Sainkho - Die moderne Nomadin

Dokumentarfilm | Deutschland 2002 | 80 Minuten

Regie: Erica von Moeller

Dokumentarfilm über die sibirischstämmige Sängerin Sainkho Namtchylak, die traditionelle Klänge ihrer Heimat mit aktueller westlicher Musik zu teils sanften, teils exzessiven Experimenten vereinigt. Er lässt sie und ihre Tochter aus ihrem bewegten Leben erzählen, begleitet sie auf einer Tournee und schließlich in die sibirische Heimat. Ruhig und zugleich differenziert legt er die Widersprüche und Ängste seiner Hauptfigur offen, ohne sie erklären zu wollen, womit er aber gerade auch das Zustandekommen ihrer ungewöhnlichen Musik fassbar macht. (O.m.d.U.) - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Colonia/Label 131
Regie
Erica von Moeller
Buch
Erica von Moeller
Kamera
Daria Moheb Zandi · Hajo Schomerus
Musik
Sainkho Namtchylak
Schnitt
Gesa Marten
Länge
80 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb

Diskussion
Ihr Aussehen verstört, ihre Stimme ebenso. Bei einem Stadtbummel reißt sich die sibirischstämmige Sängerin Sainkho Namtchylak ihre Perücke vom Kopf und legt einen nahezu kahl rasierten Schädel frei. Später, auf einer Konzertbühne in England, offenbart sie ihr musikalisches Spektrum von traditionellen Klängen der Heimat über Ambient und Trance bis hin zu mit Jazz-Elementen unterlegten Stimmexperimenten: Schreien und Flüstern wechseln sich ab, unverständliche, teils unartikulierte Laute mit Satzfetzen und Melodien. Ihre Stimme kann ebenso schrill und durchdringend sein wie sanft und einschmeichelnd. Sainkho hat einen ganz eigenen Weg gefunden, die Musik der Taiga, die manchmal fernöstliche Anklänge aufweist, besonders aber einen geradezu überirdischen Obertongesang, mit aktuellen Stilrichtungen des Westens zu verknüpfen. Mit dieser Rezeptur im Gepäck reist sie seit Jahren durch die Welt. In ihrem ersten Dokumentarfilm hat die Regisseurin Erica von Moeller die eigentümliche und eigensinnige Frau begleitet und porträtiert.

Einst, in den 1970er-Jahren, ging Sainkho mit gerade 20 Jahren nach Moskau, um die Musik der Welt kennen zu lernen. Sie wurde Mutter und sogleich mit der Tochter allein gelassen, die später nach Wien zog, um zu studieren, wo auch Sainkho inzwischen ein kleines Appartement besitzt. Zwischen diesen engen Verhältnissen und einigen sehr großen Bühnen steckt von Moeller die Welt der Sängerin ab, die inzwischen Großmutter ist und im Alltag so unscheinbar und zerbrechlich wirkt. Tatsächlich hat das Leben deutliche Spuren hinterlassen: die frühe Trennung, die traumatische Erfahrung, von betrunkenen Frauen in der eigenen Wohnung schwer verletzt worden zu sein, aber auch die Ferne zur Heimat, die Heimatlosigkeit. Ängste treiben sie an, wie sie vor der Kamera erzählt, auch Todesängste. Dann wieder trotzt sie tapfer allen Umständen und lacht darüber – und wird von ihrer Tochter bis heute dafür bewundert: „Wie eine Göttin“ sei die Mutter ihr als Kind vorgekommen. Bezeichnend ist auch die Reise ins heimische Tuva, wo noch viele Leute in Zelten auf den Hochebenen Sibiriens leben. Eben noch sah man Sainkho als dominante, ja herrische Chefin ihrer Band, offen bekennend, dass sie ihre Musiker teilweise nur 50-prozentig für fähig hält, sie zu begleiten. Jetzt wirkt sie sehr bescheiden und zurückhaltend. Selbst bei dem kurzen Auftritt in Tuva bleibt sie brav sitzen, singt einige heimische Lieder und zieht sich ohne ein Wort zurück. Später sieht sie sich zu Hause ein Familienalbum an: Genauso gut könnte sie, wie ihre Schwestern, noch immer hier in der Steppe wohnen.

Es sind diese Widersprüche, die der Film beschreibt und offen lässt, die ein facettenreiches Bild der Sängerin entstehen lassen, ebenso uneinheitlich und faszinierend wie die Musik, die vor dem Hintergrund der Biografie zunehmend fassbarer wird. Sainkhos Klangexperimente wirken immer mehr wie Versuche, die radikal verschiedenen Heimaten und Lebenswelten zu vereinigen oder wenigstens einander anzunähern, gefiltert durch eigene Erfahrungen, die Sainkhos exzessiv auf der Bühne wiedergibt. Mehr als zwei Jahre haben die Regisseurin und die Sängerin miteinander verbracht, um den Film entstehen zu lassen, der an der Kölner Kunsthochschule für Medien fertig gestellt wurde. Der Film erklärt nichts, lässt fast nur Mutter und Tochter erzählen, aber am Ende hat man das Gefühl, trotz der kurzen, an verschiedenen Orten aufgenommenen Schlaglichter einen tiefen Blick in ein Leben geworfen zu haben, das eine gehörige Portion Mut erfordert hat, der sich wiederum auf der Bühne in entfesselte Energie verwandelt.

Kommentar verfassen

Kommentieren