Blue Note - A Story of Modern Jazz

Musikfilm | Deutschland/USA 1997 | 93 (TV 115) Minuten

Regie: Julian Benedikt

Dokumentation über das legendäre Jazz-Label "Blue Note". Mit mehr als 1000 Veröffentlichungen trug die 1939 von den deutsch-jüdischen Emigranten Alfred Lion und Francis Woolf in New York gegründete Firma maßgeblich zur Etablierung des Jazz in der Hochkultur bei und machte die Musik nicht zuletzt in Europa bekannt. So wie die berühmten Fotografien von Francis Woolf oder die wegweisenden Cover-Gestaltungen von Gel Melle und Reid Miles gleichberechtigt zum Gesamtkonzept von "Blue Note" gehörten, so offensiv fusioniert der Film seine verbalen, visuellen und akustischen Bestandteile. Eine gelungene Hommage an die Pioniere des Jazz. (Teils O.m.d.U.) - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
BLUE NOTE - A STORY OF MODERN JAZZ
Produktionsland
Deutschland/USA
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
EuroArts Entertainment/SDR arte/BRAVO/Danmarks Radio/EMI Blue Note/EMI Toshiba
Regie
Julian Benedikt
Buch
Julian Benedikt
Kamera
William Rexer II
Schnitt
Andrew Hulme
Länge
93 (TV 115) Minuten
Kinostart
07.11.2019
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Musikfilm | Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Die Geschichte des weltberühmten New Yorker Jazz-Labels "Blue Note" beginnt 1925 in Berlin. Im Admirals-Palast am Bahnhof Friedrichstraße gerät ein 16jähriger rollschuhfahrender Flaneur zufällig in das Konzert der "Sam Woo-ding's Chocolate Dandies": Einen solchen Sound hatte der junge Mann bis dahin noch nie gehört, er ist frappiert, wenig später begeistert - er wird diesen Beat niemals mehr los. Denn seit jener Initialzündung "groovte" es im Leben von Alfred Lion, so der Name des jugendlichen Rollschuhfahrers. Nach seiner Emigration 1938 in die USA richtet er sein Augenmerk sofort auf das pulsierende Musikleben New Yorks, nimmt Kontakt zu zahlreichen Künstlern auf. Bereits 1939 erscheint dann die erste "Blue Note"-Platte, eine Session mit den Boogie-Woogie-Pianisten Albert Ammons und Meady Lux Lewis. Nachdem sein Freund Francis Wolf 1941 zur Firma stößt, vervielfacht das Unternehmen seine Aktivitäten - der Rest ist Legende. Unter der Regie des Duos Lion/Wolf werden mehr als 1000 Alben eingespielt, die meisten dieser Platten gelten heute als Klassiker des modernen Jazz. Namen wie Sidney Bechet, Thelonious Monk, Bud Powell, Art Blakey, Miles Davis, Sonny Rollins oder Horace Silver sprechen für sich.

Wie kamen ausgerechnet zwei jüdische Emigranten aus Deutschland dazu, zu den wichtigsten Katalysatoren für afroamerikanische Musik zu werden? War es der distanzierte europäische Blick, der sich in der Lage zeigte, jene Kostbarkeiten zu entdecken, die bis dahin von den weißen US-Amerikanern ignoriert worden waren? War es die Suche nach dem Blues, der die Trauer über die verlorene Heimat ausdrückt, wie Hermann Haarmann im Film nahelegt? Baute also das Gefühl der Geworfenheit in eine fremde Welt jene entscheidende Brücke zwischen Lion/Wolf und den schwarzen Musikern? Julian Benedikt bietet in seinem Film eine ganze Reihe von Antworten an, verfällt aber dennoch nicht der Versuchung, die Frage nach der Motivation polemisch in den Mittelpunkt zu stellen. Überhaupt hält sich der Regisseur wohltuend mit erklärenden Kommentaren zurück, läßt lieber Zeitzeugen zu Wort kommen und räumt ansonsten viel Platz jener Musik ein, um die es letztendlich geht. Nein, seine Dokumentation ist beileibe keine kulturtheoretische Abhandlung; in ihren stärksten Momenten gewinnt sie vielmehr die traumwandlerische Rhythmik des Jazz. Mit sicherer Hand vermag die Montage (Andrew Hulme) die verschiedenen Elemente zu einer eigenständigen, neuen Qualität zu verschmelzen, Musik, Interviews, Archivmaterial und atmosphärische Bilder aus New York und Los Angeles gewinnen ein hohes Maß an Dynamik und Harmonie. Julian Benedikt kann sich dabei zugute halten, selbst ein von Bill Saxton ausgebildeter Saxophonist zu sein. Und Bertrand Taverniers im Film getätigter Ausspruch, daß große Regisseure wie Jazzmusi-ker arbeiten, nämlich intuitiv, kann durchaus auch auf den Regisseur von "Blue Note" angewandt werden. Grenzüberschreitung als ästhetisches Prinzip ist sowohl Benedikt als auch den porträtierten Jazz-Pionieren eigen. So wie die berühmten Fotografien von Francis Wolf oder die wegweisenden Cover-Gestaltungen von Gel Melle und Reid Miles gleichberechtigt zum Gesamtkonzept von "Blue Note" gehörten und dies erst zum epochalen Ereignis machten, so offensiv fusioniert der Film seine verbalen, visuellen und akustischen Bestandteile. Trotz kaum vorhandener Filmaufnahmen der beiden Jazz-Verleger - Francis Wolf verstarb 1971, Alfred Lion 1987 - gelang auf diese Weise ein über große Strecken packendes filmisches Doppelporträt. Zwar hätte man sich über den familiären Hintergrund bzw. die europäischen Wurzeln von Lion und Wolf durchaus mehr Informationen erhofft (und daß hier lediglich Brigitte Mira und Hans Borgelt als Zeitzeugen herhalten müssen, die einmal mehr den Mythos der brodelnden Kulturmetropole Berlin vor 1933 beschwören, befriedigt in keiner Weise und wirkt auch ein wenig gesucht), aber vielleicht hätte eine Ausweitung auf diese Aspekte die Grenzen des vorliegenden Konzepts gesprengt. Die Arbeit, die Julian Benedikt geleistet hat, wurde auch im Ursprungsland des Jazz dankbar registriert. Für seine lebendige Hommage an die "einzige authentische amerikanische Kultur" (Gil Melle) erfolgte in diesem Jahr die "Grammy"-Nominierung als bester Musikfilm
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