film Four
Regie
Ken Loach
Buch
Jim Allen
Kamera
Barry Ackroyd
Musik
Stewart Copeland
Schnitt
Jonathan Morris
Darsteller
Bruce Jones (Bob) · Julie Brown (Ane) · Gemma Phoenix (Coleen) · Ricky Tomlinson (Tommy) · Tom Hickey (Pater Barry)
Länge
91 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Für den 40jährigen Bob ist das Leben in einer nordenglischen Wohnsiedlung unweit von Manchester längst zum täglichen Drahtseilakt geworden. Ohne Aussicht auf feste Arbeit muß er tagein, tagaus improvisieren und die unterschiedlichsten Hilfsarbeiten annehmen, nicht selten am Rande der (Klein-)Kriminalität. Einziger Lichtblick in seinem Leben: seine Frau Anne und ihre gemeinsame Tochter Coleen. Doch nun steht die Erstkommunion des Mädchens bevor, für Bob der wichtigste Tag in Coleens Leben; dazu braucht man eben auch das traditionelle weiße Festkleid, doch das kostet eine für Bob und Anne kaum vorstellbar hohe Summe. Pater Barry, der weiß, daß sich viele mittellose Arbeiterfamilien in so einer Situation rettungslos verschulden, will vermitteln: es müsse ja nicht ein neues Kleid sein, Liebe und Glauben seien ohnehin wichtiger. Doch für Bob geht es um (noch) mehr: das bestmögliche Kommunionskleid für Coleen ist für ihn die "Nagelprobe" seiner Existenz. Irgendwann ist das Geld irgendwie da. Anne glaubt Bob, der erklärt, daß es aus einem Wettgewinn stammt, doch als mit brutaler Drohgebärde der Geldverleiher Tansey in ihre Wohnung eindringt und sie und Coleen in Angst und Schrecken versetzt, weiß sie, daß Bob sich hoch verschuldet hat. Nach diesem Angriff auf seine kleine Familie ist für Bob das Faß übergelaufen, er will sich zur Wehr setzen. Er bewaffnet sich mit einem großen Schraubenschlüssel und lauert Tansey auf.

Das Leben einfacher, durchschnittlicher Menschen ergründen und erklären zu wollen, das ist seit über 25 Jahren Ken Loachs filmisches Credo, dem er auch mit "Raining Stones" prinzipiell treu geblieben ist. Immer noch bleibt ihm dabei nichts anderes über, als die Ausweglosigkeit dieser Menschen, ihre fehlenden Berufs - und Zukunftsaussichten in einem Land der wirtschaftlichen Dauerkrise festzustellen. Nichts hat sich gebessert seit den 60er Jahren, als Loach zu filmen begann ("Poor Cow - geküßt und geschlagen", 1967, fd 15 180), im Gegenteil, denn damals registrierte er zumindest Spuren von Solidarität unter den sozial Benachteiligten, ihre Bereitschaft, sich im Miteinander zu verstehen und ihre Situation zu erkennen. Heute leben die Menschen in extremer Vereinzelung, man blickt aus der Ferne auf die Misere des anderen. Anne sagt einmal: "Man kann hier leben und sterben, keiner merkt es." Und auch sie blickt vom Gang vor ihrer kleinen Wohnung auf die Straße, beobachtet aus der Ferne, ähnlich wie man wahrscheinlich auch sie beobachtet. Und so weiß man vieles über die anderen und ihre schlechte Situation, das ist es dann aber auch schon.

