© imago/Future Image (Patrice Leconte)

Traurig schön - Patrice Leconte

Interview mit Patrice Leconte über seinen Film „Maigret“

Veröffentlicht am
07. Mai 2023
Diskussion

Der 1947 geborene Filmemacher Patrice Leconte gehört zu den vielseitigsten und spannendsten französischen Regisseuren. Nachdem er zunächst populäre Komödien gedreht hatte, erfand er sich in den 1980er-Jahren neu und wurde zum Spezialisten für melancholische Filme. Mit „Maigret“ (jetzt im Kino) nimmt er sich nach „Die Verlobung des Monsieur Hire erneut einer Vorlage von Georges Simenon an und arbeitete erstmals mit Gérard Depardieu zusammen. Ein Gespräch über die Kunst, sich fallen zu lassen, Respekt vor Vorlagen und die Freude, selbst die Kamera in die Hand zu nehmen.


Sie hatten vor „Maigret“ noch nie mit Gérard Depardieu gedreht. Kam es nie dazu oder war es das erste Mal, dass Sie ihn konkret für eine Rolle im Kopf hatten?

Patrice Leconte: Ich wollte mit Gérard Depardieu durchaus irgendwann mal drehen, aber mich nicht dazu zwingen. Ich habe mir nie gesagt: Ich muss unbedingt einen Film mit Depardieu machen. Als es dann dieses Filmprojekt zu Maigret gab, dachten wir auch nicht sofort an ihn. Doch als sich dann mehr und mehr abzeichnete, dass er Maigret spielen würde, fand sich endlich die Gelegenheit zur Zusammenarbeit.

Ich habe Gérard Depardieu lange nicht mehr so überzeugend gesehen. Er hat hier etwas Trauriges, Melancholisches an sich.

Leconte: Gérard Depardieu kann am Set sehr kameradschaftlich sein, sich und andere amüsieren. Er ist kein trauriger Mensch, aber er trägt, wenn er sich fallen lässt, eine echte Melancholie in sich. Er hatte sich in den letzten Jahren ein wenig verrannt in kleinen Rollen, Auseinandersetzungen und politischen Meinungen. Dabei wirkte er etwas verloren. Man vergisst allzu schnell, über was für ein enormes Schauspieltalent er verfügt. Viele Leute haben mir das schon gesagt und es mag vielleicht nicht sehr bescheiden klingen, aber ich finde, dass man Depardieu seit 15 Jahren nicht mehr so überraschend, so zuversichtlich gespielt hat.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum er auch Rollen annahm, die nicht so bedeutend sind?

Leconte: Eins habe ich verstanden. Man könnte ja annehmen, dass er viele dieser Rollen einfach deshalb übernommen hat, um das Geld zu kassieren. Aber das ist es nicht, auch wenn er gerne gut verdient. Es geht ihm nicht ums Geld. Er liebt es einfach, zu spielen. Und er ist einsam. Viele Menschen umkreisen ihn, aber es gibt eine echte Einsamkeit in ihm, zu der er übrigens auch steht. Als sein Agent das Drehbuch bekam, meinte der nur: „Diesen Film kann Gérard nicht machen, weil er die ganze Zeit vor Ort sein muss.“ Doch Depardieu hatte schon zugesagt! Als er das Drehbuch erhielt, sagte ich ihm, dass es nur einen Drehtag ohne ihn gäbe. Sein Kommentar: „Da werde ich mich schrecklich langweilen.“ Er liebt es einfach, seinen Job als Schauspieler auszuüben.

Liebt es, vor der Kamera zu stehen: Gérard Depardieu (Pascal Chantier/Plaion)
Liebt es, vor der Kamera zu stehen: Gérard Depardieu (© Pascal Chantier/Plaion)

Ich habe Gérard Depardieu bei den Dreharbeiten zu „Cyrano von Bergerac“ erlebt. Wenn der Regisseur Jean-Paul Rappeneau noch eine Probe wollte, sagte Depardieu immer nur: „Nein, wir drehen jetzt.“ Ist er immer noch so ungeduldig?

Leconte: Was ihn unter anderem bei diesem Film sehr glücklich gemacht hat, war der Umstand, dass wir beim Drehen sehr schnell waren. Ich mache gerne zwischen einem und drei Takes. Es sei denn, man hat ein technisches Problem. Aber in „Maigret“ haben wir in vielen Szenen nur einen Take gebraucht. Wenn die Schauspieler wissen, dass man nur wenige Takes dreht, geben sie automatisch gleich ihr Bestes. Ich sage dann oft: „Die Aufnahme war gut. Willst du noch eine, Gérard?“ Und er antwortete immer: „Nein.“

Im Film gibt es viele Frauenfiguren, die sich auch optisch ähneln. Das war offensichtlich so gewollt. War das auch schon im Buch von Georges Simenon so?

Leconte: Nein. Betty, die junge Frau, die wie eine Doppelgängerin des Opfers Louise ist, gab es so im Buch nicht. Dort wiederum spielt ein weiterer Inspektor eine Rolle, den Simenon „Inspektor Griesgram“ nennt. Diese Figur existiert nicht im Film. Wir haben sehr viel verändert, aber den Geist von Simenon respektiert. Die alte Serie mit Jean Richard, in der man versucht hat, Maigret zu modernisieren, ist ja auch schlecht gealtert. Wir wollten keinen modernen Maigret. Ein Maigret mit iPhone? Das geht gar nicht.

Auch „Die Verlobung des Monsieur Hire“ von 1989 war eine Adaption nach einem Buch von Georges Simenon. Beide Verfilmungen haben eine ähnliche Stimmung, auch ähnliche Farben. War das Absicht?

