Rechtzeitig zum 251. Geburtstag des großen Dichters Hölderlin hat der Filmemacher Harald Bergmann seine drei Werke über den Poeten plus das Essay „Passion Hölderlin“ in neu restaurierten Fassungen online gestellt.
Es gilt einen Regisseur zu entdecken, der eine überzeugende Form gefunden hat, Dichtung ins filmische Medium zu übertragen: Harald Bergmann, der zwischen 1992 und 2000 eine Trilogie realisiert hat, die sich mit Leben und Werk Friedrich Hölderlins auseinandersetzt; und auch einen Filmessay mit dem Titel „Passion Hölderlin“, in dem der Philosoph Heinz Wismann, der Schauspieler Walter Schmidinger, der Komponist Heinz Holliger und die Literaturwissenschaftlerin Anke Bennholdt-Thomsen darüber reden, was die poetischen Botschaften Hölderlins ihnen mitteilen.
Ab dem 20. März, Hölderlins 251. Geburtstag, sind alle Filme online abrufbar. Sie stehen als neue, vom Negativ restaurierte digitale Fassungen (mit Filmkorn) zum Streaming bereit.
Eine Collage verschiedenster Techniken
„Hölderlin - Wohin schleppt der einen?“, fragt Heinz Wismann. „Das weiß der Teufel“, lautet seine Antwort, „denn eigentlich ist das Verschleppen das, worum es geht. Das einen aus dem gewohnten Lebenszusammenhang, aus dem gewohnten Weltdekor Herausreißen.“ Wohin schleppt der einen, könnte man auch fragen, wenn man Harald Bergmanns Hölderlin-Trilogie „Lyrische Suite / Das untergehende Vaterland“ (1992), „Hölderlin-Comics“ (1994) und „Scardanelli“ (2000) sieht und hört – und staunt, wie Sprache und Bild, Schrift und Töne das Bild eines Dichters entstehen lassen. Bergmann findet Bilder, Landschaften und animierte Zeichnungen, die im Zusammenspiel mit der Handschrift Hölderlins aus D.E. Sattlers „Homburger Folioheft“-Edition und den Stimmen von Walter Schmidinger, Udo Samel, Otto Sander und Tina Engel den Poeten quicklebendig werden lassen.
Bergmann nutzt in seiner Hölderlin-Trilogie die verschiedensten filmischen Techniken und Genres. „Lyrische Suite / Das untergehende Vaterland“ ist in Gestalt einer Collage mit Trickfilmanimation und Straßeninterviews inszeniert. Eine assoziative Reise führt durch in Hölderlintexten benannte Orte: über Avignon zum St. Gotthard, nach Rom, in den Vatikan, zum Berg Athos und nach Frankfurt. Neben den bekannten Hölderlininterpreten rezitiert auch der französische Filmemacher Jean-Marie Straub.
Der Filmessay „Hölderlin-Comics“ beschäftigt sich mit Fragen wie: Was ist Poesie? Wie entsteht ein Gedicht? Spannend bis irritierend sind die Reaktionen von Hölderlins Zeitgenossen, etwa die Überheblichkeit Schillers („Ich möchte wissen, ob diese Schmidts, diese Hölderlins unter allen Umständen so subjektivistisch, so überspannt, so einseitig geblieben wären“) und Goethes („…erinnert einen an die Gemälde, wo sich die Tiere alle um Adam im Paradies versammeln…).
„Scardanelli“ ist eine Annäherung in Spielfilmform. Optisch eindrucksvoll die Eröffnungssequenz, Hölderlins Fußmarsch zurück aus Bordeaux, über den St. Gotthard, eine einsame Figur in der Gebirgslandschaft. Der Weg führt ihn (dargestellt von André Wilms) 1802 zurück nach Tübingen, wo er „leichenblass, abgemagert und gekleidet wie ein Bettler“ ankommt. Er findet im Haus des Schreinermeisters Zimmer eine Unterkunft. Er ist 37 Jahre alt und wird dieses Haus nie mehr verlassen. 36 Jahre verbringt er im Turmzimmer am Neckar, verwirrt, wie alle glauben, klavierspielend, zeichnend und dichtend. Viele besuchen den berühmten Mann. Sie kommen mit Ausgaben seiner frühen Gedichte. „Ja, die Gedichte sind echt, die sind von mir“, sagt er den Leuten, „aber der Name ist gefälscht, ich habe nie Hölderlin geheißen, sondern Scardanelli“.
Kein bloßes Rezitieren
Wie sich diesem Phantom nähern, ohne es zu banalisieren? Harald Bergmann findet eine überzeugende Erzählweise, in dem er seinen Film auf verschiedenen Ebenen ansiedelt. In stetem Wechselspiel kommentieren sich Schwarz-weiß-Szenen in extremen Lichtkontrasten, die Hölderlins Leben in seinem Turmzimmer zeigen, und dokumentarische Auftritte in Farbe von schwäbelnden „Zeitzeugen“, deren Erinnerungen an Hölderlin auf überlieferten Berichten beruhen. Und dann die Stimme von Walter Schmidinger, der Hölderlingedichte nicht rezitiert, sondern lebt und seine Hölderlinworte über animierte Bleistiftzeichnungen schwäbischer Landschaften schweben lässt.
Hinweise
Auf der Website des Filmemachers Harald Bergmann finden sich neben vielen Materialien zu dessen gesamtem Werk jetzt auch eine Streaming-Sektion, in der Bergmanns langjährige Beschäftigung mit dem Dichter Hölderlin (drei Filme und ein Essay) in restaurierter Fassung komplett zugänglich ist.