© Filmperspektive (Der frühere ICC-Chefankläger Luis Moreno Ocampo)

Vier Filme für den Frieden - Marcus Vetter

Der Filmemacher Marcus Vetter über seine „Trilogie der Hoffnung“ und seinen jüngsten Film „War and Justice“, mit denen er dazu beitragen will, den Teufelskreis der Gewalt in Palästina zu durchbrechen

Veröffentlicht am
19. Juni 2024
Diskussion

Das Werk des Filmemachers Marcus Vetter ist auf vielfache Weise mit der palästinensischen Stadt Jenin im Westjordanland verbunden. Drei seiner Filme entstanden dort und kreisen um Versuche, den Teufelskreis aus Gewalt, Vergeltung, Hass und Rache zu durchbrechen. Zusammen mit seinem jüngsten Film „War and Justice“ sind sie jetzt im Kino zu sehen und sollen demnächst mit Live-Musikbegleitung zu einer Welttournee aufbrechen.


Beim Label „Der Filmverleih“ sind gerade vier (!) Filme von Ihnen ins Kino gekommen. Die schon älteren Werke „Das Herz von Jenin“ (2008), „Cinema Jenin“ (2009) und „Nach der Stille“ (2011) sowie Ihre jüngste Arbeit „War and Justice“ (2023). Was steckt hinter dieser konzertierten Aktion?

Marcus Vetter: Es ist der paradoxe Versuch, mit den Mitteln des Kinos etwas zum Frieden der Welt beizutragen. Konkret geht es um das endlose Zerfleischen in Palästina, wo sich beide Seiten immer noch mehr ineinander verbeißen. Dieser Teufelskreis der Gewalt muss durchbrochen werden. In jedem Krieg sterben Unschuldige. Der daraus entspringende Hass gebiert nur noch mehr Hass. Wir leben in Zeiten, wo man auf schlimme Dinge, die einem widerfahren, mit noch schlimmeren Dingen antwortet. Das führt aber nur zu noch mehr Gewalt und Zerstörung. Die „Trilogie der Hoffnung“ und meine aktuelle Dokumentation über den Internationalen Strafgerichtshof (ICC), „War and Justice“, sollen mit dazu beitragen, andere Wege der Konfliktlösung zu beschreiten.

Herta Däubler-Gmelin, Michele Gentile, Marcus Vetter und Luis Moreno Ocampo bei der Premiere von "War and Justice" (imago/Gonschoir)
Herta Däubler-Gmelin, Michele Gentile, Marcus Vetter und Luis Moreno Ocampo bei der Premiere von "War and Justice" (© imago/Gonschoir)

Die ersten drei Filme, die Sie jetzt zu einer „Trilogie der Hoffnung“ zusammenführen, spielen alle in Jenin, einer Stadt im Westjordanland, die dadurch berühmt wurde, dass viele palästinensische Selbstmordattentäter von dort stammen. Was hat Sie an diesen Ort verschlagen?

Marcus Vetter: Ich bin während der Dreharbeiten zu „Das Herz von Jenin“ dorthin gekommen. Im Grunde genommen geht alles auf einen Mann zurück, auf Ismael Katib, der den Mut aufgebracht hat, auf Rache zu verzichten. 2005 wurde sein achtjähriger Sohn Ahmed von israelischen Soldaten bei Jenin erschossen, weil sie sein Spielzeuggewehr für eine echte Waffe gehalten haben. Der Vater gab damals die Erlaubnis, die Organe seines toten Kindes zu transplantieren und an israelische Kinder zu spenden. Wir haben ihn 2007 bei einer Reise durch Israel begleitet, wo er diese Kinder und ihre Familien besucht hat. Daraus entstand „Das Herz von Jenin“, ein Film, der seither viele Dinge angestoßen hat, weil er davon erzählt, was passiert, wenn man Böses nicht mit Bösem vergilt.

Das Herz von Jenin“ ist ein erschütternder Film, der gleichwohl Mut macht und zeigt, dass die tiefe Feindschaft zwischen Israelis und Palästinensern überwunden werden kann. Das Kino in Jenin, das Sie mit aus der Traufe hoben und in dem Film „Cinema Jenin“ porträtiert haben, war ja auch eine Frucht davon.

Marcus Vetter: Die Wiedereröffnung des viele Jahre leerstehenden Kinos im Sommer 2010 erwuchs in der Tat aus dem Umfeld des ersten Films, weil wir und viele Menschen vor Ort daran glaubten, dass in der Begegnung mit anderen – und sei es auf der Leinwand – etwas Gutes entsteht. Manchmal auf sehr ungewöhnlichen Wegen. Etwas bei der Berlinale, wo „Der Herz von Jenin“ bei der Cinema-for-Peace-Gala einen Preis erhielt und wir das Cinema-Jenin-Projekt vorgestellt haben. Dort lernte ich den ICC-Chefankläger Luis Moreno Ocampo kennen, der viel dazu beigetragen hat, dass Palästina bei der UNO einen Beobachterstatus erhielt und später dann den Strafgerichtshof in Den Haag anerkannte.

Filme entwickeln ein mächtiges Eigenleben. Das gefällt oft nicht allen.

