Im Herbst 2025 startete der Spielfilm „Leibniz - Chronik eines verschollenen Bildes“ des mittlerweile 93-jährigen Filmemachers Edgar Reitz in den Kinos. Zu dem Historienfilm über den Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz, der hierbei im Auftrag der preußischen Königin Sophie Charlotte gemalt werden soll, ist ein mustergültiges Filmbuch erschienen. Darin lässt sich nicht nur die Filmentstehung nachvollziehen; Regisseur, Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Kameramann legen detailliert ihre Herangehensweisen und Konzeptionen offen.
Das Buch zum Film „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ ist parallel zum Filmstart des jüngsten Werkes von Edgar Reitz erschienen. Das zeigt, wie sorgsam die Publikation geplant war und dass es sich nicht um einen lieblosen Schnellschuss handelt. Edgar Reitz hat schon immer Wert auf das publizistische Nachleben seiner Filme gelegt und dementsprechend den Diskurs zu seinem Werk stimuliert. Warum er das macht, erklärt er sehr überzeugend in der Einleitung dieser Chronik der Entstehung seines Leibniz-Films. Nach Drehbuch, Dreharbeiten und Filmschnitt gibt es in seinen Augen mindestens eine weitere, vierte Phase der Filmentstehung. Diese umfasst die hoffentlich kreative Arbeit der Filmverleiher, die Filmkritik und eben auch ein Filmbuch wie dieses als Ausdruck vom Weiterleben des Films im Auge der Filmemacher.
Worum geht es bei seinem Film? Eigentlich steht eine überlieferte Anekdote im Zentrum. Die preußische Königin Sophie Charlotte (Antonia Bill) wünschte sich ein Porträt des großen Philosophen der Aufklärung, Gottfried Wilhelm Leibniz, damit sie ihm wenigstens in ihrer Einbildung die Fragen stellen kann, die sie bewegen. Leibniz soll also gemalt werden. Doch das Konzept des Hofmalers Delalandre (Lars Eidinger), dass Leibniz (Edgar Selge) sich „am Ende zum Verwechseln ähnlich sehen“ werde, passt ihm gar nicht. Es kommt zum Streit: „Ihr malt ein äußeres Ich, das sich für Euch verstellt.“ Der eitle Maler ist in seiner Ehre gekränkt und wirft hin. Deshalb muss – dies ist hinzuerfunden – eine junge Künstlerin aus Delft (Aenne Schwarz) sich an den philosophischen Ansprüchen des großen Denkers versuchen. Sie will immerhin getreu ihrem Vorbild Jan Vermeer mit ihrer Lichtinszenierung „das Fenster in die Seele des Menschen Leibniz finden, sonst sei alle Kunst vergeblich“.
Im Lichte der Leibnizschen Philosophie
Natürlich liegt dieser Geschichte bei Reitz sogleich auch ein subjektives filmisches Porträt von Gottfried Wilhelm Leibniz zu Grunde. Gleichzeitig ist es eine Selbstreflexion des Filmemachers Reitz über das Filmemachen im Lichte der Leibnizschen Philosophie. Das macht den Film reich und beeindruckend. Was kann ein Buch da noch hinzufügen? Nun, es kann ein wenig von den verborgenen Prozessen bei der Herstellung eines Filmes enthüllen, jedenfalls wenn Edgar Reitz der Filmemacher ist. Am Anfang steht eine Nacherzählung des Drehbuchs von Gert Heidenreich. Die feine Unterscheidung zwischen dem echten Drehbuch und einer verschriftlichten Form des fertigen Films macht schon klar, wie seriös das Unternehmen angelegt ist. Später beschreibt Heidenreich unter dem Titel „Einen Leibniz schreiben“ seinen persönlichen Recherche- und Schreibprozess, von dessen Tiefenschichten man eine kleine Ahnung bekommt, wenn man das fast dreiseitige Literaturverzeichnis dieser Arbeit durchsieht. Da kann man sich in der Anregung zu weiteren Recherchen gleich selbst verlieren.
