Drama | Deutschland 2010 | 119 Minuten

Regie: Tom Tykwer

Eine Kulturmoderatorin und ein Kunsttechniker in Berlin sind seit langem ein Paar und führen eine harmonische, aber stagnierende Beziehung. Sie verlieben sich in denselben Mann, ohne dass der jeweils andere von dieser Liebe weiß. Die Affäre liefert neue Impulse, stellt aber auch die Liebe auf eine harte Probe. Tragikomisch erzähltes Dreiecksdrama, das als direktes experimentelles, bis zuletzt offenes Spiel über die "kreativen" Möglichkeiten innerhalb normierter Beziehungsmodelle fasziniert und dank der vorzüglichen Darsteller überzeugt. Allzu viele Verweise, Bezüge und Handlungselemente über Kunst und Kultur als wesentliche Bestandteile des Lebensentwurfs überstrapazieren allerdings das dramaturgische Gerüst. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
X Filme Creative Pool/WDR/ARD Degeto/arte
Regie
Tom Tykwer
Buch
Tom Tykwer
Kamera
Frank Griebe
Musik
Tom Tykwer · Johnny Klimek · Reinhold Heil · Gabriel Mounsey
Schnitt
Mathilde Bonnefoy
Darsteller
Sophie Rois (Hanna) · Sebastian Schipper (Simon) · Devid Striesow (Adam) · Annedore Kleist (Lotte) · Angela Winkler (Hildegard)
Länge
119 Minuten
Kinostart
23.12.2010
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
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Diskussion
Dreiecksbeziehungen, so populär sie im Kino auch sind, werden eigentlich immer als verdoppelte (heterosexuelle) Zweierbeziehung erzählt – ein Mann zwischen zwei Frauen, eine Frau zwischen zwei Männern –, alles andere kommt im bürgerlichen Mainstream kaum vor (und im deutschen Autorenkino erst recht nicht). Dass Tom Tykwer, der sich in seinen Großproduktionen „Das Parfum“ (fd 37 785) und „The International“ (fd 39 126) nicht gerade durch experimentelles Kino hervorgetan hat, nun einen „kleinen“ Film über eine Beziehung jenseits konventioneller Modelle und heterosexueller Normen gemacht hat, wirkt zunächst einmal recht sympathisch. Es gibt aber noch mehr, was Tykwers „Drei“ liebenswert macht: Da ist die fantastische Sophie Rois, die den Film mit ihrer Hyperenergie, Schrulligkeit und überspannten Intelligenz bereichert, zum anderen das ungebremste Vergnügen am Einfall, an der Idee, am Unabgesicherten. Ob das dann immer gut funktioniert, ist eine andere Frage. „Drei“ – das sind Hanna und Simon und Adam. Doch zunächst beginnt der Film zu zweit, mit der Kulturmoderatorin Hanna und dem Kunsttechniker Simon, einem kinderlosen Paar in Berlin, das an einem latent krisenhaften Punkt in seiner 20-jährigen Beziehung – und in der Mitte seines Lebens – angelangt ist. Liebe ist zwar immer noch da, aber die Leidenschaft ist einer etwas behäbigen Vertrautheit gewichen. Eine konkrete gemeinsame Vision gibt es nicht mehr – außer irgendwie zusammen weiter zu machen. In dieser Situation verlieben sich beide, ohne voneinander zu wissen, in denselben Mann. Adam Born (!) ist Stammzellenforscher und ein Phänomen an Ungebundenheit, Anpassungsfähigkeit und Hybridität. Er liebt Männer und Frauen gleichermaßen, jongliert leichtfüßig zwischen wechselnden Partnern und seiner Ex-Familie, zwischen Stammzellenkonferenz, Theater, Chor und Kneipe, Fußballplatz und Segelschiff – eine schwer greifbare Figur, mysteriös-entrückt und doch zugleich bodenständig. Dass sich Hanna und Simon dasselbe Objekt der Begierde auswählen, passt in seiner Überkonstruiertheit in Tykwers Weltbild: Von Zufällen und Bestimmung hat der Regisseur in anderen Filmen ausführlich und mitunter auch schicksalsschwanger erzählt. In „Drei“ streift Tykwer diesen bedeutungsschweren Ballast jedoch komplett ab und tauscht ihn gegen ein experimentelles, bis zuletzt offenes Spiel über die „kreativen“ Möglichkeiten innerhalb normierter Beziehungsmodelle. Denn Hanna und vor allem Simon machen in ihren Affären neue Erfahrungen, die sie aus ihrer Stagnation befreien und die auch auf ihr eigenes Liebesverhältnis erneuernd wirken. Erst als Hanna schwanger wird, taumeln alle Beteiligten ins Chaos. Sehr direkt und unverklemmt erzählt Tykwer von der sich anbahnenden Dreiecksbeziehung und vom schwulen Sex in der Umkleidekabine eines Schwimmbads. Die sexuelle Orientierung seiner Figuren macht er dabei angenehmerweise nicht zum Gegenstand, auch wenn die „Sätze danach“ doch ein bisschen nach Diskurstheater klingen. „Du musst Dich von deinem deterministischen Biologieverständnis verabschieden“, sagt Adam im heruntergekochten René-Pollesch-Slang zu dem verwirrten Simon. Überhaupt ist „Drei“ mit Referenzen zu Theorie und Film, Literatur, Theater und Tanz überladen. Tykwer entwirft hier nicht zuletzt ein Porträt der kreativen Berliner Forty-Somethings, die sich mit einer großen Selbstverständlichkeit zwischen Berliner Ensemble, Gropiusbau und Badeschiff bewegen und Kultur zu ihrem primären Bezugssystem erklärt haben. Doch nicht immer fügen sich diese Bezüge – ein Theaterstück von Robert Wilson, die Kunst von Jeff Koons etc. – mit der behaupteten Alltäglichkeit in die Erzählung ein. Manches wirkt zu ausgestellt, um nicht in die Falle des Prätentiösen zu geraten (oder nicht ausgestellt und konsequent genug, um als Diskursfilm durchzugehen). Neben dem kulturellen Framework gibt es noch eine ganze Reihe anderer Themen, die mal mehr, mal weniger angerissen werden, angefangen vom Afghanistan-Krieg, der Schleierdebatte, über Stammzellenforschung bis zu Sterbehilfe. Zu den zahlreichen Plotabzweigungen wie dem Bauchspeicheldrüsenkrebs der Mutter oder dem Hodenkrebs von Simon kommen noch allerhand formale Spielereien wie schwarz-weiße Traumsequenzen, Split-Screen-Einstellungen, Fotoroman-Sequenzen, eine ironisch kommentierende Off-Stimme, mediale Metaebenen wie Hannas Kultursendung etc. Unter der Fülle an Material, an Ideen und „Fußnoten“ findet der Film dann aber kaum zu einer organischen Form, wirkt verzettelt, überfrachtet, mitunter auch etwas verquasselt, aber vor allem findet der vorgelebte experimentelle Lebensentwurf ästhetisch keine adäquate Entsprechung. Trotz aller visuellen Experimentierfreude wirken die Bilder immer eine Spur zu gediegen und glatt. So ähnelt „Drei“ einer vollgestopften Wühlkiste, die man mit geteiltem Vergnügen durchstöbert – einiges davon würde man lieber als überflüssigen Plunder verwerfen, über andere Funde hingegen ist die Freude groß.
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