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"Entertainment is our Profession" - Angela Lansbury

Zum Tod der britisch-amerikanischen Schauspielerin Angela Lansbury (16.10.1925-11.10.2022)

Veröffentlicht am
18. Oktober 2023
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Mit ihrer Krimiserie „Mord ist ihr Hobby“ erwarb sich die britisch-amerikanische Schauspielerin Angela Lansbury im reifen Alter ihre größte Popularität. Seinerzeit blickte sie bereits auf vierzig erfolgreiche Jahre im Showgeschäft zurück, angefangen mit einer Reihe erstaunlich reifer Filmrollen schon als junge Frau in Hollywood. Zeitweilig festgelegt auf das Stereotyp dominanter, manipulativer Mütter wie im Thriller „Botschafter der Angst“, gelang der begnadeten Darstellerin übers Theater der Aufstieg zum Publikumsliebling, den sie bis weit über ihr 90. Lebensjahr beibehielt. Ein Nachruf auf die am 11. Oktober verstorbene Angela Lansbury.


Eine Tochter nach dem Herzen eines strengen Vaters. „Werde ja nicht sentimental“, schärft der konservative Zeitungsverleger Sam Thorndyke seiner Tochter Kay ein, als es mit ihm zu Ende geht. „Das war ich nie!“, entgegnet diese und nimmt mit dem Gehstock des alten Knochens buchstäblich den Staffelstab seiner politischen Ambitionen auf. Außerhalb seines Zimmers schließt sie nur kurz die Augen, als der erwartete Schuss ertönt, mit dem ihr Vater sein Leben beendet, und lässt erst ein paar Tränen rinnen, als die Blitzlichter der wartenden Reporter auf sie gerichtet werden. Schon hier bewegt sich Kay zielstrebig auf das Weiße Haus zu, und da sie als Frau keine Chance sieht, selbst Präsidentin zu werden, spannt sie dafür ihren verheirateten Geliebten ein. Grant Matthews, gespielt von Spencer Tracy, ist „Der beste Mann“, wie der deutsche Titel von Frank Capras „State of the Union“ (1948) durchaus treffend lautet, oder genauer: Der beste Strohmann – ein Self-Made-Industrieller voller idealistischer Ideen und aufrichtiger Liebe zu den USA und ihren Einwohnern, der durch Kay und ihr versiertes Berater-Team seine Skepsis gegenüber der Politik aufgibt. Doch hinter seinem Rücken lässt die junge Verlegerin gegenüber potenziellen Unterstützern der Kandidatur keinen Zweifel daran, wer die Fäden zieht: „Soweit es Sie betrifft, bin ich Ihr Kandidat!“

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Angela Lansbury (links) in "Der beste Mann" (© IMAGO / Picturelux)

Ganze 22 Jahre alt ist Angela Lansbury, als Frank Capra ihr die Rolle von Kay Thorndyke gibt, doch nichts an ihrem Auftritt deutet an, dass sie auch nur eine Spur eingeschüchtert wäre von ihren schon damals legendären Filmpartnern Spencer Tracy und Katharine Hepburn, die Matthews’ zeitweise entfremdete Frau spielt. Kay Thorndyke prägt ein ungebrochenes Selbstbewusstsein, das diese an sich höchst unsympathische junge Dame zu einer durchweg faszinierenden Figur macht. Angela Lansbury gelingt dies, indem sie Kays überlegene Haltung in kleinen Dosen und mit Instinkt für feine mimische Mittel präsentiert: Lauter werden muss die ehrgeizige Frau nur selten, stattdessen lässt sich mit stetigem Vergnügen beobachten, wie sie ihre Gegenüber mit starren Blicken fixiert oder ihre großen Augen mit den markanten Wimpern angesichts der Emotionalität von Tracys Figur matt flackern. Kein Zweifel: Kay Thorndyke hat alles unter ihrer Kontrolle, und auch wenn ihre Pläne mit Matthews am Ende nicht aufgehen – ihren Glauben an sich selbst raubt ihr das noch lange nicht.


