© imago/TT (Hoyte van Hoytema)

Sprechende Bilder: Der Kameramann Hoyte van Hoytema & „Oppenheimer“

Leders Journal (XIX): Im holländischen Fernsehen erhielt der Kameramann Hoyte van Hoytema Gelegenheit, drei Stunden lang live über seine Kunst zu sprechen

Veröffentlicht am
23. August 2023
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Zur besten Sendezeit am Sonntagabend strahlte der öffentlich-rechtliche Sender „Nederland 2“ ein dreistündiges Live-Gespräch mit dem Kameramann von „Oppenheimer“, Hoyte van Hoytema, aus. Der für große Hollywood-Produktionen arbeitende „Cinematographer“ erläuterte dabei anhand vieler Filmbeispiele seine Kunst des Bildermachens. Und entpuppte sich dabei überraschendweise als puristischer Minimalist.


In Deutschland wäre das unvorstellbar. Zur besten Sendezeit am Sonntagabend wurde in dem populären öffentlich-rechtlichen Sender „Nederland 2“ ein live geführtes Gespräch ausgestrahlt, in dem ein Kameramann knapp drei Stunden Zeit bekam, über sich, seine Arbeit und sein Metier zu sprechen und seine Ausführungen an Beispielen zu erläutern, die ihrerseits schon etwas Besonderes im Mainstream-Fernsehen darstellen.

Der Kameramann, dem diese Ehre zuteilwurde, ist Hoyte van Hoytema, und der Zeitpunkt der Sendung war insofern geschickt gewählt, weil der Film, den er zuletzt drehte, auch in den niederländischen Kinos für Furore sorgt: „Oppenheimer“ von Christopher Nolan. Auch andere Filme, bei denen Hoytema als „Cinematographer“, wie er sich selbst nennt, beteiligt war, sind durchaus populär, etwa der James-Bond-Film „Spectre“ (2015), bei dem Sam Mendes Regie führte.


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Illustre Sommergäste

Die Gesprächsreihe, in der er nun zu Gast war, heißt „Zomergasten“ (Sommergäste). Sie wurde einst vom holländischen Sender VPRO, der sich mit anderen die Programmierung von Nederland 2 teilt, erfunden, um während der Ferienzeit an sechs Sonntagen im Juli und August einerseits Sendezeit zu füllen, andererseits aber auch etwas Ungewöhnliches zu wagen, nämlich im Fernsehen ein Gespräch zu führen, das nichts mit der Hektik der Talkshows und den kurzen Interviewschnipseln der Nachrichtensendungen und Magazine zu tun hat.

Die Gespräche finden in einem Studio statt, dessen Dekor immer etwas Besonderes aufweist, aber durch nichts vom Dialog ablenkt, der an einem Holztisch mit zwei Stühlen geführt wird. In den letzten Jahren fanden die Gespräche auf dem Dach eines Camping-Wagens statt, der in einer Wasserlandschaft stand. In diesem Jahr ist das Studio durch eine Art von Lagerhallen-Kulisse bestimmt, deren Rück- und Seitenwände mit Projektionen bespielt werden können.

Vor Beginn sollen die Gäste Filme und Fernsehsendungen benennen, über sie in der Sendung gerne sprechen möchten. Sie werden dann in Ausschnitten eingespielt und von den beiden Gesprächspartnern moderiert. Zudem dürfen die Gäste einen Film benennen, der im Anschluss in voller Länge ausgestrahlt wird.

