© imago/Future Image (Claudia Roth bei der Verleihung des Deutschen Hörfilmpreises 2022)

Kinomuseum-Blog (6): Claudia Roth lässt antworten

Siegfried-Kracauer-Blog „Kinomuseum“ (6): Die Kultur-Staatsministerin Claudia Roth entzieht sich dem Gespräch über die FFG-Novellierung und lässt stattdessen ihre Pressestelle antworten

Veröffentlicht am
24. Oktober 2022
Diskussion

Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth gilt als kinoaffin. Doch über ihre Vorstellungen zur anstehenden FFG-Novelle will sie nicht mit Journalisten sprechen. Sie schickt lieber ihre Pressestelle vor, die mit butterweichen Phrasen alle drängenden Fragen unbeantwortet lässt. Das lässt nichts Gutes erwarten Ein "Kinomuseum"-Blog-Beitrag im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Stipendiums.


Alle bisherigen Staatsminister:innen für Kultur, gleich von welcher Partei, hatten etwas gemeinsam: Sie interessierten sich für das Kino und waren offen für Gespräche mit Filmjournalisten. Beim Filmfestival in Cannes bot sich in den letzten beiden Jahrzehnten oft Gelegenheit zu einem nachmittäglichen Treffen mit der deutschen Filmpresse. Ich habe keinen Zweifel, dass auch Claudia Roth das Kino liebt. Bei der Berlinale 2010 zählte sie zu den letzten Gästen der Eröffnungsparty. Fröhlich überließ sie mir Unbekanntem das Taxi, auf das sie schon länger gewartet hatte, um den Abend noch etwas zu genießen. Ich kann aber nicht verhehlen, dass ich enttäuscht bin, weil es mir, so wenig wie anderen Kolleg:innen, bislang nicht gelungen ist, mit ihr die anstehenden Erneuerungen in der Filmpolitik zu diskutieren. Ihrem Pressesprecher überließ sie die Beantwortung der folgenden, schriftlich eingereichten Fragen. Was ich zurückbekam, klingt so lebendig wie in Marmor gehauen und ist zugleich belastbar wie Butter. Ich möchte die Antworten nach einigem Zögern nun doch dokumentieren. Vielleicht passen sie ja gerade besonders gut in einen ungewissen deutschen Kinoherbst.


Vor 55 Jahren wurde das erste Filmförderungsgesetz erlassen. Die damit gegründete Filmförderungsanstalt hatte als erste Aufgabe, „die Qualität des deutschen Films auf breiter Grundlage zu steigern.“ Heute werden deutsche Filme international kaum noch wahrgenommen. In den Wettbewerben und Nebensektionen von Cannes war Deutschland nicht vertreten. In einer Erklärung der Vereinigung unabhängiger deutscher Filmverleiher, AG Verleih, heißt es: „Der deutsche Kinofilm ist, von wenigen Mainstreamfilmen abgesehen, schon lange kein Eckpfeiler mehr in der hiesigen Kulturlandschaft. Überregulierung, Überproduktion, komplizierte und kleinteilige Finanzierungen und oft die Orientierung am Mittelmaß bestimmen das deutsche Filmschaffen in seiner Breite. Desinteresse beim Publikum, verbunden mit viel zu geringer Herausbringungsförderung, führen den deutschen Film in die Bedeutungslosigkeit.“ Das geringe Niveau des deutschen Films steht einem Boom auf Produktionsseite gegenüber. Wie beabsichtigen Sie das Niveau des deutschen Films zu steigern?

Sprecher von Claudia Roth: Ziel der Filmförderung des Bundes ist es, einen fruchtbaren Boden für die Herstellung von Kinofilmen zu schaffen, die eine hohe künstlerische Qualität aufweisen und auch an der Kinokasse und auf Festivals erfolgreich sind. Dabei erfordern filmpolitische Weichenstellungen stets die Berücksichtigung der komplexen föderalen Filmförderungsstruktur. Diese zeichnet sich durch eine Vielzahl miteinander verzahnter Förderinstrumente und Vorhaben aus. Dabei ist das Filmförderungsgesetz (FFG) nur eine Stellschraube im Gesamtsystem der deutschen Filmförderung. Es besteht Einigkeit in Politik und Branche, dass insbesondere durch die rasante Marktentwicklung im Medienbereich auch in der deutschen Filmförderung Reformbedarf besteht.