Auf Anhieb eine „Oscar“-Nominierung

Demonstrative Abgeklärtheit und Selbstsicherheit sind Eigenschaften, die der jungen Angela Lansbury vier Jahre vor „Der beste Mann“ schon bei ihrem Debüt auf der Leinwand zu eigen sind. Die Tochter der irischen Schauspielerin Moyna Macgill und des englischen Kommunisten Edgar Lansbury ist seit ihrem zehnten Jahr Halbwaise und beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit der Mutter und zwei jüngeren Brüdern in die USA emigriert; zur Unterstützung der Familie singt sie schon als Jugendliche in Nachtclubs. Kontakte ihrer Mutter in die Filmwelt verhelfen Angela Lansbury zum erfolgreichen Leinwandtest beim Hollywood-Regisseur George Cukor für den Thriller „Das Haus der Lady Alquist“ (1943). Ihre Rolle neben Ingrid Bergman und Charles Boyer ist der perfekte Einstand für die knapp 18-Jährige mit den rosigen Wangen, lebhaften Augen und dem hochgesteckten Haar: ein muffiges, trotz einfacher Herkunft snobistisches Dienstmädchen, das Boyers hinterhältiger Pianist, der seine Frau in den Wahnsinn treiben will, mit Absicht einstellt, um seine verunsicherte Gattin weiter zu isolieren. Es ist die erste einer Reihe unsympathisch angelegter Figuren, die Angela Lansbury in der ersten Hälfte ihrer Karriere mit Bravour spielen wird und die ihr auf Anhieb eine „Oscar“-Nominierung einbringt.

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"Botschafter der Angst" - Angela Lansbury als Mrs. Eleanor Shaw Iselin (© IMAGO/Zuma Wire)

Die zweite folgt direkt ein Jahr später für eine Rolle, mit der die Schauspielerin schon ganz andere Nuancen zeigen darf. Die unglückselige Barsängerin Sybil Vane, die in „Das Bildnis des Dorian Gray“ von dem titelgebenden Dandy verführt wird und sich nach der Zurückweisung ihrer Liebe das Leben nimmt, gibt Angela Lansbury unter der Regie von Albert Lewin nicht allein die Gelegenheit, auch ihr Gesangstalent vor der Kamera zu zeigen. Der wenig sensible Umgang des bessergestellten Dorian Gray mit dem Mädchen aus dem Volk spiegelt sich in einem Mienenspiel, das bald vorsichtige Hoffnung auf eine Erfüllung ihrer Sehnsüchte, bald die frühe Ahnung des bösen Ausgangs verrät. Hier erregt Angela Lansbury auf subtile Art Mitgefühl, ohne Sentimentalität zu schüren, und sie hat die volle Sympathie des Zuschauers.


Frauenfiguren, die das Sagen haben

Mit dieser verwundbaren und liebenswürdigen Aura der Schauspielerin kann das klassische Hollywood allerdings merklich weniger anfangen als mit ihrer Fähigkeit, Gefühlskälte und Egoismus auszudrücken. Nicht nur in „Der beste Mann“ wirkt sie so welterfahren und zielstrebig, dass sie um etliche Jahre älter erscheint als in Wirklichkeit. In dem Western-Musical „The Harvey Girls“ (1946) etwa ist sie die Antagonistin der drei Jahre älteren, als Schauspielerin viel erfahreneren Judy Garland – doch diese wirkt als junge Kellnerin viel unsicherer und haltsuchender als Angela Lansburys abgeklärtes „Dance Hall Girl“, das am Ende des Films entnervt eine Notbremse zieht und die widerstrebende Garland aus dem Zug jagt, damit diese und ihr hinterhergaloppierender Galan nicht ihr Happy End verpassen. Mitunter ist die schroffe Selbstsicherheit von Angela Lansbury auch sehr amüsant wie als Prinzessin neben Danny Kaye in „Der Hofnarr“ (1955), die sich von ihrem tyrannischen Vater unbeeindruckt zeigt, oder in „Der lange heiße Sommer“ (1958), wo sie Orson Welles’ bärbeißigen Farmer mit unmissverständlichen Ansagen im Kommandoton („Ich habe Pläne gemacht. Ehepläne.“) in den Wahnsinn zu treiben droht.