Nun ist Loach ein Beobachter, der angesichts solch düsterer Wirklichkeit weder damals noch heute resigniert. Anders aber als in seinen frühen Filmen, die er eindringlich und wirklichkeitsnah im nüchternen Stil des "Free Cinema" realisierte, bereitet er die Realität in "Raining Stones" ganz anders auf. Das Geschehen ist weitaus "spielfilmhafter" verdichtet, Loach lenkt auf eindrucksvolle, bewegende Weise die Gefühle des Zuschauers für die Figuren, spielt geschickt mit dramatisierenden Spannungselementen, die er gegen Ende, wenn Bob seinen unüberlegten Rachezug startet, sogar mit Versatzstücken des Krimis anreichert. Auch Bob im Zentrum aller Ereignisse ist eine Figur, die weiter entwickelt wird als bisherige Protagonisten Loachs, die erst am Ende zu positiver Lebenseinstellung fanden. Bob indes ist von Beginn an ein im Grunde optimistischer, zum täglichen Arbeitskampf bereiter Mann, eine Art Stehaufmännchen, dessen Energie nicht zuletzt aus seiner Liebe zu Anne und Coleen gespeist wird. Wenn er zu Beginn mit seinem Freund Tommy ein Schaf fängt, das sich dann als Hammel herausstellt, den sie sich obendrein nicht selbst zu töten trauen, wenn er mit dem Angebot, Abnüsse zu reinigen, hausieren geht und schließlich sinnbildhaft bis zum Halse im Kot steckt, oder wenn er vor dem "Klub der Konservativen" den Rasen aussticht, um ihn anderweitig wieder einzupflanzen, dann sind dies Szenen mit burleskem Anstrich, geprägt von der grimmig-humorigen Bereitschaft, den miesen Umständen noch etwas Heiteres abzugewinnen.

Doch solche Fähigkeit zur täglichen Selbstmotivation hat ihre Grenzen, und an die stößt Bob, als er seine Würde nicht länger zum Spielball seines Überlebenskampfes machen kann. Coleens Kommunionskleidchen wird zum Dreh- und Angelpunkt, und um dessen Kauf zu ermöglichen, tut er etwas, was er unter "normalen" Bedingungen nie getan hätte: er verschuldet sich. Im Prinzip verlagert er dabei sein Ausgeliefertsein "nur" von einem abstrakten (Staats-)System auf ein konkretes Abhängigkeitsverhältnis. Doch das wird nun von einer Person repräsentiert und hat damit einen Namen: Tansey. So meint sich Bob endlich wehren zu können, indem er der brutalen Ausbeutung des sadistischen Geldverleihers Einhalt gebietet. Loach macht klar, daß Bobs Reaktion zwar verständlich, zugleich aber fatal ist. Immer düsterer und beklemmender werden die Bilder der nächtlichen Verfolgung, bis Bob Tansey stellt und dieser in einer fast schon tragischen Situation zu Tode kommt. Wie weit hat sich Bob dabei am Tod eines Menschen schuldig gemacht? Bemerkenswerterweise beantwortet Loach diese Frage außerhalb jeder Staatsgewalt, der er offenbar kein Gespür für Gerechtigkeit und Gnade zubilligt. Und so ist es Pater Barry, der den zum Aufgeben bereiten Bob neu aufbaut und ihn eindringlich ermahnt, nicht Familie und Freiheit zu opfern. "Sie sind kein schlechter Mensch, Bob", sagt er, "Sie wollen nur Gerechtigkeit."

Aber wie sieht diese Gerechtigkeit heute aus? Auf offener Straße streiten sich jugendliche Junkies um den "Stoff, Familien zerbrechen, manche Menschen begehen Selbstmord. Keine Arbeit, keine Zukunft. Da bleibt in der Tat fast nur der Glaube an eine "höhere Gerechtigkeit", wird der Glaube selbst zum wappnenden Schutzschild, zum Mittel des Widerstandes, das in auswegloser Lage hilft zu überleben. Loach ist mit solch argumentativer Konsequenz gewiß nicht unter die religiösen und/oder spirituellen Filmemacher gegangen, aber er registriert unübersehbar die Bedeutung des Glaubens für die Menschen, quasi "als Stock, auf den man sich stützen kann" (Drehbuchautor Jim Allen), dem in gewissem Sinne auch eine soziale Kraft innewohnt, aus der sich Hoffnung, Würde und vielleicht auch eine produktivere Art von Zorn beziehen lassen. Ob Loach damit den Boden der Wirklichkeit verlassen hat und "nur" noch eine Utopie konstruiert? In jedem Fall ist "Raining Stones" eine zauberhafte kleine Hymne auf den Willen zu überleben im wirtschaftlich heruntergekommenen Europa der 90er Jahre, erzählt mit stillem Humor, anrührender Menschlichkeit und großer Zuneigung zu den Menschen.
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