Marcus Vetter: In der Tat. Insbesondere den Al-Aksa-Brigaden, die in Jenin die vorherrschende Miliz sind und die unser Kino-Projekt boykottiert haben, da es nicht gegen die Israelis gerichtet war. Sie haben sich am Ende auch durchgesetzt; heute gibt es das Kino nicht mehr; jetzt steht dort eine Einkaufs-Mall. Das ist fruchtbar frustrierend gewesen, weil wir so ungeheuer viel investiert haben, Geld, Grips, Zeit, aber vor allem auch ungeheuer viel Idealismus. Auf der anderen Seite aber ist gerade das Kino ein mächtiges Symbol gewesen, das viele Energien gebündelt hat und Menschen an etwas hat glauben lassen. Zum Beispiel auch die israelische Witwe Yaël Chernobroda, die ihre Trauer über den Tod ihres Mannes überwunden hat, der bei einem Selbstmordattentat in Haifa getötet wurde. Sie ist zu uns nach Jenin gereist.Yaël Chernobrodain "Nach der Stille" (Fabian Zapatka)

Yaël Chernobroda in "Nach der Stille" (Fabian Zapatka)
Yaël Chernobroda (l.) in "Nach der Stille" (© Fabian Zapatka)

Yaël Chernobroda ist die Protagonistin von „Nach der Stille“ (2011).

Marcus Vetter: Eine ungeheuer mutige Frau. Sie hat sich darauf eingelassen, nach Jenin zu kommen und die Familie des Attentäters zu besuchen, der ihren Mann mit in den Tod gerissen hat. Der Anschlag in Haifa war gegen den Gedanken des Ausgleichs und der friedlichen Koexistenz gerichtet. Das wollten die Hintermänner mit dem Attentat sabotieren. Es war für die Witwe nicht leicht, aber sie hat es gewagt, auf die andere Seite zuzugehen. Schon ihr Mann war ein Friedensaktivist, der als Architekt auch für Palästinenser tätig war. Aber auch für Yaël war es das Beispiel von Ismael Katib, das sie motiviert hat, zu uns zu kommen und auf die Palästinenser zuzugehen. Das sind Geschichten, die wir weitererzählen müssen. Umso mehr, als sich die Gewaltspirale seit dem Massaker am 7. Oktober 2023 so fürchterlich weiterdreht.

Dagegen könnte man leicht einwenden, dass solche Beispiele doch reichlich naiv sind und all die Soft-Power an der Unbarmherzigkeit der Realität zerschellt?

Marcus Vetter: Ja. Kann man. Aber das ist ja genau das Problem, dass alle denken, das sei naiv und bringe nichts. Aber das stimmt nicht. Die Al-Aksa-Brigaden hatten sehr wohl verstanden, dass die Geschichte von Ismael Katib gefährlich ist. Weil plötzlich Hoffnung aufkommt. Weil es vielleicht doch einmal anders sein könnte. Weil man entdeckt, dass es nicht nur Schwarz und Weiß, sondern viele Zwischentöne gibt. Auch unter den Palästinensern, die ja nicht alle Israel-Hasser sind, sondern wo es viele gibt, die mit den Israelis in Frieden leben wollen. Es ist immer falsch, sich auf eine Seite zu schlagen. Die Wirklichkeit ist viel komplexer und differenzierter, als dass sie auf einfache Formeln gebracht werden könnte. Das nützt nur Populisten.

Sie planen, mit den vier Filmen auf eine Art Welttournee zu gehen. Mit großem Orchester und in Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Markus Rindt.

Marcus Vetter: Ich habe Rindt schon im Zusammenhang mit „Cinema Jenin“ kennengelernt. Er ist der Intendant der Dresdner Sinfoniker, einem virtuellen Orchester, in dem Musiker aus der ganzen Welt mitspielen. Er war auch in Jenin und ist jetzt mit dabei, wenn wir die „Trilogie der Hoffnung“ mit Livemusik in Opernhäusern und Theatern aufführen, von Kairo bis Sydney. Theater, Kunst, Musik und Film treten dadurch in einen Dialog, der als Live-Performance hoffentlich eine große ansteckende Kraft entfaltet. Am liebsten wäre mir, wenn Musiker aus der Ukraine, Russland, China, Taiwan, Israel oder Palästina mit dabei wären. Um ein Zeichen zu setzen, dass es um das Durchbrechen eines Teufelskreises geht, nicht nur um den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, sondern ganz generell.

War and Justice“ über den Internationalen Strafgerichtshof wäre dann sozusagen die Coda?

Marcus Vetter: Wenn Sie so wollen. Die Idee, Kriegsverbrecher haftbar zu machen und vor einem internationalen Gericht zur Verantwortung zu ziehen, beginnt bei den NS-Prozessen in Nürnberg und führt bis zu den aktuellen Haftbefehlen gegen Wladimir Putin, Benjamin Netanyahu sowie den Hamas-Führern Jahia Sinwar, Mohammed Diab Ibrahim Al-Masri und Ismail Haniyeh. Das ist die Vision der Weltgemeinschaft, Machthaber vor Gericht zu stellen und damit auch eine präventive Funktion auszuüben. Denn das größte Kriegsverbrechen ist der Krieg selbst, wie es der Chefankläger in Nürnberg, Ben Ferencz, nie müde wurde, zu wiederholen. Alle vier Filme handeln damit von Menschen, die versucht haben, den Teufelskreis der Gewalt und des Hasses zu durchbrechen.

Ismael Katib und eines der Kinder, die mit den Organen seines Sohnes leben (Arsenal)
Ismael Katib (r.) und eines der Kinder, die mit den Organen seines Sohnes leben (© Arsenal)

Hinweis

Details über das „Trilogie der Hoffnung“-Projekt, Termine und Veranstaltungsorte finden sich auf der Website des Regisseurs Marcus Vetter und seiner Produktionsfirma Filmperspektive.

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