Mit Edgar Reitz führte der Filmpublizist Robert Fischer ein umfangreiches, empathisches Gespräch, in dem Reitz seine Gedanken und deren Wendungen sowie praktische Probleme bei der Entstehung und deren Behandlung wie zum Beispiel die Hinzufügung einer zweiten (fiktiven) Malerin als besonders wichtiges Element der Geschichte im Film beschreibt. Umfangreiche Bildkader, die dem endgültigen Film folgen, und Momentaufnahmen von den Dreharbeiten sind ebenfalls abgedruckt. Der Bildgestalter Matthias Grunsky erläutert das Lichtkonzept der Kameraführung und die Anregungen, die er dazu in der zeitgenössischen Malerei von Caravaggio und Jan Vermeer gefunden hat.
Reitz & Selge im E-Mail-Wechsel
Schließlich ist – gewissermaßen als unerwarteter heimlicher Höhepunkt – der ausführliche E-Mail-Wechsel abgedruckt, den Edgar Reitz mit seinem Hauptdarsteller Edgar Selge geführt hat und dem man viel entnehmen kann. Etwa, mit welcher Tiefe und Sorgfalt Selge sich auf seine Rolle und deren Implikationen vorbereitet hat und wie tief und ernst die Debatte zwischen Regisseur und Schauspieler um einen Film geführt werden kann. Auch Zweifel, Schwierigkeiten und Enttäuschungen werden thematisiert. Es ist eine wahre Fundgrube, nicht nur für Filmstudenten. Eine ausführliche Filmografie sowie Kurzbiografien der wichtigsten Akteure schließen den informativen und wunderbar gestalteten Band ab.
Dabei fällt allerdings auf, dass ausgerechnet die Schnittmeisterin Anja Pohl zwar vorkommt, jedoch mit keinem besonderen Beitrag bedacht wurde, nicht mal mit einer Kurzbiografie. Nur in einer kurzen Passage im E-Mail-Wechsel von Reitz mit Selge wird sie erwähnt. Dabei rühmt Reitz in seiner Einleitung den Schnitt grundsätzlich als besonders wichtige Phase der Filmschöpfung. Zudem hatte Anja Pohl schon 2013 einen „Making of“-Film über die Entstehung von Edgar Reitz’ „Heimat“-Filmreihe gedreht und auch seinen Dokumentarfilm „Filmstunde_23“ montiert. Was immer der Grund dieser Weglassung einer so bedeutenden Mitarbeiterin sein mag, er fällt bei dieser ansonsten so sorgfältigen und detailreichen Dokumentation der Filmentstehung als Leerstelle unangenehm auf.
Das Filmbild ist vom Körper untrennbar
Ansonsten ist dieses Buch geradezu das Lehrbeispiel eines gelungenen Versuchs, die vierte Phase der Filmherstellung, sein Nacherleben, eindrucksvoll um einige Akzente durch die Filmemacher zu ergänzen. Zum Beispiel auch, wenn Edgar Reitz im Nachwort auf die grundsätzliche Körperbezogenheit eines Films zu sprechen kommt: „Das Filmbild ist vom Körper untrennbar, weil es davon lebt, immer wieder aufs Neue den Körper abzubilden. Deswegen kann es nicht dem reinen Geist gewidmet werden. Auch nicht dem reinen Körper, denn gerade dessen lebendige Intelligenz macht ihn erst zum filmischen Geheimnis.“ Darüber ließe sich gleich ein neues Buch schreiben.

Hinweise
Leibniz - Chronik eines verschollenen Bildes. Das Filmbuch. Von Edgar Reitz. Schüren Verlag, Marburg 2025. 192 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 28 Euro. Bezug: In jeder Buchhandlung oder hier.
DVD "Leibniz Chronik eines verschollenen Bildes". Deutschland 2025. Regie: Edgar Reitz. Mit: Edgar Selge, Lars Eidinger. Anbieter: Weltkino. Bezug: hier.