Genialer Berufslügner: Zum 100. Geburtstag des Schauspielers François Périer

Hommage auf den französischen Schauspieler François Périer, der am 10.11.2019 hundert Jahre alt geworden wäre

Veröffentlicht am
17. April 2021
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Er war der Todesengel in Jean Cocteaus „Orphée“, betrog die Titelfigur in Federico Fellinis „Die Nächte der Cabiria“ und hatte als Kommissar in Jean-Pierre Melvilles „Der eiskalte Engel“ Alain Delon im Visier: Der Schauspieler François Périer schaffte es nie in die A-Liga der Stars, schrieb als wandlungsfähiger Nebendarsteller aber rund 60 Jahre Filmgeschichte mit. Am 10. November 2019 wäre er hundert Jahre alt geworden. Eine Hommage.


Ein geborener Verführer scheint der junge Mann offensichtlich nicht zu sein: Jacques ist eher linkisch, schüchtern und auch nicht mit einem Übermaß an Charme gesegnet. Frisch zurück vom Militärdienst und noch in Uniform, will er dennoch sein Glück bei der Damenwelt versuchen, auch wenn er dabei auf die Kniffe seines Chefs und väterlichen Freundes Émile zurückgreifen muss, über die er bei anderer Gelegenheit noch die Augen verdreht hatte. Nun aber folgt Jacques einer unbekannten Frau aufs Dach eines Busses, übernimmt Wort für Wort Émiles erprobte Verführungsrhetorik und findet mit seiner unbeholfenen Dreistigkeit tatsächlich ein offenes Ohr.

Obwohl die junge Madeleine kein Geheimnis daraus macht, dass sie liiert ist – und, wie der Zuschauer in René Clairs Komödie „Schweigen ist Gold“ schon weiß, ausgerechnet mit Émile –, stimmt sie einem Halt in einem Café zu, wo Jacques den Gedanken an den Nebenbuhler trotzig beiseite wischt. Ungewohnter Tatendrang beflügelt ihn und lässt ihn auch auf der Tanzfläche seinen üblichen Kleinmut gegenüber störenden Zeitgenossen verlieren: „Wer nicht tanzen kann, soll zuhause bleiben!“

"Schweigen ist Gold": François Périer an der Seite von Star-Entertainer Maurice Chevalier.
"Schweigen ist Gold": François Périer an der Seite von Star-Entertainer Maurice Chevalier.

Die Stimme einer neuen Generation

Der Dualismus von Unsicherheit und Selbstbewusstsein prägt nicht nur diese Sequenz aus „Schweigen ist Gold“ (1946), die einen nostalgischen Blick auf das frühe 20. Jahrhundert und auch auf die seinerzeit gerade entstandene Filmindustrie wirft. Das ist Balsam für das Publikum nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Besatzungszeit. Und für den Hauptdarsteller Maurice Chevalier, der durch seine Auftritte vor französischen Kriegsgefangenen als „Kollaborateur“ geächtet war, in der Rolle des Charmeurs Émile ein (bravourös bestandener) Stimmungstest über seinen Stand als Kinostar. Die Zuschauer-Verführungstricks des damals 58-jährigen Chevalier funktionierten wie zu seinen besten Zeiten, und doch neigt sich der Film unterschwellig einer zeitgeistigen Stimmung zu. Nachdrücklich, wenn auch eben mit leichtem Zittern, fordert die junge Generation ihr Recht ein: dass wichtige Angelegenheiten, namentlich die Liebe, zukünftig ihr überlassen werden. Wenn Jacques erklärt: „Jetzt sind wir dran!“, steckt darin auch etwas vom Aufstiegsdrang seines 27-jährigen Darstellers François Périer.


„Wenn Molière dich gesehen hat, muss er sich in seinem Grab gedreht haben!“

Für François Périer, der am 10. November 1919 als François Pillu in Paris geboren wurde, sind die Anfänge seiner Laufbahn von einer ähnlichen Gratwanderung zwischen Unsicherheit und Selbstbewusstsein geprägt. Der Sohn eines Ladenbesitzers entwickelte schon als Kind Vergnügen daran, Geschichten zu erfinden und auszuschmücken. Auf der Schule nahm er an Aufführungen teil, genoss den Applaus und setzte sich mit 15 Jahren in den Kopf, Schauspieler zu werden.

