© Plaion

Filmklassiker: „Die Brücke am Kwai“

David Leans Kriegsepos von 1957 um britische Gefangene im Zweiten Weltkrieg, die für verfeindete Japaner eine Brücke bauen, ist remastered als UHD-Steelbook-Edition neu zu entdecken.

Veröffentlicht am
25. März 2024
Diskussion

David Lean schuf mit „Die Brücke am Kwai“ 1957 einen der denkwürdigsten Klassiker des Kriegsfilm-Genres. Im Mittelpunkt stehen nicht große Schlachten, sondern der Bau einer Brücke, mit dem ein britischer Colonel, der im Zweiten Weltkrieg in japanische Gefangenschaft geraten ist, die Überlegenheit seiner Landsleute beweisen will. Beim Label Plaion liegt der Film nun in einer restaurierten UHD-Edition mit reichlich Bonusmaterial vor.


Über Brücken im Kriegsfilm-Genre könnte man lange Essays verfassen: Sergio Leones „Zwei glorreiche Halunken“ und Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ inszenieren die Sabotage von Brückenköpfen als Schlüsselszenen, bei denen sowohl die pragmatischen als auch symbolischen Aspekte eine Rolle spielen. Bernhard Wicki hat dem Szenario mit „Die Brücke“ sogar seine komplette Laufzeit gewidmet. David Leans „Die Brücke am Kwai“ ist und bleibt jedoch wahrscheinlich das prominenteste Beispiel: Die unverkennbare Holzbrücke, die von den Filmplakaten herabblickt, erzählt eine Geschichte von Größenwahn, Verhängnis und Triumph – vor und hinter der Kamera.


      Das könnte Sie auch interessieren:


Es ist ein sonniger Morgen, an dem Colonel Nicholson (Alec Guinness) über die gigantische Holzbrücke schreitet und zufrieden seinen Blick über die stabile Konstruktion und die exakt verlegten Bahnschienen schweifen lässt. Von hier oben scheint der undurchdringliche Dschungel gezähmt zu sein. Vielleicht würde Nicholson sagen, der Landstrich sei durch das Bauen der Brücke und das Verlegen der Schienen geradezu „zivilisiert“ worden. Diese Brücke, unter schwersten Bedingungen in unwegsamem Gelände errichtet, ist in seiner Welt ein Symbol für die unglaubliche Kraft der Menschen, alle Hindernisse zu überwinden, solange man sich an die Regeln der Gesellschaft hält. Doch sie gehört nicht ihm, sondern seinen Feinden. Von Engländern während des Krieges gebaut, um japanische Truppen zu unterstützen. Damit erobern sie Länder, in denen englische Soldaten und Offiziere – wie Nicholson einer ist – ums Leben kommen werden, weil die Japaner einen kürzeren Versorgungsweg nutzen können.

Alec Guinness  als Oberst Nicholson (© Plaion)
Alec Guinness als Oberst Nicholson (© Plaion)

In der Ferne pfeift ein Zug, und der britische Colonel entdeckt etwas im niedrigen Fluss, der sich unter der Brücke hinschlängelt. Was sich in den kommenden Minuten abspielen wird, ist eines der größten Enden der Hollywoodgeschichte. Ein Finale, das derart bombastisch und wendungsreich ist, dass es über zweieinhalb Stunden Film brauchte, um sich aufzubauen. Zwei beinahe unabhängige Geschichten mussten vorangetrieben werden. Der Dreh brachte die komplette Filmcrew halb um den Verstand.


Unaufhaltsame Macht trifft unbewegliches Objekt

David Lean erzählt in „Die Brücke am Kwai“ die Geschichte einer Truppe britischer Gefangener, die während des Zweiten Weltkriegs in einem japanisch geführten Lager in Thailand inhaftiert werden. Im Zentrum stehen zwei Figuren, die sich durch ihre kompromisslosen Überzeugungen auszeichnen: der englische Colonel Nicholson und der japanische Colonel Saito (Sessue Hayakawa). Der eine zitiert die Genfer Konventionen, an die er sich Wort für Wort halten will. Für den anderen ist Krieg keine Frage der Regeln, sondern der Ehre.