Leconte: Nicht wirklich. Das liegt eher an Simenon, der diesen Vergleich auslöst. Ich las kürzlich einen Maigret, der im Sommer in Paris in der Hitze spielt. Das war sehr ungewöhnlich für Simenon. Für mich gibt es bei ihm immer eine etwas düstere Grundstimmung. Er hat ein Talent für die Schattenseiten im Leben. Einen lichtdurchfluteten Maigret-Film kann ich mir nicht vorstellen.

Sie haben in Ihren Filmen immer einen Hang zur „schönen Traurigkeit“…

Leconte: Das ist das schönste Kompliment, das man mir machen kann. Nur traurig zu sein, tut nicht gut, aber in der Traurigkeit auch eine Schönheit zu entdecken, ist berührend. Das findet man auch bei Irène, der Figur, die Louise das Abendkleid verleiht und nach Louises Tod das Kleid in einem sehr schlechten Zustand zurückerhält. Wenn Maigret zu ihr sagt: „Sie sind bestimmt der letzte Mensch, der sie noch lebend sah“, antwortet sie nur: „Ich hätte sie so gerne lebend wiedergesehen.“ Genau das macht eine schöne Traurigkeit aus.

Faszinierend finde ich, dass Sie selbst hinter der Kamera stehen. Das ist durchaus selten, dass Regisseure auch Kameramänner sind. Wie kam es dazu?

Leconte: Ich weiß nicht genau, warum wir so wenige sind, vielleicht fünf bis sechs in Frankreich. Luc Besson und François Ozon arbeiten auch als Kameramänner. Ich mache das seit „Ein unzertrennliches Gespann“, vorher traute ich mich noch nicht. Für mich ist es eine innere Freude, die Bilder, die ich im Kopf habe, selber zu machen, ohne sie einem anderen erklären zu müssen. Hinzu kommt, dass es die Schauspieler lieben, wenn der Typ, der den Film macht, sie auch noch filmt. Es ist fast so, als könnten sie sich dann einem Filmemacher besser hingeben. Sie wissen, dass der Blick, den der Kameramann auf sie richtet, auch der des Regisseurs ist. Seit langer Zeit ist es ja so, dass der Regisseur vor seiner Combo sitzt, auf den Bildschirm schaut und etwas weit von den Schauspielern entfernt ist. Dadurch entsteht eine Distanz. Wenn man selber Kameramann ist, gibt es keine Distanz.

Mélanie Bernier in "Mairgret" (Pascal Chantier/Plaion)
Mélanie Bernier in "Maigret" (© Pascal Chantier/Plaion)


Wie arbeiten Sie dann mit dem Chefkameramann, dem DoP, zusammen, der das Licht setzt?

Leconte: Das ist dann wieder anders. Ich habe ziemlich genaue Vorstellungen zum Licht. Es gibt einen Moment vor dem Drehen, den ich sehr mag, wenn ich gemeinsam mit dem Chefkameramann und dem Szenenbildner an die Drehorte gehe und wir uns genau diese Frage stellen: Woher kommt das Licht? Kommt es von hinten? Schließen wir die Vorhänge? Kommt das Licht nur durch ein winziges Fenster am Ende des Zimmers? Das ist immer die erste Frage und eine sehr fesselnde dazu. Wenn wir uns dann geeinigt haben, woher das Licht kommt, ist es sein Job, alles so einzurichten, dass wir genau dieses Licht für die Szene haben.

„Maigret“ spielt in Paris, aber haben Sie auch alles in Paris gedreht? In der letzten Einstellung, wenn Maigret in einer kleinen Straße aus dem Bild läuft, ist das doch nicht in Paris, oder?

Leconte: Wir haben nur in Paris gedreht, ein wenig auch in der Banlieue in Fabriken. Die letzte Einstellung wurde in Montmartre aufgenommen. Es ist die letzte Straße dort, in der man drehen kann, ohne danach allzu viel digital retuschieren zu müssen. Aber eigentlich ist es unmöglich, heute in Paris einen historischen Film zu drehen.

Wenn Sie auf Ihre Filme zurückblicken, sind da auch Werke dabei, mit denen sie heute aus dem zeitlichen Abstand heraus nicht mehr so zufrieden sind?

Leconte: Wenn ein Film misslungen ist, weil ich mich geirrt habe, oder er nicht so geworden ist, wie ich es mir vorgestellt hatte, dann merke ich das sofort. Ich wage es nicht, es mir einzugestehen, aber ich weiß es. Glücklicherweise gibt es davon nicht sehr viele. Wenn ein Film gelungen ist, bin ich mir dessen weniger bewusst. Ob ein Film, mit dem ich eher zufrieden bin, dann auch beim Publikum gut ankommt, weiß man nie. Aber ich schaue mir meine Filme eigentlich nicht nochmal an. Vor einiger Zeit gab es in Köln eine Retrospektive meiner Filme. Ich fuhr mit meiner Frau dorthin. Während der Vorstellungen gingen wir spazieren. Als „Ein unzertrennliches Gespann“ lief, wollte meine Frau ihn wiedersehen. Also begleitete ich sie. Ich fand ihn großartig, und das sagte ich dann auch im Filmgespräch danach, obwohl es unbescheiden klingt. Die Schauspieler sind wunderbar, der Film hat diese gewisse Anmut, und über dem Film liegt diese schöne Traurigkeit.

Alle Szenen wurden in Paris gedreht (Pascal Chantier/Plaion)
Alle Szenen von "Maigret" wurden in Paris gedreht (© Pascal Chantier/Plaion)


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