Auf einen Brief an Louis Jouvet, Frankreichs bedeutendsten Theatermann der 1930er-Jahre und wahrscheinlich des ganzen Jahrhunderts, wurde der Schüler tatsächlich eingeladen. Jouvet empfing den Jungen mit großzügiger Geste, prüfte dessen Neigung und schärfte ihm ein, dass Schauspiel vor allem Lernen und Arbeiten bedeute; kurz darauf schrieb sich François Pillu auf Jouvets Rat an der Schauspielschule von René Simon ein. Ein verheißungsvoller Beginn.

Der Todesengel Heurtebise in "Orphée" wird eine von François Périers markantesten Rollen.
Der Todesengel Heurtebise in "Orphée" wird eine von François Périers markantesten Rollen.

Doch zwei Jahre später erlebte der Schüler ausgerechnet durch seinen Mentor eine herbe Enttäuschung, wie er in seiner Autobiografie anschaulich beschreibt. Als er für die Aufnahme am Konservatorium eine Szene aus „Scapins Streiche“ spielte, reagierte Jouvet als Mitglied der Jury ungehalten: „Wenn Molière dich gesehen hat, muss er sich in seinem Grab gedreht haben!“ Eine Demütigung, auf die François Pillu eine patzige Replik entfuhr: „In dem Fall würde er wieder richtig herum liegen, nachdem er Sie gestern in ‚Die Schule der Frauen‘ gesehen hat!“


Schlagfertigkeit als Markenzeichen

Langfristig hatte diese Kollision keine negativen Folgen, weder für den Schauspielaspiranten, der sich – nun unter dem Künstlernamen François Périer und mit Beaumarchais statt mit Molière – bei nächster Gelegenheit erneut für das Konservatorium bewarb und aufgenommen wurde, noch für das Verhältnis zu Jouvet, das sich in den nächsten Jahren aus beruflichem Respekt zur echten Freundschaft entwickelte.

Als folgenreich kann man diese reale Szene vor der Aufnahme-Jury dennoch deuten, wenn man sie mit einer der zukünftigen Stärken von Périers Auftritten vor der Kamera zusammendenkt. Denn in die Filmgeschichte hat sich der Darsteller gerade mit Rollen eingeschrieben, die eine vergleichbare Form von Schlagfertigkeit aufweisen und in denen er sich neben im Rampenlicht stehenden, teils auch einschüchternden Mitspielern behaupten konnte. François Périer war das perfekte Gegenüber für veritable Stars, deren Glanz er seine schauspielerische Vielfalt entgegensetzte. Neben Leinwandidolen, die sich anhimmeln ließen, aber letztlich für die Zuschauer in weiter Ferne verblieben, bot er sich als bodenständige Identifikationsfigur an, ebenso wandlungsfähig wie wiedererkennbar. Mittelgroß, schlank, mit nach hinten gekämmten Haaren, lebendigen dunklen Augen, dichten Augenbrauen und scharf geschnittener Nase, bestritt er körperlich markant eine rund 50 Jahre umfassende Kino-Karriere.

Anfangs der Aufpasser von Orphée (Jean Marais), wird Heurtebise zum Helfer des Dichters.
Anfangs der Aufpasser von Orphée (Jean Marais), wird Heurtebise zum Helfer des Dichters.

Orphées Todesengel

Oft erst an zweiter Stelle der Besetzungsliste genannt, half François Périer einer bemerkenswert hohen Zahl an Filmen dabei, Kino-Klassiker zu werden. Was wäre Jean Cocteaus Filmpoem „Orphée“ (1949) ohne Périers Interpretation des Todesengels Heurtebise, der im Auftrag seiner Herrin (Maria Casarès) zuerst der Bewacher des Orpheus-Wiedergängers (Jean Marais) und seiner Frau Eurydice (Marie Déa) ist, bald aber seine Befugnisse übertritt und zum Vertrauten des Paares wird?

Périer verleiht dem als Chauffeur auftretenden Heurtebise zunächst eine scheinbare Unterwürfigkeit, die im direkten Konflikt abfällt, während er Eifer und hintersinnige Verlässlichkeit bei dem Versuch bezeugt, Orphée und die gestorbene Eurydice wieder zusammenzubringen. Nicht zuletzt, weil er eigene Gefühle für Eurydice entwickelt, stärkere als der Dichter, den Marais statuenhaft entrückt spielt und der vor allem in sich selbst verliebt scheint. Das abschließende Selbstopfer von Heurtebise für das Paar (gemeinsam mit der mittlerweile in Orphée verliebten Todes-Prinzessin) ist auch deshalb so bewegend, weil Périer dies ohne Pathos spielt – eine noble Tat, auf der nicht mehr groß herumgeritten werden muss.


