Drama | Deutschland 1991/92 | 105 Minuten

Regie: Adolf Winkelmann

Die "Chronik" eines Fußball-Samstags in Dortmund, an dem sich um das Bundesligaspiel zahlreiche miteinander vernetzte Geschichten um Fans, Spieler, Vereinsmitglieder und andere entwickeln. Keine trockene "Ursachenanalyse" des Phänomens Fußball, vielmehr ein pointiert und äußerst unterhaltsam inszenierter Film über die "kleinen Fluchten", aber auch die Gewalt sowie den Filz aus Leidenschaft, Betrug und Korruption, der sich aus dem Fußballbetrieb ergibt. Hervorragend fotografiert, brillant in der Tonqualität. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1991/92
Produktionsfirma
Adolf Winkelmann Filmprod./WDR/impulsfilm
Regie
Adolf Winkelmann
Buch
Michael Klaus
Kamera
David Slama
Musik
Piet Klocke
Schnitt
Adolf Winkelmann
Darsteller
Renate Krößner (Uschi Klamm) · Bernd Stegemann (Roland F. Beyer) · Stefan Jürgens (Hubsi) · Christian Tasche (Teddy Klamm) · Hermann Lause (Heinz Niebisch)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs und des Kameramanns. Die Ruhrgebietstrilogie ist 2016 (neben einer DVD-Neuauflage) als BD-Box erschienen. Nur diese ist mit "Goodies" wie Drehbuch, Plakate, Aufkleber etc. "aufgewertet" worden. Sämtliche Boxen sind mit dem Silberling 2016 ausgezeichnet.

Verleih DVD
Turbine (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
Verleih Blu-ray
Turbine (16:9, 1.78:1, dts-HDMA dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Ein "ordentliches" Fußball-Bundesligaspiel beginnt am Samstag um 15.30 Uhr. Das hat Tradition, und wenn bei einer besonders wichtigen Begegnung zweier Mannschaften Tausende von Menschen den Stadionkessel füllen, dann löst sich mit dem Anpfiff des Schiedsrichters unisono ein einziger Schrei aus tausenden Kehlen. Adolf Winkelmann beobachtet diesen rituellen Moment aus der Ferne: man sieht in einer extremen Totale das Dortmunder Westfalen Stadion unter seinen Flutlichtmasten liegen und ahnt mit dem plötzlichen Aufbrüllen etwas von der ungebrochenen Faszination des Fußballspiels und vor allem den Emotionen, die es bei den unterschiedlichsten Menschen in dieser Sport-Arena immer noch auszulösen vermag. Der Anpfiff erfolgt in Winkelmanns Film freilich erst spät, denn für diejenigen, die vom Fußball leben - gleich ob professionell oder ideell -, ist der ganze Samstag "Großkampftag", und der beginnt hall mit dem Aufstehen und endet mit dem Zubettgehen. Winkelmann erstellt eine filmische "Chronik" aus vielen teils komischen und amüsanten, teils beklemmenden und verstörenden Anekdoten, eine Chronik vor allem auch der mit einem Fußball-Samstag verbundenen kleinen und großen Fluchten, der Hoffnungen und Sehnsüchte, mit denen viele ihrem alltäglichen Frust entgehen und ihre "Helden" auf dem Rasen einen Stellvertretersieg feiern sehen wollen. Daß das alles nur allzu leicht umkippt und in Wut und Gewalt mündet, wäre noch das kleinere Übel auf der Kehrseite des Fußballfiebers; aber die radikalen Chaoten reisen ebenso wie die normalen Fans schon in aller Frühe an - zur organisierten Randale und kalkulierten Gewalt, bei der das Fußballspiel zur Nebensache wird.

