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Filmklassiker: Kuhle Wampe

Freitag, 22.04.2022 11:55

Restauriert & erstmals auf Blu-ray: Einer der zentralen Filme der deutschen Linken während der Weimarer Republik

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Die Autoren Bertolt Brecht und Ernst Ottwalt sowie der Regisseur Slatan Dudow schufen mit 1932 erstmals aufgeführten Arbeitslosen-Drama einen Meilenstein des politischen Kinos; aus diesem Grund geriet der Film auch bald nach der Premiere in Vergessenheit. Denn die Nazis verboten ihn und nach dem Krieg wurde er erst langsam wiederentdeckt. In einer restaurierten Fassung liegt er jetzt erstmals auf Blu-ray vor.


Das Berlin der Prachtstraßen, aber auch das der Fabriken: „Kuhle Wampe“ beginnt mit einer ebenso einfachen wie wirkungsvollen Montage. Eine Einstellung des Brandenburger Tors, auf die Industrieanlagen und Mietskasernen folgen. Mit der räumlichen Enge schrumpfen auch die Einstellungsgrößen der Kamera. Eine weitere Montage, diesmal von Zeitungsüberschriften, führt ins Thema des Films ein: das Elend der Arbeitslosen. Frühmorgens versammeln sich junge Männer, die auf die wenigen Stellenangebote warten. Kaum haben sie die Annoncen studiert, radeln sie los, klappern eine Fabrik nach der anderen ab. Ohne Erfolg.

Einem der Arbeitssuchenden folgt der Film zurück zu seiner Familie. Mittagessenszeit. Der Vater redet sich, die Zeitung in der Hand, in Rage. Der arbeitssuchende Sohn bekommt die hilflose Wut der Eltern über das Scheitern der kleinbürgerlichen Ansprüche ungefiltert ab. Die Tochter versucht, den Bruder zu unterstützen. Sie dringt nicht durch. Das Lächeln, das sie ihm schenkt, gerinnt unerwidert zum leeren Blick. Die Schwester geht. Der Bruder springt aus dem Fenster. „Ein Arbeitsloser weniger“, stand als Titeleinblendung am Anfang des Films.

Hertha Thiele in ihrer Rolle als junge Arbeiterin Anni
Hertha Thiele als junge Arbeiterin Anni (© Atlas Film)

„Kuhle Wampe“ zeigt die Politisierung einer jungen Arbeiterin vor dem Hintergrund der zunehmenden Verelendung ihrer Familie. Während dort pure Hilflosigkeit herrscht, wie mit der Massenarbeitslosigkeit in den Jahren der Wirtschaftskrise umzugehen ist, findet die junge Frau in den Freizeitorganisationen der Arbeiterbewegung einen Halt.


Ein zentraler Film der Weimarer Republik

„Kuhle Wampe“ gilt als einer der zentralen Filme der deutschen Linken während der Weimarer Republik. Die Deutsche Kinemathek hat den Film vor kurzem restauriert. Das war für die Qualität von Bild und Ton dieses Filmklassikers enorm wichtig; im Zuge der Restaurierung wurde jetzt auch eine barrierefreie Fassung mit Audiodeskription und Untertiteln für Hörgeschädigte erstellt. In dieser Form erscheint „Kuhle Wampe“ nun bei Atlas Film als Mediabook und liegt damit erstmals auch auf Blu-ray vor.

„Im Sommer 1931 hatten wir durch die Ausnützung besonders günstiger Umstände die Möglichkeit, einen kleineren Film herzustellen“, schreibt Bertolt Brecht, der gemeinsam mit dem jungen Schriftsteller Ernst Ottwalt das Drehbuch schrieb. Der Film geht auf eine Anregung des ebenfalls jungen Regisseurs Slatan Dudowzurück. Brecht war im Sommer 1931, als die Arbeit an „Kuhle Wampe“ begann, 33 Jahre alt und der älteste der drei[1] . Dudow und Ottwalt entstammten dem Kreis um Erwin Piscator. Dudow sammelte 1930 erste Erfahrungen als Regisseur, als er für die Prometheus Film des kommunistischen Medienunternehmers Willi Münzenberg den Kurzfilm „Zeitprobleme: Wie der Arbeiter wohnt“ drehte.