Erschütternder Realismus in „Gervaise“

Ganz anders geartet ist dagegen die Rolle in der Zola-Verfilmung „Gervaise“ (1955): Der Filmtitel und die Regie von René Clément rücken zwar Maria Schell als leidgeprüfte Wäscherin Gervaise in den Fokus, doch ist es das Schicksal von Périers Figur Henri Coupeau, das dem düsteren Film seinen Stempel aufdrückt. Der Abstieg des ehrbaren Dachdeckers Coupeau, der nach einem Arbeitsunfall dem Alkohol verfällt, als Säufer immer mehr verkommt und seine Frau Gervaise mit sich reißt, ist von einem erschütternden Realismus, obwohl Maria Schell ganz im Stil des klassischen Starkinos selbst noch im Leid eine trefflich ausgeleuchtete Lichtgestalt bleibt. Bei Périer erzielt die Verlotterung, die Abfolge zutiefst erniedrigender Stationen, eine besondere Wirkung, weil er dabei stets noch etwas von Coupeaus ursprünglichem Wesen, seiner Geselligkeit und seinem Mitgefühl aufblitzen lässt.

Der Verfall eines anständigen Arbeiters durch den Alkohol: François Périer mit Maria Schell in "Gervaise".
Der Verfall eines anständigen Arbeiters durch den Alkohol: François Périer mit Maria Schell in "Gervaise".

Auffallend ist das besonders im Vergleich mit Gervaises vorherigem Freund Lantier (Armand Mestral), den Coupeau zwischenzeitlich bei sich wohnen lässt und mit dem er gemeinsam auf Sauftouren geht. Mehrfach sind die beiden Männer so im Bild platziert, dass ihre Ähnlichkeiten genauso augenfällig werden wie der Kontrast. Wo Lantiers Verfall aus moralischer Verdorbenheit resultiert, verrät Périers Coupeau ein Unverständnis darüber, wie er so tief sinken konnte. Die Sucht ist bei ihm nicht steuerbar und kann nur weiter ins Elend führen, weshalb der klimatische Anfall, der Coupeau in die Trinkeranstalt befördert, sich lange vorher als unausweichlich ankündigt.


Die Lust am Zwielichtigen

In seiner 1991 veröffentlichten Autobiografie „Profession: Menteur“ (Beruf: Lügner) berichtet François Périer, dass ihm lange Zeit das Image anhaftete, nur Sympathieträger spielen zu können, und er sich deshalb zeitweilig auch selbst nicht zugetraut habe, Figuren mit negativeren Zügen zu verkörpern. Im Theater habe er solche Rollen regelrecht gescheut angesichts der Aussicht, diese womöglich über Wochen und Monate spielen zu müssen. Filmdrehs mit den im Vergleich dazu kurzen Beschäftigungen mit einer Rolle boten ihm demgegenüber die Chance, sich auch in unsympathischeren Parts austoben zu können, was Périer in Folge von „Gervaise“ immer wieder nutzen konnte.

Ein meisterlich zwielichtiger Auftritt wurde etwa seine Rolle als Kommissar in dem Jean-Pierre-Melvilles-Thriller „Der eiskalte Engel“ (1967), einmal mehr als Gegenüber des eigentlichen Filmstars, in diesem Fall Alain Delon. So wie Delons Berufskiller Jef Costello ist auch der namenlose Polizeibeamte ein Vollprofi, der jeden Zug in seinem Job vorherzusehen versucht und abgeklärt zur Kenntnis nimmt, dass ihm ein besonders harter Brocken als Gegner erwachsen ist. Neben der maskenhaften Reduktion von Alain Delon leistet sich Périer als Kommissar durchaus leichte Ansätze von Gefühlsäußerungen, wenn auch versteckt hinter Spott und Sarkasmus.

Als Gegner von Alain Delons Profikiller in "Der eiskalte Engel": François Périer als Kommissar.
Als Gegner von Alain Delons Profikiller in "Der eiskalte Engel": François Périer als Kommissar.

