© imago images / Everett Collection (aus „Die Liebe der Jeanne Ney)

Filmliteratur: Die Kameraaugen des Fritz Lang

Eine pointierte Studie über die Technik und die Tricks wichtiger Kameramänner des Weimarer Kinos

Veröffentlicht am
24. Januar 2023
Diskussion

Axel Block ist selbst Kameramann; er hat etwa viele Filme von Margarethe von Trotta gedreht, einige "Tatort"-Folgen und Filme wie "Flucht in den Norden" oder Ula Stöckls "Der Schlaf der Vernunft". Außerdem unterrichtet er an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in München. Das muss man wissen, um sein Buch „Die Kameraaugen des Fritz Lang“ einzuordnen. Sein Herangehen an Filme ist völlig anders als das eines Filmwissenschaftlers. Er überlegt sich, wie er selbst als Kameramann in einer bestimmten Problemlage gearbeitet hätte. Oder was sich der verantwortliche Kameramann bei der Bildgestaltung gedacht haben mag, welche Diskussionen es gegeben hat und ähnliches. Das arbeitet Block didaktisch sauber heraus.

Der Titel des Buchs ist dabei ein bisschen irreführend und wird erst durch die Untertitel erläutert: „Der Einfluss der Kameramänner auf den Film der Weimarer Republik“. Es umfasst Studien zu Karl Freund, Carl Hoffmann, Rudolph Maté, Günther Rittau und Fritz Arno Wagner; die Filmbeispiele sind von Fritz Lang („Dr. Mabuse“, „Metropolis“, „M“ und „Liliom“), FriedrichWilhelm Murnau („Der letzte Mann“, „Faust“), G.W. Pabst („Die Liebe der Jeanne Ney“), Carl Theodor Dreyer („Die Passion der Jungfrau von Orléans“) und Josef von Sternberg („Der blaue Engel“), also auch jenseits des Weimarer Rahmens.


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Eingeleitet wird das Buch von einer Problembeschreibung der Arbeitsbedingungen und technischen Möglichkeiten jener Epoche mit einem Ausblick auf die heutige Rezeption. Was können wir überhaupt sehen, wenn wir alte Filme sehen? Was müssen/dürfen wir – aus unserem wissenschaftlichen Zusatzwissen heraus – hinzuinterpretieren? Dazu kommt ein nützliches Glossar im Anhang. Insgesamt ist das Buch angenehm witzig pointiert; so präsentiert der Autor schon mal seinen eigenen Kopf als filmtechnisches Beispiel. Es finden sich Formulierungen wie: „Nun kann sich vermutlich kein Kameramann, der ein Geheimnis hüten muss, erlauben, wie ein Amateur herumzulaufen.“ Oder: „Das baupolizeilich vorgeschriebene Baulicht tut ein Übriges, treibt Techniker, die sich mit HDR (High Dynamic Range) beschäftigen, in den Wahnsinn.“

Mikroanalysen

Die angeführten Filmbeispiele sind keine Filmanalysen mit Schwerpunkt Bildgestaltung, sondern kleine, herausgepickte Beispiele von Sekunden- und Minutenlänge, die sehr detailliert über Seiten hinweg analysiert werden und stellvertretend für den Bildstil des ganzen Films stehen. Das ist ein durchaus legitimes „pars pro toto“-Verfahren. Überlegungen, die einen Filmwissenschaftler quälen, wie etwa das Verhältnis von Fritz Lang zu Louis Feuillade, dessen „Die Spinnen“ die „Mabuse“-Filme oder „Spione“ massiv beeinflusst haben, spielen hier keine Rolle. Man könnte das Verfahren „Mikroanalyse“ nennen. Es erinnert ein bisschen an Filmseminare, in denen über einen einzigen Bildkader eine Stunde mit großem Gewinn diskutiert wird – und ständig neue Fragen auftauchen. Und die Interpretationen des Materials, die Axel Block dabei vorschlägt, sind stets plausibel, auch wenn man durchaus auch zu alternativen Ergebnissen kommen kann.