Deshalb will die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) die Filmförderinstrumente des Bundes weiterentwickeln und besser aufeinander abstimmen. Eine entsprechende Neuordnung und Vereinfachung der Rahmenbedingungen des Filmmarktes sind auch im Koalitionsvertrag vorgesehen. Um die notwendigen Anpassungen am Gesamtfördersystem zu identifizieren, steht die BKM im Rahmen des sog. „Filmpolitischen Dialogs“ bereits seit letztem Herbst im engen Austausch mit der Filmförderungsanstalt (FFA), den Ländern, den Länderförderern und der Branche in all ihrer Vielfalt.

In anderen europäischen Ländern wird Filmförderung als Kulturförderung aufgefasst. Österreich oder Belgien (das mit drei Filmen im Cannes-Wettbewerb gewann) haben Deutschland längst abgehängt. Warum wird Filmförderung von Ihrer Seite nicht stärker als Kunstförderung aufgefasst?

Die Filmförderung der BKM wird durchaus als Kunstförderung aufgefasst, insbesondere im Rahmen der kulturellen Filmförderung. Dabei wird das Ziel verfolgt, die künstlerische Qualität des deutschen Films zu steigern, zur Verbreitung deutscher Filme mit künstlerischer Qualität beizutragen und die Entwicklung des Kinos als Kulturort zu fördern. Ziel der jurybasierten kulturellen Filmförderung ist es, eine größtmögliche kreative Unabhängigkeit für innovative Projekte zu ermöglichen, losgelöst von Standorteffekten oder Erwartungen an den ökonomischen Erfolg eines Films. Entscheidend ist also die künstlerische Qualität des Projekts.

Die kulturelle Filmförderung der BKM versteht sich vor allem als Spitzenförderung, fördert aber auch innovative, vielversprechende Projekte von Nachwuchstalenten. Bezüglich der Genres und Ausdrucksformen soll ein breiteres Spektrum unterstützt werden, vom künstlerisch ambitionierten Festivalerfolg bis hin zum publikumsstarken Arthouse-Film.

In Frankreich wurden Streaming-Anbieter wie Netflix und Amazon verpflichtet, einen hohen Anteil ihrer Produktionen in die Kinos zu bringen. In Deutschland haben Produktionsfirmen derzeit kaum Anreize, für das Kino zu produzieren. Beabsichtigen Sie dies zu ändern, indem Filme für das Kino speziell gefördert werden?

Die BKM fördert über den Deutschen Filmförderfonds (DFFF) und die kulturelle Filmförderung die Herstellung von Kinofilmen. Die Hersteller werden verpflichtet, die geförderten Filme ins Kino zu bringen und die gesetzliche Sperrfrist nach dem Filmförderungsgesetz (FFG) einzuhalten. Auch die Filmförderungsanstalt (FFA) fördert nach dem FFG nur Filme, die ins Kino gebracht werden. Somit werden Filme für das Kino bereits in besonders hohem Maße durch den Bund speziell gefördert.

Es entsteht der Eindruck, dass Serien zu Lasten der Filmkunst überproportional gefördert werden. Führen 90 Millionen Euro Serienförderung allein aus dem German Motion Picture Fund (GMPF) nicht zu einer akuten Marktverzerrung zu Gunsten der Serienproduktion?

Schon lange ist die deutsche Filmförderung des Bundes vorrangig auf die Produktion von Kinofilmen ausgerichtet. Mit dem German Motion Picture Fund (GMPF) fördert die BKM daneben auch die Produktion von High-End-Serien. Beim GMPF handelt es sich im Kern um ein Standortförderinstrument, das – wie auch der DFFF – den Filmproduktionsstandort Deutschland attraktiver machen und volkswirtschaftliche Effekte erzielen soll. BKM stattet die beiden Standortförderinstrumente stets bedarfsgerecht im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel aus. Aufgrund der hohen Nachfrage beim GMPF wurde dieser in diesem Jahr entsprechend aufgestockt.

