Hereafter - Das Leben danach

Drama | USA 2010 | 129 Minuten

Regie: Clint Eastwood

Drei Menschen werden mit der Frage konfrontiert, ob es ein Leben nach dem Tod gibt: Eine französische Journalistin hat ein Nahtod-Erlebnis; ein Junge aus London verliert seinen Zwillingsbruder; ein in San Francisco lebender Mann versucht, trotz seiner Fähigkeit, als Medium mit Toten in Kontakt zu treten, ein normales Leben zu führen. Im Zentrum der zunächst parallel montierten, sich später kreuzenden Geschichten stehen keine Spekulationen über das Jenseits; vielmehr fragt der Film, wie die Konfrontation mit dem Tod das Leben verändert. Das mit ruhiger, unaufgeregter Anteilnahme inszenierte Drama zeichnet eindringliche Porträts von Figuren, die an einem Wendepunkt ihres Lebens nach Orientierung suchen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HEREAFTER
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Amblin Ent./The Kennedy-Marshall Company/Malpaso Prod.
Regie
Clint Eastwood
Buch
Peter Morgan
Kamera
Tom Stern
Musik
Clint Eastwood
Schnitt
Joel Cox · Gary Roach
Darsteller
Matt Damon (George) · Cécile de France (Marie Lelay) · Jay Mohr (Billy) · Bryce Dallas Howard (Melanie) · George McLaren (Marcus/Jason)
Länge
129 Minuten
Kinostart
27.01.2011
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs sowie ein Feature mit einem alternativen Filmende (8 Min.).