Auffallend ist das besonders im Verhör von Costellos Geliebter Jeanne (Nathalie Delon), bei dem Périer nahezu vertrauliche Töne anschlägt, schmeichelt und Versprechungen macht. Auch wenn dies vor allem Kalkül sein sollte, differiert es doch klar von Jefs Umgang mit Jeanne: Wenn dieser sie für sich einspannt, geschieht dies im eindeutigen Befehlston; selbst für vorgetäuschte Gefühle ist in seiner methodischen Vorgehensweise kein Raum.


Viele François-Périer-Filme lohnen die Wiederentdeckung

So versiert er darin war, Stars wie Maurice Chevalier, Jean Marais, Maria Schell und Alain Delon das Fundament zu geben, auf dem sie besonders hell strahlen konnten, reduzierte sich Périers Kinokarriere keineswegs auf diese Gabe. Viele Filme gäbe es wiederzuentdecken, die Périer alleine oder mit einer ebenbürtigen Partnerin trägt, etwa die fantastische Komödie „Wenn der Himmel versagt“ (1946), in dem er als umtriebiger Teufel einem lieblichen Engel (Simone Renant) ein schutzbefohlenes Paar abspenstig machen will, oder eine Reihe von romantischen Komödien wie Sie und Er (1952) mit der charmanten Dany Robin.

Über lange Jahre war Périer auch die erste Wahl für Filme mit prominenten Ensembles, sei es in den frühesten Leinwandauftritten in „Hôtel du Nord“ (1938) und „Lebensabend“ (1939), in den 1960er- und 1970er-Jahren bei Autorenfilmern wie Constantin Costa-Gavras („Ein Mann zu viel“, „Z“), Alain Resnais („Stavisky“) und André Cayatte („Staatsraison“) oder mit Kabinettstückchen in Kompilationsfilmen wie „Rückkehr ins Leben“ (1949), „Dürfen Frauen so sein?“ (1953) oder „Fünf Glückspilze“ (1962).

Französische Antwort auf amerikanische Screwball-Komödien: "Sie und er" zusammen mit Dany Robin.
Französische Antwort auf amerikanische Screwball-Komödien: "Sie und Er", zusammen mit Dany Robin.

Um sein Können ganz auszuspielen, brauchte es indes die Gelegenheit, auf engem Raum mit Schauspielern von vergleichbarer Klasse zusammenzutreffen. Schon „Schatten der Vergangenheit“ (1946) mit seinem Förderer und Freund Louis Jouvet war für beide eine Gelegenheit, sich formvollendet die schauspielerischen Bälle zuzuwerfen. In späteren Jahren fanden sich ähnlich glückliche Konstellationen mit Michel Piccoli in „Das Mädchen und der Kommissar“ (1971) und Yves Montand in „Police Python 357“ (1977), beides Polizeifilme, in denen François Périer Gegenspieler, unverkennbar aber auch eine Art Doppelgänger von Piccolis und Montands zwiespältigen Kommissar-Figuren ist.

Äußerst effektvoll ist in jener Zeit auch der Einfall von Claude Chabrol, für „Vor Einbruch der Nacht“ (1971) seinen Favoriten Michel Bouquet mit Périer zusammenzubringen und damit zwei der subtilsten französischen Darsteller miteinander agieren zu lassen. Der Film weist zwar ein typisches Thriller-Szenario auf – ein angesehener Unternehmer (Bouquet) tötet im Affekt seine Geliebte, die Frau seines besten Freundes (Périer), und muss die Enttarnung fürchten –, doch die größte Spannung entsteht durch das unerwartete Verhalten der beiden Figuren.

Schauspielkunst der Extraklasse: Michel Bouquet und François Périer in Chabrols "Vor Einbruch der Nacht".
Schauspielkunst der Extraklasse: Michel Bouquet und François Périer in Chabrols "Vor Einbruch der Nacht".

Der Unternehmer Masson, den niemand verdächtigt, sucht geradezu die Verurteilung durch andere; der betrogene Witwer Tellier reagiert auf Massons Geständnis bei einem nächtlichen Spaziergang, nach außen kaum bewegt, weder mit Wut oder Rachegedanken noch mit eindeutiger Gefühlskälte. Was in dieser Szene von den beiden bewusst und was unbeabsichtigt vorgebracht wird, ob eine Schock-Reaktion vorliegt oder berechnende Manipulation, ist schlicht nicht feststellbar, ein Beleg der komplexen Schauspielkunst, die beide Darsteller hier Seite an Seite demonstrieren.