"Kuhle Wampe": ein Film der Firma Prometheus Film, die das Kino als Mittel politischer Agitation verstand
"Kuhle Wampe": ein Film, der Kino als Mittel sozialistischer Agitation verstand (© Atlas Film)

Die Prometheus Film wurde mit dem Ziel gegründet, sowjetische Filme in Deutschland zu vertreiben, zum propagandistischen Nutzen der Sowjetunion, die das Kapital zur Verfügung stellte. „Kuhle Wampe“ war der letzte Film, den Prometheus Film produzierte. Kurz vor Fertigstellung ging die Produktionsfirma Pleite; „Kuhle Wampe“ landete in die Konkursmasse und wurde von der Schweizer Praesens Film fertiggestellt. Dass der Film zu Ende gebracht wurde, war nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass dem Trio Dudow-Brecht-Ottwalt ein anderes Trio gegenüberstand: Produktionsleiter Georg Höllering, Aufnahmeleiter Karl Ehrlich und Kameramann Günther Krampf. Die drei Wiener verfügten im Gegensatz zu Dudow-Brecht-Ottwalt über Filmerfahrung.


„Eine hegenswerte Seltenheit“ - im Bann der Zensur

Bei Besetzung und Crew der Produktion kamen Welten zusammen. Die weibliche Hauptrolle der Arbeiterin Anni Bönike spielte Hertha Thiele, die seit ihrem Erfolg in „Mädchen in Uniform“ ein Star war. Die männliche Hauptrolle, den Arbeitersportler Fritz, hatte Ernst Busch inne. Busch war durch Auftritte an Piscators Theater und durch Filmrollen wie den Mackie Messer in G. W. Pabsts „Dreigroschenoper“ bekannt. Die Musik stammte von dem Schönberg-Schüler und Brecht-Mitstreiter Hanns Eisler. Eislers Kompositionen, vor allem die Lieder wie das „Solidaritätslied“, trugen nicht unerheblich zur Wirkung von „Kuhle Wampe“ bei.

„Die Herren Zensoren müssen sich klar machen, dass eine solche Arbeit, bei allen Unvollkommenheiten, heute eine hegenswerte Seltenheit darstellt und nicht durch kleinliche Einwände verstümmelt werden darf“, schrieb Rudolf Arnheim zwei Tage, bevor der Film im Frühjahr 1932 der Zensur vorgelegt wurde. Die Zensoren sahen das anders und sprachen ein Verbot des Films aus. „Kuhle Wampe“ erschüttere die Grundlagen des Staates. Eine Entscheidung, die Anfang April 1932 von der Film-Oberprüfstelle bestätigt wurde. Es folgte eine Welle von Protesten und Diskussionsveranstaltungen, die anscheinend Wirkung zeigten. Denn als die Praesens Film das Werk mit leichten Schnitten Mitte April erneut einreichte, wurde der Film mit einigen weiteren kosmetischen Änderungen freigegeben. Am 14. Mai 1932 feierte er in Moskau Premiere, gut zwei Wochen später, am 30. Mai auch in Berlin.

Die anfänglichen Erfolge beim Publikum verebbten jedoch recht schnell; „Kuhle Wampe“ war kein großer Erfolg. Der Massenfilm fand kein Massenpublikum. Als im Januar 1933 die Nationalsozialisten die Macht kamen, wurde „Kuhle Wampe“ erneut verboten. Dudow selbst emigrierte wenig später nach Paris.


Die Wiederentdeckung eines Klassikers

Nach dem Krieg galt der Film in Deutschland als verschollen. 1946 kehrte Dudow aus dem Exil zurück und wurde einer der wichtigsten DEFA-Regisseure, der die Cinémathèque Française 1955 überzeugte, eine Kopie des Films in die DDR schicken zu lassen. So begann eine allmähliche Wiederentdeckung von „Kuhle Wampe“. 1956 wurde das Staatliche Filmarchiv der DDR in den Internationalen Verband der Filmarchive (FIAF) aufgenommen. Zwei Jahre später organisierte das Filmarchiv im Museum für Deutsche Geschichte eine Ausstellung zu „60 Jahre Film“ und zeigt unter anderem „Kuhle Wampe“.

