© imago/Everett Collection (Angelo Badalamenti am Klavier in "Blue Velvet")

Zum Tod von Angelo Badalamenti

Erinnerungen an den Filmkomponisten Angelo Badalamenti, der am 11. Dezember im Alter von 85 Jahr gestorben ist

Veröffentlicht am
27. Januar 2023
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Er war der Mann am Klavier und der kongeniale Komponist im Werk von David Lynch, dessen düsteren Kosmos er mit schweren Streichern und melancholischen Jazzstücken akustisch grundierte. Er förderte Unerhörtes zutage: Monotones, Nervendes und verstörend Schönes. Im Alter von 85 Jahren ist der US-amerikanische Komponist am 11. Dezember 2022 gestorben.


85 Jahre sind ein gesegnetes Alter, zumindest wenn man dem Schalk immer wieder erlaubt hat, seines Amtes zu walten. Fast jedes Mal, wenn Angelo Badalamenti (22.3.1937-11.12.2022) in der Öffentlichkeit auftrat, landete er irgendwann verschmitzt am Klavier, falls er dort nicht ohnehin schon aus beruflichen Gründen Platz genommen hatte.

Der Name des US-amerikanischen Komponisten klingt nicht unbedingt nach Brooklyn, New York. Und mit seinem gedrungenen Äußeren und den Lachfalten um die dunklen Augenringe bediente er ja ohnehin das Klischee vom hart arbeitenden italienischen Pizzabäcker. Wenn er dann auch noch einen leicht italienischen Akzent anklingen ließ, schien es fast so, als ob man ihn aus Sergio Leones „Es war einmal in Amerika“ her kennen würde. Das erste Mal in einem Film hat man ihn allerdings erst 1986 in einer kurzen (Bar-)Szene in „Blue Velvet“ gesehen - natürlich am Klavier.


Eine lebenslange Freundschaft

Badalamenti war kein Show-Man, wenngleich er auch ein ganzes Auditorium unterhalten konnte, da er die Gabe der Offenherzigkeit besaß. Ansonsten machte er lieber das, was er am besten konnte: Musik! Für „Blue Velvet“ wurde er nicht etwa deshalb engagiert, weil er zuvor schon kleinere Filmmusiken komponiert hatte, ganz gut Klavier spielte oder wie ein sanfter Mafioso aussah, sondern weil David Lynch einen Sprachcoach für Isabella Rossellini brauchte. Mit seinem gewinnenden Wesen hatte er am Ende nicht nur die Barszene und den Auftrag für die Filmmusik in der Tasche, sondern auch eine lebenslange Freundschaft mit dem Exzentriker auf dem Regiestuhl begründet.

Angelo Badalamentni bei der Verleihung der Word Soundtrack Awards 2005 (imago/Belga)
Angelo Badalamenti bei der Verleihung der Word Soundtrack Awards 2005 (© imago/Belga)

Von ihrem Wesen her hätten Angelo Badalamenti und David Lynch nicht unterschiedlicher sein können. Doch Gegensätze ziehen sich an, wenn Offenherzigkeit als Katalysator fungiert. Verstanden habe er die Filme von Lynch allenfalls mit dem Bauch, hat er 2008 gesagt, als er in Gent bei den World Soundtrack Awards für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Auch dort setzte er sich (halb geplant) ans Klavier und verriet, dass sein Geheimnis, die mysteriösen Bilder von „Blue Velvet“ und „Twin Peaks“ bis „Mulholland Drive“ mit Klängen zu füllen, schlicht im Plaudern mit dem Regisseur begründet liege. Lynch erzähle von seinen Visionen, und er sitzt am Klavier und finde Töne dazu. Die Filme existieren zunächst getrennt in beider Köpfe. Das Wunder der Synchronisation findet später statt. Diese Fähigkeit der Übersetzung der Gedanken eines Regisseurs in Musik ist wohl die größte Gabe eines Filmkomponisten. Denn Melodien komponieren kann jeder. Das Kunstwerk eines anderen zu vollenden, fällt hingegen weit schwerer.

