Am 24. Januar wurden die
Nominierungen für die 95. „Oscars“ bekannt gegeben. Bei der Verleihung am 12.
März in Los Angeles haben unter anderem Filme von Steven Spielberg, Daniel
Kwan/Daniel Scheinert, Martin McDonagh und Todd Field gute Chancen. Viele
Nominierungen entfielen aber auch auf „Top Gun: Maverick“ und auf den deutschen
Film „Im Westen nichts Neues“. Einen klaren Favoriten gibt es allerdings noch
nicht.
Der Spagat zwischen
kommerziellen und künstlerisch wertvollen Filmen ist seit jeher eine der
Grundherausforderungen, wenn es um die „Oscars“ geht. Zwar ist den Mitgliedern
der Academy of Motion Picture Arts and Sciences sehr wohl bewusst, dass
Kassenerfolge Hollywood am Leben erhalten, die nicht immer allen filmischen
Ansprüchen genügen, während auf der anderen Seite künstlerische Ambitionen von
Filmemachern sich nicht immer an der Kinokasse auszahlen. So scheinen die
Academy-Mitglieder 2023 mehr denn je darauf aus, beiden Fraktionen gerecht zu werden,
was angesichts der frappanten Kino-Situation auch sehr verständlich ist. Denn
um das durch Streaming-Konkurrenz und Corona-Schock verlorene Publikum
wiederzugewinnen, führt kein Weg daran vorbei, dass die Kinos zugkräftige Hits
ebenso brauchen wie ansprechendes Kunstwerk. Dementsprechend lassen sich die
zehn Werke, die am 24. Januar 2023 bei der Bekanntgabe der „Oscar“-Nominierungen
als Auswahl für die Kategorie des besten Films vorgestellt wurden, in zwei
Gruppen teilen: die Blockbuster und die Kritikerlieblinge.
In der einen stehen
zuvorderst die Kino-Phänomene „Avatar: The Way of Water“ und „Top Gun: Maverick“, denen bei allen berechtigten Einwänden gegen ihre
inhaltliche Glätte und einfachen Handlungsmuster nicht abzusprechen ist, dass
sie ihr Publikum erreicht und offensichtlich begeistert haben. Ergänzen lassen
sich hier auch Baz Luhrmanns großes „Elvis“-Spektakel, der allein
durch überwältigende Mundpropaganda über Monate in den Kinos laufende
Multiversumscoup „Everything Everywhere All at Once“ und Edward
Bergers deutsche „Im Westen nichts Neues“-Neuverfilmung, die zu
den größten Erfolgen von Netflix bei nicht-englischsprachigen Filmen gehört.
Noch kein klarer Favorit
Während „Everything Everywhere All at Once“ unter diesen fünf als einziger Film auch die
Kritik fast geschlossen zu Begeisterungsstürmen hinriss, fand die zweite Gruppe
der nominierten Arbeiten zwar Anklang bei der Kritik, aber ein deutlich
kleineres Publikum. Bitter dürfte dies vor allem für Steven Spielberg gewesen
sein, dessen autobiographisches Herzensprojekt „Die Fabelmans“ zu
seinem größten Kassenflop überhaupt wurde, aber auch Martin McDonaghs
schwarzhumoriges Drama „The Banshees of Inisherin“, Todd Fields
komplexe Studie „Tár“ über Machtmissbrauch und Cancel-Unkultur
und Sarah Polleys Drama „Die Aussprache“ sind keine
Publikumsrenner. Immerhin im europäischen Arthouse-Kino reüssierte Ruben
Östlunds „Triangle of Sadness“, der erste auf Englisch gedrehte
Film des schwedischen Regisseurs, der die „besten zehn“ vervollständigt.
Ein klarer „Oscar“-Favorit
lässt sich nach den Nominierungen allerdings noch nicht ausmachen. Zwar führt „Everything Everywhere All at Once“ mit insgesamt elf Nennungen die
Nominierungsliste an, doch dürfte auch „The Banshees of Inisherin“
(neun Nominierungen) noch gute Chancen haben, zumal Regisseur und Autor Martin
McDonagh den leichten Vorteil in der Kategorie „Bestes Originaldrehbuch“ haben
dürfte und bereits 2018 mit seinem vorherigen Film „Three Billboards Outside
Ebbing, Missouri“ lange als Hauptkandidat für den „Oscar“ gegolten hatte. Auch
mit Spielberg könnte durchaus zu rechnen sein, immerhin dürfte kein anderer
lebender Filmemacher auf ein ähnliches Ansehen bei seinen Hollywood-Kollegen
zählen können wie der 76-Jährige.