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Lansbury in "Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett" (© IMAGO / EntertainmentPictures)

Den Höhepunkt dieser stereotypen, gleichwohl aber im Spiel gekonnt variierten dominanten Frauen stellt zweifellos „Botschafter der Angst“ (1962) dar. In dem düsteren Paranoia-Thriller von John Frankenheimer ist Angela Lansbury eine der denkwürdigsten Erzschurkinnen der Filmgeschichte: Die Mutter eines vermeintlichen Kriegshelden, die diesen in Wahrheit im Auftrag einer kommunistischen Verschwörergruppe für ein Attentat „programmieren“ soll, um die USA zu destabilisieren. Auch ihr Mann, ein für hysterische Anschuldigungen bekannter Senator, ist in ihrer Gegenwart nur eine hohle Marionette, der sie beiläufig empfiehlt, es lieber nicht mit Denken zu versuchen. Aus Eleanor Iselin ist jede menschliche Regung außer dem absoluten Willen zur Macht verbannt worden; dass ihr Sohn auch deshalb als der Killer ausgewählt wurde, um ihre Loyalität zu binden, vermerkt sie anerkennend als Beleg für die Tatkraft ihrer Auftraggeber. Vor allem die Szene, in der Angela Lansbury, flankiert von einer übergroßen Spielkarte, ihren zusammengekauerten Filmsohn auf den Anschlag einschwört, prägt sich durch die abstoßende Kälte in Worten wie Miene unauslöschlich ein. Ein drittes und letztes Mal wird Angela Lansbury für diese Leistung für den „Oscar“ nominiert.


Musicals bahnen den Weg zu einem neuen Image

In den Jahren vor und nach „Botschafter der Angst“ übernimmt Angela Lansbury weitere garstige Mutterrollen, etwa im Elvis-Presley-Musical „Blaues Hawaii“ (1961) oder in „Henry's Liebesleben“ (1963) als humorlose Stiefmutter einer aufgeweckten Teenagerin. Dabei bleibt die Regel, dass ihre „Leinwand-Kinder“ oft nur wenig jünger sind als sie, was sich auch auf der Bühne fortsetzt, wo sie in diesen Jahren zusehends Erfolge feiert. Es sind vor allem Musicals, die Angela Lansbury den Weg zu einem neuen Image ebnen, weg von den harschen Megären hin zu schrulligen, eigenständigen und tatsächlich nun auch oft wieder liebenswürdigen Figuren. Die etwas pausbäckiger und gesetzter gewordene Aktrice gewinnt zwischen 1966 und 1980 viermal den amerikanischen Theaterpreis „Tony“ und reduziert ihre Kinoarbeit ab dieser Zeit erheblich. Die schwarze Komödie „Something for Everyone“ (1970) und der Disney-Fantasyfilm „Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett“ (1971) sind zwar filmisch eher Mittelklasse, bieten Angela Lansbury aber schöne exzentrische Aufgaben; köstlich ist auch ihre überkandidelte Schriftstellerin in „Tod auf dem Nil“ (1978). Ihr Kino-Gastspiel als Miss Marple in „Mord im Spiegel“ (1980) ebnet ihr dann den Weg zu ihrer größten Zuschauerschaft mit der Krimiserie „Mord ist ihr Hobby“ (1984-1996). Als Krimiautorin und Amateurdetektivin Jessica Fletcher löst sie über 250 Fälle und besticht mit ihrer pfiffigen, hochpräsenten, aber nie aufdringlichen Aura.

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Als strenge Tante: Lansbury in "Eine zauberhafte Nanny" (© IMAGO / Allstar)

Mit dieser wertet sie auch die wenigen Kinoabstecher auf, die sie nach dem – auch finanziell für sie einträchtigen – Serienerfolg noch unternimmt. Zum Beispiel als Synchronsprecherin: Ihre Musical-Praxis und die zarte, leicht brüchige Altersgrandezza ihrer Stimme stellen die seelenvolle Teekanne Madame Pottine in Disneys „Die Schöne und das Biest“ (1991), in dem sie das Titellied interpretiert, und die Zaren-Mutter in „Anastasia“ (1997) als ungewöhnlich eindrückliche Zeichentrickfiguren heraus. Auch zu sehen ist Angela Lansbury im Kino nochmals in kleinen Rollen u.a. als skurrile Tante in „Eine zauberhafte Nanny“ (2005) und als Ballonverkäuferin in „Mary Poppins’ Rückkehr“ (2018), ihre Rüstigkeit belegt sie mit weiteren Theaterauftritten ebenfalls bis über ihr 90. Lebensjahr hinaus. Einen Rückzug aus dem Schauspieler-Beruf hat die Schauspielerin bewusst nie vollzogen, ganz im Geist ihrer denkwürdigen Kampfansage an Judy Garland in „The Harvey Girls“: „Entertainment is our profession, see?“ Wenige Tage vor ihrem 97. Geburtstag starb Angela Lansbury am 11. Oktober 2022 in Los Angeles.

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