In „Blue Velvet“ kam erschwerend hinzu, dass die Tonebene oberflächlich betrachtet schon durch den Bobby-Vinton-Song ‚Blue Velvet’ definiert ist. Vintons effektvoll mysteriöser Song aus dem Jahr 1963 geht in seiner Wirkung sogar ungleich tiefer. Unabhängig vom Bekanntheitsgrad oder dem Textgehalt überzieht der Song den gesamten Film mit einer bleiernen, lasziven Düsternis, in der die Geschichte um Mord und sexuelle Gewalt blühen kann.

Badalamenti greift diese diffuse Stimmung auf, ohne den Song zu adaptieren – und schon steht der ganze Film unter dem Einfluss dieses Liedes. Die undefinierbar bedrohliche Stimmung von „Blue Velvet“ resultiert zu großen Teilen genau daraus. Erstaunlich daran ist, dass diese Arbeit zu den ersten Kompositionen Badalamentis für das Kino gehört. Erstaunlich auch deshalb, weil er zur selben Zeit die krächzende Synthesizer-Kakophonie zu „Nightmare III – Freddy Krueger lebt“ verfasste. Mit Chuck Russell hat er dann aber nicht mehr zusammengearbeitet, mit Lynch hingegen realisierte er bis 2001 all acht Langfilmprojekte. Manchmal fügen sich die Dinge!


Vorliebe für Synthesizer

Das Piano ist bei Badalamenti aber immer nur Mittel zum Zweck; ein Werkzeug in der Kommunikation zwischen Komponisten und Regisseur. Seine Scores zeichnen sich weder durch verspielte Akustik noch durch Orchestralität aus. Badalamenti liebt vielmehr die Elektronik! Deshalb paaren sich nicht nur Popsongs mit seinen akustischen Klanggebilden, sondern kommt das Wummern und Wabern aus der Steckdose hinzu. Selbst bei „The Straight Story“, David Lynchs Entdeckung der Langsamkeit, in dem ein alter Mann mit dem Rasenmäher durchs ländliche Iowa tuckert, gesellt sich der Synthesizer gleichberechtigt zu den moderaten Pizzicati der Konzertgitarre.

Neben den eher geerdeten Themen wie in „The Straight Story“ tauchten Lynch und Badalamenti aber mit großer Lust in die unergründlichen Tiefen menschlicher Hirnwindungen ein. Mit „Mulholland Drive“ schloss Badalamenti dort an, wo er mit „Twin Peaks“ und „Lost Highway“ aufgehört hatte. Denn ähnlich tief, wie sich Lynch in die Synapsen des menschlichen Geistes vergräbt, dringt sein Hauskomponist Badalamenti in die Schaltkreise seines Synthesizers vor.

Beide fördern Unerhörtes zutage: Monotones, Nervendes und verstörend Schönes. Badalamenti hält sich mit emotionalen Ausbrüchen zumeist extrem zurück. Gefühle resultieren bei ihm durch Kontinuität. Wohldosiert im Tempo, variiert er fast unmerklich die Intensität seiner nahezu epischen Soundkreationen; immer darauf bedacht, positive Gefühle auf ein Minimum zu reduzieren.


Ein besonderer Höhepunkt

Das Lustige lag ihm weniger. Am ehesten und ausnahmsweise funktionierte das in dem absurden Steampunk „Die Stadt der verlorenen Kinder“ von Jean-Pierre Jeunet. Das Beschwingte gelang schon eher, zumindest wenn es zu den Kriegsblitzen passen muss, die 1944 über London zuckten. Während die Deutschen die Stadt bombardieren, singt in „The Edge of Love“ die junge Tänzerin Vera (Keira Knightley) von sorgloser Liebe, zur Not im Luftschutzkeller. „The Edge of Love“ ist fast ein Spätwerk Badalamentis, der nach 2008 in etwa nur noch so viele Filmmusiken geschrieben hat wie sein Kollege Alexandre Desplat in manch einem Jahr. Das Drama von John Maybury markiert einen ganz besonderen Höhepunkt innerhalb von Badalamentins Schaffens, denn er konnte hier zeigen, dass er nicht nur zu Originalsongs komponieren, sondern diese auch selbst kreieren konnte. Darüber entstand fast ein kleines melodramatisches Musical – und Keira Knightley sang dazu.

Am 11. Dezember 2022 ist Angelo Badalamenti im Alter von 85 Jahren gestorben. Die (Musik-)Welt wird den netten Mann am Klavier vermissen. Seine Filme aber machen ihn unsterblich.

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