Der Konflikt zwischen den beiden Männern beginnt bereits, als Nicholson seine Gruppe nicht wie eine Arbeitskolonne, sondern wie eine Militärparade ins Gefangenenlager einziehen lässt. Im Gleichschritt ein provokatives Liedchen pfeifend, erklärt er Offizier Saito, dass es rote Linien in der Behandlung von Kriegsgefangenen gibt, an die auch er sich halten müsse: Offiziere dürften beispielsweise nur als Aufsichtspersonen, jedoch nicht als Arbeitskräfte an der neuen Brücke mitwirken. Was folgt, ist ein mentales Kräftemessen zwischen den beiden Weltansichten. Nicholson riskiert sein Leben, um seine Prinzipien durchzusetzen, und Saito hat seins vielleicht bereits verwirkt, denn wenn die neue Eisenbahnbrücke nicht rechtzeitig fertig ist, wird ihm, seinen Überzeugungen gemäß, nichts anderes bleiben als der Freitod.


Die wackeligen Säulen der Zivilisation

„Without law, Commander, there is no civilization!“ – ohne Gesetz gäbe es keine Zivilisation, proklamiert Nicholson an einer Stelle. An einer anderen hält Saito entgegen: „Do not speak to me of rules. This is war! This is not a game of cricket!“ Leans Kriegsfilm wird zu einer Charakterstudie, in deren Mittelpunkt eine Abhandlung über Moralvorstellungen in einer chaotischen Welt steht. Im Tauziehen der Auslegungshoheit kommt Nicholson plötzlich die Idee, die den Film von einer spannenden Geschichte über Gefangene zu einem Genreklassiker macht: Was wäre, wenn wir die beste Brücke bauen, die die Welt jemals gesehen hat? Man kann den Zahnrädern seiner Weltsicht geradezu beim Rotieren zusehen. Alles hat eine beinahe klinische Logik für ihn, und jede Schlussfolgerung scheint für sich betrachtet folgerichtig. Eines Tages wird der Krieg vorbei sein, und das einzige, woran sich die Nachwelt erinnern wird, wird die Brücke am Kwai sein, die von britischen Soldaten als Denkmal ihrer Effizienz und ihrer „Zivilisiertheit“ mitten im Dschungel errichtet wurde. Guinness liefert eine unglaubliche darstellerische Leistung, die Schritt für Schritt mit absoluter Selbstsicherheit auf einen Abgrund zuschreitet. Der Plan wird zur Obsession, und ohne es zu merken, übernimmt Nicholson die Methoden seiner eigenen Unterdrücker.

Neu erschienen, remastered als 4kUHD im Steelbook (© Plaion)
Neu erschienen, remastered als 4kUHD im Steelbook (© Plaion)

In einer wunderbaren Szene, die den Umschwung der Machtdynamik einläutet, lädt Saito Nicholson in sein Quartier ein und kündigt an, dass er aufgrund eines hohen Feiertages seinen Einfluss nutzt, um den Gefangenen die selbstverwaltete Mitarbeit an der Brücke nach Nicholsons Wünschen zu erlauben. Als Nicholson den Raum verlässt und vom Jubel seiner Gefolgsleute begrüßt wird, schneidet David Lean noch einmal zurück zu Saito. Dieser sitzt in seiner Paradeuniform auf seinem Bett und weint.


Vision und Wahnsinn

Eine Set-Anekdote erzählt, dass die hervorragende Leistung von Sessue Hayakawa in dieser Szene auf David Leans seelische Grausamkeit zurückgeht. Angeblich soll er seinem Kameramann die Anweisung gegeben haben, zu filmen, während er den Schauspieler niedermacht und ihm wütend an den Kopf wirft, dass seine Darbietung nicht gut genug für den Film sei. Hayakawas Tränen sind vermutlich echt, und das ist nicht die einzige Grenze, die Lean für den Film überschritten hat.

Die Dreharbeiten zum Film, die im heutigen Sri Lanka stattfanden, waren eine Herausforderung für das Team und die Darsteller. In brütender Hitze wurde tagelang im Dschungel gedreht, und es musste eine echte Brücke gebaut werden, über die ein richtiger Zug fahren musste – und alles konnte nur einmal gedreht werden. Der enorme Aufwand, mit dem David Lean seine Vision umsetzte, ist bemerkenswert und beängstigend zugleich. Vielleicht konnte er gerade diese Geschichte so gut erzählen, weil sich in seinem Wesen etwas von Nicholson widerspiegelt: Die Idee, wirklich alles für seine Arbeit zu opfern, von einem Projekt so besessen zu sein, dass sowohl die eigene Gesundheit als auch die Strapazierfähigkeit des Teams bis zum Äußersten belastet werden, nur um etwas für die Ewigkeit zu schaffen.