Aber auch all die anderen, für die die Devise "Fußball ist unser Leben" gilt, kämpfen auf ihren jeweiligen Nebenschauplätzen. Da ist der 47jährige "Alt-Fan" Gottschalk, der noch in aller Frühe mit seinem Kumpel Teddy Klamm eine illegale Ladung mit Tauben für eine Kosmetik-Firma schmuggelt, um sich unmittelbar danach in Teddys Vereinslokal mit Alkohol regelrecht vollaufen zu lassen. Am Abend und am Ende des Films weiß er gerade noch, daß das Spiel unentschieden endete und daß das alles nächsten Samstag wieder so sein wird - ob das ein Trost oder eine Drohung ist, bleibt dahingestellt. Da ist Teddy, einst Starspieler des Dortmunder Vereins Union 86, jetzt Vereinswirt und viel zu weich(herzig), um einerseits den trunkenen Fans, andererseits seiner Frau Uschi Paroli bieten zu können. Uschi betrügt ihn noch in den frühen Morgenstunden mit dem jungen Ersatzspieler Clemens Niebisch, der von seinem schimpfenden Vater ins Trainingslager zurückgeschafft wird. Dort ist Clemens' Schäferstündchen längst aufgefallen, und nur dem Trainer ist es zu verdanken, daß er nicht aus der Mannschaft fliegt. Daß er später sogar noch vom Verletzungspech eines Stammspielers profitieren wird, könnte seine große Chance bedeuten. Doch unter dem hohen Leistungs- und Erwartungsdruck wird er innerlich zusammenbrechen und aus dem Stadion flüchten. Irgendwo in der Fußgängerzone der Dortmunder Innenstadt wird ihn der brutale Hubsi, Chef der Fans in der Nordkurve, auflesen und einer makabren Demütigung unterziehen. Hubsi schürt während des ganzen Tages mit versteckter Raffinesse die Gewalt: fast beiläufig bringt er Gottschalks Nase zum Bluten, fast schon elegant tänzelt er aufrührerisch vor den abgestumpften und desinteressierten Stadionpolizisten, provoziert den gegnerischen Fanclub, reißt die Pissoirs auf den Männertoiletten nieder, läßt eine Imbiss-Bude in Flammen aufgehen.

Ähnlich wie dort "unten" eine Art Krieg tobt, so fliegen auch "oben", in den Kreisen der Vereinsleitung, die Fetzen, werden Intrigen gesponnen und Schlachten ausgetragen. Präsident Vischering bemüht sich mehr um eine blonde Journalistin, die zum Thema "Erotik und Fußball" recherchiert, als um das vom Abstieg und von der wirtschaftlichen Pleite bedrohte Team. Um so intensiver übt er Druck auf seinen Manager aus, der ihn weitergibt an seinen Schatzmeister, der wiederum die riesigen Löcher in der Vereinskasse mit wenig seriösen Mitteln stopfen muß. Was ihn am Ende aber nicht davor bewahrt, aus dem Vorstand zu fliegen, weil er seinen Platz dem schmierigen und zumindest offiziell von allen gemiedenen Spielervermittler Roland F. Beyer räumen muß. Beyer, der im übrigen Uschi ins Bett bekommen will und ihr dafür die Schank-Lizenz fürs Stadion beschaffen will, hat aber den begehrten ausländischen Stürmer unter Vertrag, quasi ein Menschenhändler, der am längeren Hebel sitzt.

Das alles ist ein Filz aus Liebe, Leidenschaft, Betrug, Erpressung und Korruption, übertüncht mit viel Alkohol und abgestandenem Kneipengestank auf der einen, "geadelt" mit einem ersehnten Auftritt im "Aktuellen Sportstudio" auf der anderen Seite. Und der ganze Betrieb "Fußball" wäre eine schier unerträglich häßliche Sache, wenn er nicht zugleich so komisch wäre und es deshalb auch eine menschlichere Seite der Medaille gäbe. Denn so eindrucksvoll Winkelmann authentische Stimmungen und Klänge - in atemberaubender Tonqualität - als Rahmen für seinen episodischen Reigen einfängt, so liebevoll und "kinoverliebt" verdichtet er die einzelnen Erzählstränge zu dramatischen Miniaturen voller kinoimmanenter Stimmigkeit. Die bedrohliche Gewalt im Stadion durch einzelne und Gruppen ignoriert er dabei nie; knapp und lakonisch läßt er mit wenigen Schnitten manchen Moment geradezu schockartig eskalieren, etwa wenn zu Beginn ein Türke wegen einer Lappalie von Skins brutal aus dem Fan-Bus geprügelt wird. Aber Winkelmann verweigert sich einer Ursachen-Analyse ebenso wie er die fragwürdige "Moral" der Vereinsführung allenfalls antippt, aber nicht kritisch analysiert. Vielmehr knüpft er mit viel Sympathie ein dichtes Netz menschlicher "Schicksale" zu einem Fußball-Blues, in dem Faszination und Verständnisbereitschaft stets zu spüren sind. Besonders zum Ende will Winkelmann freilich alles zu rund bekommen und bringt zu viele Geschichten zu einem Happy End, dessen sie gar nicht bedurft hätten. Aber auch das ist vielleicht ein ungeschriebenes "Gesetz" des Erzählkinos, das Adolf Winkelmann mit einer für deutsche Verhältnisse außergewöhnlichen Brillanz entfaltet.
Kommentar verfassen

Kommentieren