Die vielen im Kino erfolglosen Filme führten zu massiven Verlusten bei den Verleihern aufgrund zum Teil hoher Minimumgarantien und hoher Eigenanteile bei den Vorkosten. Beabsichtigen Sie eine von der Branche geforderte Neuausrichtung der Verleihförderung?

Zentrale Aufgabe der BKM ist es, gute Rahmenbedingungen für die Entstehung von Kinofilmen zu schaffen. Die Verantwortung dafür, ob ein geförderter Film erfolgreich im künstlerischen oder kommerziellen Sinn ist, liegt bei den an der Filmherstellung und Filmvermarktung beteiligten Akteuren. Zu beachten ist hier auch das Gebot der Staatsferne: die im Grundgesetz verankerte Kunstfreiheit verbietet jede staatliche Einflussnahme bei der inhaltlichen und künstlerischen Ausgestaltung von Filmen.

Die BKM hat im Rahmen des Programms „NEUSTART KULTUR“ im Übrigen mit zahlreichen und hochbudgetierten Maßnahmen auf die Folgen von Corona für die Verleihunternehmen reagiert. Unter anderem wurde im Juni 2021 die „Anerkennungsprämie für den Kinofilmverleih“ mit einem Volumen von rund 7 Mio. Euro ausgereicht. Auch wurde die kulturelle Verleihförderung der BKM um 4 Mio. Euro aufgestockt und die bestehende wirtschaftlich orientierte Verleihförderung der FFA mit 20 Mio. Euro aus „NEUSTART KULTUR“ flankiert.

Zu einer eventuell möglichen Unterstützung des Kinofilmverleihs steht BKM mit den Verleihverbänden in regelmäßigem Austausch. Dieses Thema ist auch Gegenstand des sogenannten „Filmpolitischen Dialogs“ von BKM, der FFA, den Ländern, den Länderförderern und der Branche in all ihrer Vielfalt.

Filmkultur bedeutet auch Filmbildung. Ich selbst bin als Filmvermittler in Kritik und Hochschullehre von ihrer Bedeutung überzeugt. Haben Sie Pläne, auch bildungspolitisch für Filmkultur einzutreten?

Auch für die BKM ist Filmbildung von großer Bedeutung. Aus diesem Grund fördert die BKM unter anderem das Netzwerk für Film und Medienkompetenz - VISION KINO. Ziel von VISION KINO ist es, Film als unverzichtbaren Bestandteil kultureller Bildung und von Medienbildung in den Lehrplänen und in der Bildung von Lehrkräften tiefer zu verankern. Bei den Programmen von VISION KINO werden junge Zuschauerinnen und Zuschauer an den Kulturort Kino herangeführt – auch mit dem Ziel, sie nachhaltig für die Filmkultur zu gewinnen. 2019, also vor Corona, nahmen knapp eine Million Kinder und Jugendliche an den bundesweiten SchulKinoWochen teil, viele kamen so zum ersten Mal ins Kino. Aktuell verzeichnen die SchulKinoWochen wieder eine erfreulich große Resonanz.

Die BKM hat VISION KINO zudem im September letzten Jahres für drei Jahre mit zusätzlichen Mitteln für das neue Projekt „Film Macht Mut“ ausgestattet. Das Angebot stellt Perspektivenvielfalt und die Kritik von Rassismus und Antisemitismus ins Zentrum der Filmvermittlung und soll in diesem Herbst starten. Bundesweit werden Workshops, Fortbildungen für Lehrkräfte und Multiplikatoren angeboten.

Darüber hinaus arbeiten auch Kinderfilmfestivals (wie etwa die von BKM geförderten Festivals LUCAS, SCHLINGEL oder DER GOLDENE SPATZ) ebenfalls engagiert daran, Filmerlebnisse medienpädagogisch zu begleiten.