„Vor der Kamera hatte ich immer das unangenehme Gefühl, nicht Herr meiner Interpretation zu sein“

Zwischen 1938 und 1996 trat François Périer insgesamt in über 90 Kinofilmen auf, wobei jene nicht mitgezählt sind, in denen er mit seiner modulationsreichen Stimme als Erzähler fungierte – eine Aufgabe, die er auch in zahllosen Hörspielen für Kinder von „Pinocchio“ über „Babar der Elefant“ bis „Davy Crockett“ übernahm. Obwohl er bereitwillig vor der Kamera stand, nahm das Kino in Périers Selbstwahrnehmung eher einen der hinteren Plätze ein, wie er in „Profession: Menteur“ bekannte: „Vor der Kamera hatte ich immer das unangenehme Gefühl, nicht Herr meiner Interpretation zu sein... Man weiß als Schauspieler nie, welcher Effekt sich durch einen Kamerawinkel oder die Beleuchtung erzielen lässt.“

Für Fellini spielt François Périer in "Die Nächte der Cabiria" einen vermeintlich mitfühlenden Buchhalter, der um Cabiria (Giulietta Masina) wirbt.
Für Fellini spielt François Périer in "Die Nächte der Cabiria" einen vermeintlich mitfühlenden Buchhalter, der um Cabiria (Giulietta Masina) wirbt.

Wenn Périer dem Kino einen Vorteil im Vergleich zum Theater zugestand, so die Möglichkeit, sich auch auf schwer einschätzbare oder ihm selbst unsympathische Charaktere einzulassen, ohne sich so in sie vertiefen zu müssen wie bei einem Bühnen-Engagement. Natürlich mit Ausnahmen wie bei „Gervaise“, wo er sich für die Alkoholiker-Rolle intensiv vorbereitete, oder auch bei Federico Fellinis „Die Nächte der Cabiria“, wo Périer einen eindeutigen Schuft spielt, der sich der Filmheldin Cabiria (Giulietta Masina) aber als zuvorkommender Galan präsentiert. Was ihm als Darsteller paradoxerweise abverlangte, sich in diesem Film besonders zurückhaltend und sanftmütig zu geben, um auch dem Zuschauer zu verbergen, dass der nette Buchhalter es nur auf das Geld der naiven Prostituierten abgesehen hat.


Schöpfer von Illusionen

Letztlich hat die ungelöste Streitfrage von Unsicherheit und Selbstbewusstsein François Périer sein gesamtes Berufsleben begleitet und wohl auch im Privaten beschäftigt, worauf die Entscheidung hindeutet, schon im Titel seiner Lebenserinnerungen auf den unechten, lügenhaften Anteil des Schauspieler-Daseins anzuspielen. Allerdings sah sich Périer bei allen Zweifeln nie als Hochstapler, sondern vielmehr als Schöpfer von Illusionen, der durchaus stolz auf die Gabe war, ein Publikum mit seinem Tun gefangen zu nehmen.

Während von seinen Theatererfolgen 100 Jahre nach seiner Geburt und 17 Jahre nach seinem Tod im Jahr 2002 hauptsächlich Erinnerungen, zeitgenössische Rezensionen und wenige Verfilmungen bleiben, sind es primär seine Kinofilme, an denen sich die Lebensleistung von François Périer ermessen lässt: bei allen bescheidenen Erwartungen an die Leinwand-Rollen auch dort ein beeindruckendes Oeuvre erschaffen zu haben, wie es in der französischen Filmgeschichte nicht viele gibt. Und dabei doch stets so zu wirken, als hätte er durchaus seinen Spaß an der Arbeit fürs Kino.

Gefangen genommene Zuschauer wird François Périer durch seine Filme auch in Zukunft noch viele hinterlassen.


Fotos: Zweitausendeins („Orphée), StudioCanal („Schweigen ist Gold“, „Die Nächte der Cabiria“), Columbia („Gervaise“), CICC („Der eiskalte Engel“), Neue Filmkunst („Sie und Er“), Filmconfect („Vor Einbruch der Nacht“)

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