Beachtlich muss man auch den
Erfolg von „Im Westen nichts Neues“ nennen. Hierzulande eher mit
Achselzucken und etwas verhaltenem Lob für den Aufwand bedacht, hatte er sich
in der englischsprachigen Welt mehr und mehr Fans gesichert und erhielt nun von
der „Academy“ neun Nominierungen zugesprochen. Damit übertraf der Film von Edward
Berger auch den Erfolg von Wolfgang Petersens „Das Boot“, der 1983 auf sechs
„Oscar“-Chancen gekommen war. Zumindest der Preis als „Bester internationaler
Film“, wo die Remarque-Adaption es mit „Argentina, 1985“, „Close“,
„EO“ und „The Quiet Girl“ aufnimmt, dürfte ihm kaum zu nehmen
sein.
Jeweils sechs Nominierungen
gingen an „Tár“ und „Top Gun: Maverick“, die beide
auch noch nicht aus dem Rennen um den besten Film sind. „Top Gun: Maverick“ ist neben der Film-Nominierung und vier technischen Nennungen
auch im Rennen um das „Adaptierte Drehbuch“ – was bei der Verkündigung der
Nominierten im Publikum für hörbare Überraschung sorgte, aber jedenfalls ein
Zeichen dafür ist, dass sich das patriotische Flugabenteuer nicht einfach
abschreiben lässt. Für „Tár“, mit dem sich Todd Field 16 Jahre
nach „Little Children“ eindrucksvoll wieder im Filmgeschäft zurückmeldete,
dürfte in jedem Fall Cate Blanchett mit der achten Nominierung
der dritte „Oscar“ ihrer Karriere fast sicher sein. Gefährlich werden kann ihr
wohl nur Michelle Yeoh mit „Everything Everywhere All at Once“,
während Michelle Williams („Die Fabelmans“) mit ihrer insgesamt
5. Nominierung und die Debütantinnen Ana de Armas („Blond“) und Andrea Riseborough („To Leslie“) sich wohl mit der Nominierung werden zufriedengeben
müssen. Wobei die Berücksichtigung der Britin Riseborough immerhin zu den
positiven Überraschungen der „Oscar“-Nominierungen gehört, nachdem diese mit
ihrer aufopferungsvollen Rolle einer mit sich ringenden Alkoholikerin in dem
Independent-Film während der „Awards Season“ ansonsten sträflich ausgeklammert
worden war.
Innerhalb der
Schauspieler-Kategorien finden sich generell viele Darstellerinnen und
Darsteller, bei denen die „Oscar“-Nominierung lange überfällig scheint: So sind
Colin Farrell und Brendan Gleeson für „The Banshees
of Inisherin“ beide erstmals für einen „Oscar“ nominiert (wie auch ihre –
allerdings deutlich jüngeren – Filmpartner Barry Keoghan und Kerry Condon), gleiches gilt für Farrells vier Hauptdarsteller-Konkurrenten Austin Butler („Elvis“), Paul Mescal („Aftersun“), Bill Nighy („Living“) und Brendan Fraser („The Whale“). Unter den
Nebendarstellern kommen zudem Brian Tyree Henry („Causeway“), Hong Chau („The Whale“) sowie Jamie Lee Curtis und Ke Huy Quan aus „Everything Everywhere All at Once“ (ergänzt um Stephanie Hsu, die mit Curtis in der Nebendarstellerinnen-Kategorie antritt) gleichfalls
alle erstmals für einen „Oscar“ in Frage. Ergänzt werden sie durch zwei seit
Jahrzehnten etablierte Akteure: Angela Bassett greift mit ihrer
Königinnen-Rolle in „Black Panther: Wakanda Forever“ nach dem ersten „Oscar“
für eine schauspielerische Darbietung innerhalb des Marvel-Cinematic-Kosmos.
Bei den Nebendarstellern dabei ist Judd Hirsch für seinen
Auftritt als exzentrischer Onkel in „Die Fabelmans“, womit der knapp 88-jährige
Veteran 42 Jahre nach seiner Nominierung für „Eine ganz normale Familie“ zum
zweiten Mal für einen „Oscar“ in Frage kommt.
Die Schlagworte "endlich" und "überfällig" sollten bei der Vergabe der "Academy Awards" keine Rolle spielen, schließlich ist das keine Veranstaltung im Sinne von "Wer will nochmal? Wer hat noch nicht?" In Frage für einen "Oscar" kommen sollte eigentlich die BESTE künstlerische Leistung in der jeweiligen Kategorie.