In Aktion am "Oppenheimer"-Set mit Christopher Nolan (© 2022 Universal Studios)
In Aktion am "Oppenheimer"-Set mit Christopher Nolan (© 2022 Universal Studios)

Ursprünglich wohnte „Zomergasten“ ein stark selbstreferenzielles Motiv inne. Man sprach im Fernsehen über das Fernsehen, sowohl kritisch, weil bestimmte Vorgehensweisen der audiovisuellen Massenmedien offengelegt wurden, aber auch affirmativ, weil besondere Augenblicke der Fernsehgeschichte in Erinnerung gerufen wurden. In den letzten Jahren ist diese Selbstreferenzialität deutlich in den Hintergrund getreten. Die gewählten Ausschnitte dienen jetzt eher der Illustration der Themen, mit denen sich die Gäste beruflich beschäftigen. Unter denen befinden sich Frauen und Männer, die aus den Künsten, den Wissenschaften, der Politik und gelegentlich auch aus dem Sport kommen.


Ein Gespräch über Bilder und ihre Seele

Das Experiment im Sommerloch kam überraschend gut an, so dass es bis heute anhält. Es ist kein Mehrheitsprogramm, aber es interessiert eine große Minderheit. Die Popularität von „Zomergasten“ zeigt sich auch darin, dass in der holländischen Öffentlichkeit über die Frage, wer die Sendung moderiert, ebenso gestritten wird wie über die Auswahl der Gäste. Nachdem von 2017 bis 2022 die Journalistin Janine Abbring die Gäste befragte, trat in diesem Jahr Theo Maassen an ihre Stelle. Mit dem Wechsel der Gastgeber verändert sich auch die Art des Gesprächs. Während Abbring stark auf die jeweiligen Biografien ihrer Gäste abhob, Privates und Berufliches geschickt miteinander verband und auch ihren eigenen Bezug zu den Themen nicht verhehlte, gibt sich Maassen in den ersten beiden Sendungen als interessierter Zeitgenosse, der seinen durchaus auch naiven Blick auf die Dinge nicht verhehlt.

Mit Hoyte van Hoytema kehrte „Zomergasten“ für eine Ausgabe zum Ursprungskonzept zurück. Denn der Kameramann, der einst zwei Mal an der Amsterdamer Filmakademie als Student abgelehnt wurde und deshalb in Lodz Film studierte, sprach ausführlich über die Bilder der Filme, von denen er Ausschnitte zeigte. Es handelte sich dabei nicht um Filme, an denen er selbst mitgewirkt hatte, sondern ausschließlich um Arbeiten von Kollegen, deren Namen er nicht immer erwähnte.

Am Anfang stand eine Szene aus einer Folge von „Miami Vice“, die nicht in den für diese Polizeiserie der 1980er-Jahre typischen Bonbonfarben gehalten war, sondern in dunkel-braunen Bildern eine nächtliche Autofahrt zeigt, über die der Song „Sultans of Swing“ von der Band Dire Straits gelegt worden war. Van Hoytema ging es in diesem Beispiel um die Faszination, die diese Fernsehbilder für ihn als Heranwachsenden besaßen und die ihn Film studieren ließ. Zugleich gab die Szene etwas vor, was auch anderen Beispielen zu eigen war: sie verzichtete weitgehend auf Dialog. Es waren meist die Bilder, die sprachen.

Einer der Filme, auf die van Haytema einging: "Athena" (© Kourtrjameuf Kourtrajme)
Einer der Filme, die Hoyte van Hoytema gedreht hat: "Athena" (© Kourtrjameuf Kourtrajme)

Van Hoytema zeigte Szenen aus so unterschiedlichen Spielfilmen wie „Eine schwedische Liebesgeschichte“ (1970) von Roy Andersson, „Der Spiegel“ von Andrej Tarkowski (1975), „Heaven‘s Gate“ von Michael Cimino (1980), und „Athena“ (2022) von Romain Gavras. Hinzu kamen Ausschnitte aus Dokumentarfilmen über die Raumfahrt, die Tierwelt und aus der holländischen Provinz.