Funken im Pulverfass der Menschlichkeit

In der Mitte der Story wendet Lean plötzlich seinen Blick ab von den beiden großen Brückenbauern. Nachdem der Grundstein gelegt wurde, sieht das Publikum die Konstruktion erst wieder im Finale wieder, denn es wird noch eine andere Geschichte erzählt. Die des Unberechenbaren, das sich über jede Logik hinwegsetzt und gegen jegliche Berechnung alle sorgfältig kalkulierten Wahrscheinlichkeiten in die Luft sprengt: die des amerikanischen Soldaten Shears (William Holden).

William Holden als amerikanischer Saboteur (© Plaion)
William Holden als amerikanischer Saboteur (© Plaion)

Shears befindet sich im selben Gefangenenlager und schafft es, durch eine Verkettung von unverhofften Umständen zu fliehen. Doch durch eine weitere Kettenreaktion von Unwahrscheinlichkeiten wird er gegen seinen Willen zurück in den Dschungel geschickt, aus dem er gerade gekommen ist. Seine Mission ist es, die neue Brücke zu zerstören, und die unvermeidliche Kollision dieser beiden Storylines wird zur finalen Zerreißprobe für alle Beteiligten. Shears ist der Gegenpart zur statisch-militärischen Welt, in der sich alle anderen Figuren bewegen, und wird sich im Laufe des Films dafür entscheiden müssen, wohin sein moralischer Kompass zeigt. Ein Egoist in den Wirren eines Krieges, dessen Befehlshaber von ihren Untergebenen absolute Selbstaufgabe verlangen, wird dazu gezwungen, ein Killerkommando für eine Sabotageaktion zusammenzustellen.

Währenddessen feiern die britischen Soldaten, dass die Brücke pünktlich fertig ist, und lediglich der Lagerarzt Clipton (James Donald) findet das richtige Wort für diese Vorkommnisse: „Madness.“


Zwischen Träumen und Trümmern

Am Abend vor der Einweihung, vor der „Madness“, die der nächste Tag bringen wird, treffen sich Nicholson und Saito ein letztes Mal auf der Brücke. Beide schreiten in stiller Ehrfurcht über den gebändigten Fluss. Es hängt eine eigenartige Unsicherheit in der Luft, die Saito mehr spürt als Nicholson. Beide Konkurrenten scheinen gewonnen zu haben. Der englische Colonel konnte die Überlegenheit des gut organisierten britischen Bataillons zur Schau stellen, und der japanische Colonel bekam seine Brücke. Gleichzeitig scheinen beide verloren zu haben, denn die Brücke, die von britischen Soldaten gebaut wurde, nützt am Ende ihren Gegnern, und der japanische Befehlshaber weiß insgeheim, dass sie es ohne die Hilfe des Feindes nie geschafft hätten. Saito schaut in die Ferne, in der über den Baumwipfeln die Sonne untergeht: „Beautiful.“ Nicholson – mit dem Rücken zu Saito gewandt – blickt auf die Pfeiler der Brücke: „Yes, beautiful. A first-rate job.“

„Die Brücke am Kwai“ ist ein Film, der laut, actionreich und spannend wird, aber immer wieder intime Augenblicke herausarbeitet, in denen die Leinwand nur den Figuren und ihren Themen gehört. Hier auf dieser Brücke scheinen sich alle Tugenden des Hollywoodkinos zu treffen, von der nachdenklichen Stille bis zu den großen Explosionen, von den persönlichen Momenten der Charaktere zum Wahnsinn der Filmschaffenden. „Beautiful“ und „Madness“ gleichermaßen.

Bei einer Reise nach Thailand kann man noch eine Brücke aus der damaligen Zeit sehen. Eine unspektakuläre, kleine Konstruktion, die wohl ein noch unspektakuläreres Holzbrückchen ersetzt hat und nie dafür vorgesehen war, ein Monument zu werden. David Lean ist in seiner Geschichte weit von jeglicher Realität entfernt und erzählt von Ereignissen, die mehr in Hollywood zuhause sind als in den Geschichtsbüchern dieser Welt. Und genau darum hat seine „Brücke am Kwai“ die Zeit überdauert.

Die neu aufgelegte UHD-Edition bietet ein sauber restauriertes Bild und neben einer remasterten Tonspur auch den Original-Monomix. Die Extras sind ein wahrer Schatz, die mehrere ausführliche Making-Ofs enthalten und von Trailern über Talkshowauftritte bis hin zu kleinen Essays eine spannende Reise in die Entstehungsgeschichte des Films ermöglichen. Das hübsche Steelbook rundet das Paket ab.

Kommentar verfassen

Kommentieren