Die westdeutsche Aufmerksamkeit gewann der Film, als er 1966 in einer Retrospektive der Leipziger Filmwoche lief, die den Titel „Filme contra Faschismus“ trug. Drei Jahre später verschaffte eine deutsch-deutsche Zusammenarbeit dem Film weitere Beachtung: Die DDR-Theaterwissenschaftler Wolfgang Gersch und Werner Hecht gaben beim Suhrkamp-Verlag das Protokoll des Films und begleitende Materialien heraus; diese Zusammenstellung wurde nahezu unverändert bis heute weitergereicht. Im November 1969 zeigte dann das von ehemaligen Studenten der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin gegründete „Rote Studenten und Arbeiter Kino“ (Rosta) „Kuhle Wampe“ in einer seiner ersten Filmreihen. Ab diesem Moment war der Film unter Studierenden der dffb allgegenwärtig. Zugleich wurde er ab 1971 von KPD-Gruppen bei Feierlichkeiten aller Art eingesetzt. 1977 lief „Kuhle Wampe“ in der Filmreihe „Proletarischer Film - Proletariat im Film der Weimarer Republik“, die vom 17.–31. August 1977 im Berliner Arsenal gezeigt wurde.

Von den politisch bewegten Studenten der späten 1960er wiederentdeckt
Von den politisch bewegten Studenten der späten 1960er wieder geschätzt (© Atlas Film)

Die Wiederentdeckung im Ausland begann überraschender Weise in den USA. 1963 war der Film im Rahmen einer Ausstellung zu Brechts Werk zu sehen. In den frühen 1970er-Jahren tauchte er parallel zur Welle der Arbeiterfilme von Christian Ziewer, Marin Karmitz und anderen nahezu überall in Westeuropa auf und wurde auf Festivals und in Filmzeitschriften breit rezipiert. Nicht zuletzt in Italien: Guido Aristarco widmete dem Film schon 1963 ein ganzes Kapitel in der Broschüre eines Kinoklubs mit dem Titel „Das deutsche Kino und die Nazi-Vergangenheit“. 1984 erwarb das New Yorker Museum of Modern Art eine Kopie.


Zur Restaurierung

Die aktuelle Restaurierung der Deutschen Kinemathek beruht auf Materialien, die außerhalb Deutschlands überlebt haben. Die Grundlage bildete eine Kopie des British Film Institute, die an Fehlstellen durch eine Kopie der Cinémathèque Suisse ergänzt wurde. Viele Materialien des Films, so das Originalnegativ, das Drehbuch und die Zensurschnitte, gelten nach wie vor als verschollen.

Die Mediabook-Edition durch Atlas-Film ist optisch ansprechend. Das Booklet versammelt die tradierte Auswahl an Hintergrundmaterial nebst einem informativen Einführungstext von Martin Koerber, dem Leiter des Filmarchivs der Deutschen Kinemathek. Leider fehlen sonstige Extras. Eine frühere Edition von absolutMedien hatte „Kuhle Wampe“ um Dudows Regiedebüt „Zeitprobleme – Wie der Arbeiter wohnt“ (1939) und die DDR-Fernsehproduktion „Feigenblatt für Kuhle Wampe“ (1975) ergänzt.

So bedauerlich es ist, dass diese Extras in der Edition von Atlas nun fehlen, so sehr wird man durch die deutlich gestiegene Qualität von Bild und Ton versöhnt.





Hinweise:

Kuhle Wampe. s/w. Deutschland 1932. Regie: Slatan Dudow. Mit Herta Thiele, Ernst Busch, Martha Wolter. 72 Min. FSK: ab 12. Restaurierte Fassung. BD. Bezug: in jeder Buchhandlung oder hier.

Neben „Kuhle Wampe“ ist bei Atlas-Film auch die restaurierte Fassung des Kriminalfilm-Klassiker „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von Fritz Lang erschienen, die zum 80. Jahrestag der Premiere des Films erstellt wurde und in einer limitierten Mediabook-Edition erhältlich.

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