Das Ergebnis ist ein Buch, das mit viel Spannung und Witz glänzt. Eine Textprobe aus „Die Liebe der Jeanne Ney“, für den unter anderem Fritz Arno Wagner die Kamera geführt und den Georg Wilhelm Pabst inszeniert hat: „Versuchen wir dies durch die Drehsituation zu ergründen: Wo hätte die zweite Kamera bei der Eröffnungs-Totalen für das zweite Negativ stehen können? (…) Ebenso ist es kein Glücksfall, dass der Matrose am Ofen den unwichtigen Feuergeber überschneidet und nicht den Zivilisten, und dass wir hinter Jeanne einen Spiegel mit ihrem Abbild entdecken können, aber nicht müssen. (…) Jeanne hätte überall im Raum stehen können, wir sehen sie nicht reinkommen, ihr aber diesen Ort zuzuweisen, der diesen Effekt ermöglicht, belegt Wagners dramaturgisches Denken. (…) Das Wichtigste liegt jedoch zwischen den Bildern, die Hektik, der Umsturz. (…) Eine klassische, raumbetonte Bildgestaltung hätte sich dieser Montage stärker gesträubt, weil sie die falschen Blicke und Kopfbewegungen deutlicher sichtbar gemacht hätte. (…) Die Kanten bilden zwar die Grenze zwischen On und Off, sind aber nicht Bestandteil der Bildwirklichkeit, sondern die Grenzen des Systems Film. (…) Bei dem eher quadratischen Format der Stummfilmzeit lenkt die Kameraarbeit mit dem Schnitt das Suchen in die Vertikale und ermöglicht eine Interpretation der Persönlichkeit der Figur. (…) Und an diesem Kompliment rüttelt nicht der Achsensprung, den sich Pabst und er hier leisten. (…) Es wird noch komplizierter. (…) Wenn er sich nun zu diesem vorbeugt, wechselt er damit wieder die Achse und füllt die leere Fläche auf der rechten Seite. (…) Liederliche Verdeckungen wecken Neugier, Angeschnittenes schafft Spannung, unprätentiöses Hell-Dunkel präferiert die Hauptfiguren.“

Der Referenzpunkt von Axel Block ist immer wieder auch die aktuelle Kameratechnik und Drehkonvention: Er fragt sich, wie das heute aussehen würde. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden: Block ist Lehrer an einer Filmhochschule, sein Buch ist ein Resultat seiner Lehre, immer auch mit Blick auf die Filmstudenten. Aber wenn er die Kameraarbeit des Weimarer Kinos mit dem vergleicht, was Bildgestaltungs-Normfanatiker wie Joseph Mascelli („Five C’s of Cinematography“) predigen, ist das freilich ein bisschen unfair: Solche Normen haben zum heutigen Industriestandard geführt, der Schlimmes verhindert beziehungsweise für ein Grundniveau der Bildsprache steht, wenn auch zum Preis einer gewissen Gleichförmigkeit. Der besondere Reiz der frühen Filmgeschichte, die Block behandelt, besteht nun gerade darin, dass sich zwar eine Art Filmsprache etabliert hatte, aber kreative Eigenwilligkeiten sich noch bis in die Nebenwerke des Mainstream-Kinos verfolgen lassen. Und selbst damals neu entdeckte Gesetzmäßigkeiten des visuellen Denkens wurden sofort kreativ weiterentwickelt. 1923 beschrieb Kuleschow den gleichnamigen Effekt; Fritz Arno Wagner versteckte ihn dann in der Exposition von „Die Liebe der Jeanne Ney“ so geschickt, dass es überhaupt nicht als Effekt auffällt. Auch Block, der diese Exposition detailliert analysiert, hat es nicht bemerkt.


Literaturhinweis:

Die Kameraaugen des Fritz Lang. Von Alex Block. edition text & kritik, München 2020. 480 Seiten, viele Abb., 39 EUR. Bezug: In jeder Buchhandlung oder hier.

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