Verleih DVD
Warner (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Warner (16:9, 2.35:1, dts-HDMA engl., DD5.1 dt.)
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Diskussion
Das unentdeckte Land, von des Bezirk/Kein Wandrer wiederkehrt“: Wenn schon mit britischen Klassiker-Zitaten gearbeitet wird, dann wäre – sollte man meinen – Shakespeares „Hamlet“ die angemessene Wahl in einem Film mit dem Titel „Hereafter“, in dem das Leben nach dem Tod eine Rolle spielt und eine Figur (anscheinend) mit den Geistern der Toten kommuniziert. Doch George, eine der drei Hauptfiguren, bevorzugt Charles Dickens. Wenn er abends allein in seiner Wohnung auf dem Bett liegt, läuft als Hörbuch „David Copperfield“; später unternimmt er eine Reise nach London, besucht Dickens’ Wohnhaus und hört bei der Londoner Büchermesse zu, wie der Schauspieler Derek Jacobi aus „Little Dorrit“ vorliest. In einem Interview begründete Drehbuchautor Peter Morgan diese Dickens-Hommage in „Hereafter“ schlicht mit seiner persönlichen Vorliebe; darüber hinaus scheint es aber bezeichnend, dass es gerade Dickens als ganz in seiner Lebenswirklichkeit verankerter Erzähler facettenreicher, sozialkritischer Gesellschaftspanoramen und lebensvoller Charaktere ist, der hier herbei zitiert wird – ein Signal dafür, dass „Hereafter“ letztlich nur so weit dem Transzendenten zugeneigt ist wie etwa auch Dickens’ „Weihnachtsgeschichte“: Der Blick über die Grenze des Lebens hinaus lehrt vor allem etwas über die Bedeutung des Lebens vor dem Tod. Zwei Katastrophen bilden den Auftakt: In Südostasien gerät die erfolgreiche französische Fernsehjournalistin Marie, die mit ihrem Liebhaber Urlaub macht, beim Einkaufen auf dem Bazar in die Fluten des Tsunamis von 2004. Sie wird vom Wasser mitgerissen, ertrinkt beinahe und hat ein Nahtoderlebnis, kann aber gerettet werden. Wieder in Paris, lässt sie das Geschehene nicht los; der Anschluss an ihr altes Leben will nicht gelingen. Also nimmt sie sich eine Auszeit von ihrer Karriere und beginnt, an einem Buch zu arbeiten – in dem es, anders als mit dem Verlag abgesprochen, nicht um eine kritische Biografie von François Mitterand geht, sondern um Grenzerfahrungen Sterbender, die ihrer eigenen Erfahrung gleichen. In London verliert ein Junge aus sozial maroden Verhältnissen, Marcus, seinen Zwillingsbruder: Dieser gerät, während er einen Einkauf für die alkohol- und drogensüchtige Mutter erledigt, unter ein Auto. Die Mutter kann Marcus angesichts ihrer eigenen Haltlosigkeit in seinem Schmerz keine Stütze sein; das Sozialamt bringt ihn deshalb bei Pflegeeltern unter. Der stille Junge lässt die Erwachsenen jedoch kaum an sich heran; stattdessen recherchiert er im Internet nach Jenseits-Vorstellungen und nach Menschen, die einen Kontakt zu Toten herstellen können. Offensichtlich sehnt sich Marcus danach, seinem Zwillingsbruder auch über dessen Tod hinaus nah zu sein. George lebt unterdessen als Single in San Francisco. Er besitzt jene Gabe, die für Marcus so viel Bedeutung erhält, von George aber als Fluch empfunden wird: Er ist so etwas wie ein Medium, das mit Verstorbenen kommunizieren kann, wenn er durch Berührung eine Verbindung zu deren Hinterbliebenen herstellt (zumindest interpretiert George seine blitzartigen Visionen, die er hat, wenn seine Hand die eines anderen Menschen trifft, als jenseitige Botschaft; der Film lässt dies letztlich offen). Sein Versuch, als Arbeiter in einer Fabrik ein normales Leben zu führen und eine Beziehung zu einer Frau anzuknüpfen, wird von dieser paranormalen Fähigkeit überschattet. Mit der Grenze des Lebens ist auch eine Grenzzone des filmisch Darstellbaren erreicht, auch wenn Filmemacher immer wieder große Mühe und Fantasie aufgewendet haben, um Bildwelten für den Tod oder das, was danach sein könnte, zu finden – zuletzt Peter Jackson in „In meinem Himmel“ (fd 39 735). Im Kontrast zu Jacksons überbordender Jenseits-Bricolage wirkt das „Hereafter“, das Clint Eastwood in Georges Visionen und in jener Sequenz zeigt, in der er Maries Nahtoderlebnis visualisiert, zunächst einfallslos: Da sind eine grau-diffuse ebene Fläche, ein helles weißes Gegenlicht und davor als schwarze Silhouetten Gestalten, die sich auf dieses Licht zu bewegen, unterlegt von einem rauschenden Klangteppich aus fernen Stimmen. Doch diese Kargheit hat Methode: Eastwood verweigert sich jeder Ausmalung, sondern beschränkt sich darauf, sozusagen den kleinsten gemeinsamen Nenner, der sich aus Schilderungen von Nahtoderfahrungen destillieren lässt, zu skizzieren, um sich dann der Beobachtung zu überlassen, was der Blick auf den Tod im Leben seiner Charaktere verändert. Dazu begleitet sie die ruhige Kamera wie ein unsichtbarer Freund; zarte kleine Klavier- und Streicherthemen schmiegen sich mitfühlend an ihre Geschichten. Diese entfaltet Eastwood mit großer Sanftheit und Zurückhaltung; die inneren Suchen der Figuren werden mehr angedeutet als ausbuchstabiert: Dass es bei Maries Unruhe nach ihrem Sterbeerlebnis und bei ihrer Recherche für das Buch wohl nicht nur um die Suche nach verbindlichen Antworten in Sachen Tod geht, sondern auch um ein Austesten der Verbindlichkeiten ihres sozialen Kosmos’, deutet sich an, wenn ihre Kommunikation (oder deren Leerstellen) mit ihrem Liebhaber beobachtet wird; dass Georges Dilemma mit seiner „Gabe“ als Medium vielleicht weniger darin besteht, zum „Freak“ gestempelt zu sein, als vielmehr in seiner Unfähigkeit, sich anderen mitzuteilen, ahnt man gegen Ende, als er – vielleicht angefeuert durch Dickens’ Fabulierkunst – dieses Manko endlich überwindet, einen langen Brief schreibt und damit seinem Schicksal und dem Film eine neue Wendung gibt. Am unmittelbarsten wirkt der Handlungsstrang um den jungen Marcus und dessen still-verzweifelte Trauerarbeit – nicht zuletzt dank der hervorragenden Kinderdarsteller, die Eastwood, wie einst den Protagonisten in „Perfect World“ (fd 30 587), sensibel zu führen versteht. In den anderen Episoden irritiert zunächst die scheinbar unkritische Distanzlosigkeit, mit der Eastwood Georges paranormale Begabung und Maries „unvernünftige“ Hinwendung zum esoterisch verminten Gelände der Nahtoderfahrungen darstellt, bis diese durch die dahinter aufscheinenden Lebensproblematiken zum Teil stimmiger, mit geduldiger Anteilnahme entwickelter Porträts werden. Eine transzendentale Aussicht, ein Glaubensbekenntnis, wird in Eastwoods Ausblicken auf das, was nach dem Tod kommt, konsequent verweigert. Eine spirituelle Dimension eröffnet der Film allenfalls im Umgang mit den irdischen Schicksalen der Protagonisten: Ein unwahrscheinlicheres, „romanhafteres“ Ende als hier gab es nicht mehr, seit Murnau seinen „Letzten Mann“ (fd 4105) durch eine unverhoffte Erbschaft als „deus ex machina“ aus seinem Elend erlöste. Das mag manchem Betrachter des Guten zu viel sein und als Konzession an Mainstream-Spielregeln erscheinen; dass hier eine liebevolle höhere (Erzähl-)Instanz ihren Geschöpfen die Gelegenheit beschert, sich auf gänzlich irdische Weise gegenseitig zu neuem Leben zu verhelfen, ist als Erlösungsutopie aber durchaus bedenkenswert.
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