Aus dem Leben eines Bildgestalters

Indem er über das sprach, was er zuvor zeigte, legte van Hoytema zugleich sein Verständnis von der Arbeit der filmischen Bildgestaltung offen. Er sprach vom Einsatz des Teleobjektivs, mit dem man Menschen anscheinend nahekäme, ihnen aber ohne physische Nähe zugleich fernbliebe. Er beschrieb, dass Storyboards ihn bei der Arbeit am Set auf eine Weise festlegen, die Kreativität oder Improvisationskunst nahezu unmöglich macht. Und er erzählte von der Notwendigkeit, bei Großproduktionen ein festes Team von bis zu 60 Menschen um sich zu haben, auf das er sich noch in den schwierigsten Situationen verlassen könne.

Dass es bei Dreharbeiten zu Konfusionen kommen kann, illustrierte er mit einem Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm „Regie: Andrej Tarkowski“ (1988) von Michal Leszczcylowki, der den Regisseur während der Aufnahmen zu „Opfer“ zeigt. Hier läuft eine aufwändige, sehr teure Szene, bei der im Hintergrund ein Haus in Flammen aufgeht, komplett schief; sogar der Kameramotor frisst sich fest. Eine absurde Szene, nicht ohne Komik, die van Hoytema bei allem Verständnis für Tarkowski und den Kameramann Sven Nykvist durchaus erheiterte, vielleicht weil sie ihn an ähnliche Situationen erinnerte, die er selbst erlebt hat.

Überraschend war, dass van Hoytema, der ja auch bei Großproduktionen wie „Dunkirk“ (2017) oder Special-Effects-Filmen wie „Tenet“ (2022) fürs Bild verantwortlich war, für eine Art von Minimalismus in der filmischen Bildgestaltung plädierte. Was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass er seinen holländischen Kollegen Robby Müller, bei dem er einst hospitierte, als sein Vorbild bezeichnete. Es erklärte aber auch, weshalb er gerne mit Nolan zusammenarbeitet, der bei „Oppenheimer“ auf ein Storyboard verzichtete und bei den Dreharbeiten zudem nicht auf einen Monitor schaut, sondern auf das Spiel der Darsteller konzentriert ist, wenn er neben der Kamera sitzt oder steht.


Die technischen Aspekte des Jobs

Man merkte Hoytema an, wie wichtig ihm die Darlegung auch der technischen Aspekte seiner Arbeit war. Er hatte kurze Filmstreifen mit ins Studio gebracht, um die Unterschiede zwischen den Bildformaten 35mm, 70mm und IMAX-70mm zu erläutern. Theo Maassen hörte ihm gerne zu, fragte nur gelegentlich nach und ließ sich immer wieder in Erstaunen versetzen, wenn der Kameramann aus der großen Welt der Filmproduktionen in Hollywood erzählte. Nur am Ende wollte er genauer wissen, was Hoytema denn meinte, wenn er von der „Seele der Dinge“ sprach, die es im Filmbild zu erfassen gälte. Doch der gewünschten Präzisierung, was Hoytema unter „Seele“ (im Niederländischen: „ziel“) versteht, verweigerte sich der Studiogast.

"Oppenheimer" (© Universal Pictures International Germany GmbH)
"Oppenheimer" (© Universal Pictures International Germany GmbH)

Vielleicht war es die Anwesenheit des Kameramannes im Studio, welche die Regie auf die Idee brachte, ein für „Zomergasten“ ungewöhnliches Bild zu zeigen, in dem man zum ersten Mal den Monitor sah, auf dem Moderator und Gast die Ausschnitte wahrnahmen, die in der Fernsehübertragung im Vollbild eingeschnitten wurden. Nach dem Lob für die Plansequenz, die Hoytema mit dem Ausschnitt des Films „Athena anstimmte, zeigte die Live-Regie einen klassischen Gegen-Schuss. Das war ein kurzer Moment der Selbstreferentialität, der einer Sendung gut anstand, die das Kino mit den Worten von Tarkowski als einen Ort beschrieb, in dem die Menschen erfahren können, dass sie mit ihrem Fühlen und Denken nicht alleine sind.

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