Der deutsche Filmpreis wurde über Jahrzehnte durch eine unabhängige Jury vergeben, heute tut das die Deutsche Filmakademie, die sich als das zentrale Forum für Filmschaffende in Deutschland bezeichnet. Dabei können Experimentalfilmer oder akademische Filmtheoretiker und Publizisten dort nicht Mitglied werden, bedeutende Regisseure wie Christian Petzold lehnen eine Mitgliedschaft ab. Wäre es nicht transparenter, den höchstdotierten deutschen Kulturpreis wieder durch eine unabhängige Jury vergeben zu lassen?

Bis 2004 wurden die Preisträger des Deutschen Filmpreises durch eine Jury ausgewählt. Dieses Verfahren ist immer wieder auf Kritik gestoßen. Seit 2005 werden die Mitglieder in einem transparenten und demokratischen Verfahren von den derzeit über 2.100 Mitgliedern der Deutschen Filmakademie gewählt. Jeder Schritt des Verfahrens ist öffentlich zugänglich dokumentiert. Das Auswahlverfahren durch die Deutsche Filmakademie hat sich bewährt.

Ich begrüße Ihr Eintreten gegen antisemitisch konnotierte Kunst, die auf der documenta gezeigt wurde. Am 11. August startet der Film „Der junge Häuptling Winnetou“, der unter anderem von FFA und DFFF gefördert wurde. Die Darstellung indigener Menschen durch ethisch weiße Europäer (red facing), das kolonialistische Klischee des „edlen Wilden“ und das etwa in den USA nicht mehr offiziell verwendete Wort „Indianer“ ziehen sich durch den ganzen Film. Diese Probleme, die diesen Film in vielen internationalen Märkten ohnehin bereits nicht mehr verwertbar machen, waren bereits im Drehbuchstadium deutlich. Ich möchte Sie um eine Stellungnahme bitten, ob sich derartige Darstellungen im Einklang mit Ihren Richtlinien befinden.

Grundsätzlich gilt bei allen Filmfördermaßnahmen der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) eine staatliche Neutralitätspflicht. Das heißt: In Berücksichtigung der verfassungsrechtlich garantierten Meinungs- und Kunstfreiheit nimmt die BKM keine inhaltliche Bewertung einzelner Filme vor. Dieser Grundsatz hat allerdings auch seine Grenzen. So sind Filme von der Förderung ausgeschlossen, die verfassungsfeindlich, gesetzeswidrig, pornographisch oder gewaltverherrlichend sind „oder offenkundig religiöse Gefühle tiefgreifend und unangemessen verletzen“ (§ 46 Filmförderungsgesetz).

Für die BKM ist es ein zentrales Anliegen, Diversität in Kultur und Medien zu stärken. Um eine noch höhere Sensibilisierung für das Thema Diversität in der Film- und Serienförderung sicherstellen, hat die BKM bereits verschiedene Maßnahmen umgesetzt; weitere Maßnahmen werden kontinuierlich entwickelt. So ist z.B. im aktuellen Filmförderungsgesetz die Berücksichtigung von Diversität als Aufgabe der Filmförderungsanstalt (FFA) ausdrücklich festgeschrieben.

Zusätzlich werden derzeit in Zusammenarbeit mit der FFA Sensibilisierungs-Workshops erarbeitet. Damit soll mehr Bewusstsein für das Thema Diversität bei denjenigen geschaffen werden, die über Filmförderanträge entscheiden – also bei Kommissions- und Jurymitgliedern. Ziel dieser Workshops ist es, dass in den zur Förderung empfohlenen Projekten die Vielfalt der Gesellschaft künftig noch stärker abgebildet wird – sowohl vor als auch hinter der Kamera. Darüber hinaus wird das Thema Diversität auch auf anderen Ebenen aktiv durch die BKM begleitet und vorangetrieben. So fand unter anderem auch im Rahmen des „Filmpolitischen Dialogs“ eine eigenständige Fokusrunde hierzu statt.


Hinweis

Die Beiträge des Kracauer-Blogs „Kinomuseum“ von Daniel Kothenschulte und viele andere Texte, die im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Stipendiums in früheren Jahren entstanden sind, finden sich hier.

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