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Dichtung und Wahrheit

Was ist Dichtung, was ist Wahrheit bei „Die zwei Päpste“ von Fernando Meirelles? Ein Faktencheck.

Veröffentlicht am
02. April 2020
Diskussion

Bei den diesjährigen „Oscars“ waren gleich zwei Papst-Darsteller nominiert: Jonathan Pryce als Papst Franziskus als bester Hauptdarsteller und Anthony Hopkins in der Rolle des Benedikt XVI. als bester Nebendarsteller. Das fiktionale Drama „Die zwei Päpste“ von Regisseur Fernando Meirelles kreist um eine mehrtägige Begegnung aus dem Jahr 2012 zwischen Benedikt XVI. und seinem späteren Nachfolger, Kardinal Jorge Mario Bergoglio. Viele fragen sich, was an dieser Geschichte der Wahrheit entspricht und was erfunden ist. Ein Faktencheck.

Ein Beitrag von Ludwig Ring-Eifel


Frage: Lag Bergoglio, wie im Film gezeigt, als Kandidat der Reformer tatsächlich schon bei der Papstwahl 2005 knapp hinter dem konservativen Favoriten Ratzinger?

Antwort: Er vereinigte im zweiten und dritten Wahlgang eine relativ hohe Stimmenzahl auf sich, verzichtete dann aber zugunsten von Ratzinger, der vorne lag und im vierten Wahlgang mit weit mehr als zwei Dritteln der Stimmen gewählt wurde.

Frage: Hat Benedikt XVI. 2012 - seinen eigenen Rücktritt schon im Hinterkopf - Bergoglio davon abgehalten, von seinem Amt als Erzbischof von Buenos Aires zurückzutreten, damit dieser beim Konklave 2013 als aussichtsreicher Kandidat ins Rennen gehen und am Ende zur „Korrektur“ Benedikts im Papstamt werden konnte?

Antwort: Fakt ist, dass Bergoglio schon 2011 mit Vollendung des 75. Lebensjahres turnusgemäß sein Rücktrittsgesuch schriftlich einreichte, Benedikt XVI. dies aber nicht annahm. Am Konklave 2013 hätte Bergoglio auch ohne das Amt eines Erzbischofs teilgenommen, da alle Kardinäle unter 80 Jahren unabhängig von ihrer Funktion wahlberechtigt sind. Allerdings hätte er als pensionierter Erzbischof vermutlich weniger Aussichten auf eine erfolgreiche Kandidatur gehabt. Nicht überliefert ist hingegen eine mehrtägige Begegnung der beiden am päpstlichen Sommersitz in Castel Gandolfo.


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Frage: Stimmt es, dass Papst Benedikt XVI. fast völlig allein lebte?

Antwort: Anders als dargestellt, lebte Benedikt XVI. mit seinem Privatsekretär Georg Gänswein sowie einigen Ordensfrauen in einem Haushalt zusammen und speiste in der Regel auch mit ihnen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger und auch seinem Nachfolger lud er aber nur selten Gäste zum Essen ein.

Anthony Hopkins als Benedikt XVI. in "Die zwei Päpste"
Anthony Hopkins als Benedikt XVI. in "Die zwei Päpste"

Frage: Hat der Vatileaks-Skandal um den päpstlichen Kammerdiener Paolo Gabriele letztlich Benedikt XVI. zum Rücktritt veranlasst, wie es der Film andeutet?

Antwort: Der Vertrauensbruch seines engen Mitarbeiters hat Benedikt XVI. schwer schockiert. Hinzu kam der Tod einer der Ordensfrauen aus seinem Haushalt, die unter mysteriösen Umständen von einem Auto überfahren wurde. Auch mehrere Skandale und die angeschlagene Gesundheit trugen zu der Rücktrittsentscheidung bei. Sie reifte offenbar im Jahr 2012, als der damals 85-jährige Papst merkte, dass seine Kräfte nicht mehr reichten, um das Amt verantwortungsvoll auszuüben.

Frage: Hat Bergoglio als Ordensoberer der beiden Jesuiten Franz Jalics und Orlando Yorio versagt, als diese 1976 von der argentinischen Militärdiktatur gefangen und gefoltert wurden?

Antwort: Die im Film dargestellte tragische Abfolge der Ereignisse von 1975 und 1976 entspricht weitgehend den historischen Fakten, soweit diese heute noch zu ermitteln sind. Bergoglio hat die beiden Patres, die mit Linksaktivisten kooperierten, zunächst schutzlos zurückgelassen, als sie sich weigerten, seinen Anweisungen zu folgen. Später setzte er sich erfolgreich bei den Militärs für ihre Freilassung ein.

Frage: Sind die Vorgänge beim Konklave 2013 korrekt dargestellt, nach dessen Ende sich Franziskus in demonstrativer Bescheidenheit dem Volk zeigte?

Antwort: Hier folgt der Film detailgenau den historischen Fakten. Allerdings ist die Authentizität des Satzes „Der Karneval ist vorüber!“, mit dem Franziskus einige zeremonielle Accessoires seiner Vorgänger ablehnte, bis heute umstritten.

Frage: Die letzte Szene des Films zeigt den ehemaligen und den neuen Papst vor dem Fernseher, wie sie gemeinsam das WM-Finale Deutschland gegen Argentinien 2014 anschauen.

Antwort: Diese Szene ist höchstwahrscheinlich frei erfunden, schon allein, weil Franziskus aufgrund eines persönlichen Gelübdes seit gut 20 Jahren kein Fernsehen mehr schaut.

Dichterische Freiheit: Neuer und alter Papst sehen das Fußball-WM-Finale 2016.
Dichterische Freiheit: Neuer und alter Papst sehen das Fußball-WM-Finale 2014.

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