Männer und Frauen - Die Gebrauchsanleitung

Tragikomödie | Frankreich 1997 | 122 Minuten

Regie: Claude Lelouch

Die Krankheitsbilder eines reichen notorischen Frauenhelden und eines neurotischen Polizisten, der eigentlich lieber Schauspieler werden möchte, werden aus persönlicher Rache und medizinischer Neugier von einer Ärztin vertauscht. Während der Todkranke gesundet, nimmt der Gesunde die Krankheit an. Eine elegant inszenierte "inhumane Komödie", die virtuos mehrere Geschichten ineinander verschachtelt. Reizvoll setzt der Film eine faszinierende Falsett-Stimme als musikalische Klammer ein und wird dank ausgeklügelter Kameraeinstellungen und farbiger Nuancen zu einem optischen und akustischen Vergnügen, das sich noch durch die brillant aufspielenden Schauspieler verstärkt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HOMMES FEMMES, MODE D'EMPLOI
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Les Films 13/TF 1
Regie
Claude Lelouch
Buch
Claude Lelouch · René Bonnell
Kamera
Philippe Pavans de Ceccatty
Musik
Francis Lai
Schnitt
Hélène de Luze
Darsteller
Bernard Tapie (Benoît Blanc) · Fabrice Luchini (Fabio Lini) · Alessandra Martines (Alex Nitez) · Pierre Arditi (Jean-Marc Lerner) · Caroline Cellier (Jeanne Blanc)
Länge
122 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Tragikomödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Seit seinem Welterfolg „Ein Mann und eine Frau“ (1966, fd 14 383) ist Claude Lelouch seinem Stil und seinem Thema treugeblieben. Lelouch glaubt, in seinem Leben nur einen einzigen Film gedreht zu haben – den aber zu 35 verschiedenen Zeitpunkten. In kunstvoll verschachtelten Geschichten erzählt er immer wieder von der Liebe, vom Leben und vom Tod. Dabei hat er im Lauf der Jahre eine technische wie dramaturgische Virtuosität entwickelt, die ihn zu einem der wenigen originären Filmemacher des gegenwärtigen Kinos gemacht hat.

„Sie sind mein Typ, aber nicht mein Fall“, sagt die junge schöne Blondine zu dem Industriellen in den besten Jahren – und verbringt prompt die Nacht mit ihm im mondänsten aller Pariser Hotels. Benoît Blanc genießt das Leben in vollen Zügen, während seine Frau Jeanne sich wieder einmal überlegt, ob sie den notorisch Untreuen verlassen oder umbringen soll. Ganz anders der Schauspieler Fabio Lini, der bei der Polizei gelandet ist, weil er dort Rollen spielen kann, die ihm das Theater nicht gegeben hat. Er lockt, als alte Dame verkleidet, Handtaschenräuber an oder überführt als sonoriger Herr kriminelle Witwer-Trösterinnen. Aber wenn er aus seinen Verkleidungen schlüpft, wird der zum wehleidigen Angsthasen, der ständig in sich hineinhorcht. Als sein Magen rebelliert, sieht er sich schon auf dem Friedhof, während Benoît sein gelegentliches Magenzwicken eher gelassen nimmt. So trifft man sich im Krankenhaus, kommt ins Gespräch, und Benoît bietet Fabio seine Beziehungen zur Theaterszene an. Während sie mehr oder weniger nervös auf die Untersuchungsergebnisse warten, vertauscht die junge Ärztin Alexa die beiden Krankenakten. Nicht nur, um sich an Benoît zu rächen, der sie einst als Studentin sitzen ließ, sondern auch, um die Theorie ihres Kollegen und Liebhabers Jean-Marc zu beweisen, der der medizinischen Lüge durchaus Heilkraft zubilligt. Und das Wunder geschieht: Der todkranke Fabio überwindet die Krankheit, während der fast kerngesunde Benoît sie entwickelt. Aus einer „Schnapsidee“ heraus beschließen die beiden, nach Lourdes zu pilgern – man kann ja nie wissen. Und ein zweites „Wunder“ geschieht: Eine weitere Untersuchung am Wallfahrtsort bescheinigt Benoît die vollständige Heilung. Aber auf dem Rückflug schlägt das Schicksal doch noch zu: Sie stürzen mit Benoîts Hubschrauber ab, nur Fabio überlebt. Benoîts Beerdigung wird zu einem großen Familientreffen, bei dem alle Protagonisten des Films noch einmal vorbeiziehen. Und dann sieht man Fabio mit derselben Blondine, die Benoît zu Beginn des Films verführte, im selben Restaurant beim „Tête à Tête“. Die Kamera fährt zurück und entlarvt die Szenerie als Filmset: Das Leben ist ein Spiel.

Als Fabio und Benoît einmal über das Kino philosophieren, fragt Fabio nach dem Unterschied zwischen dem amerikanischen und dem französischen Film. „Hollywood erzählt kleine Geschichten mit großen Mitteln, während wir Franzosen großartige Geschichten mit bescheidenen Mitteln erzählen“, antwortet Benoît. „Könnten wir nicht große Geschichten mit viel Geld drehen?“, wirft Fabio ein – und trifft damit genau das Credo von Lelouch. Denn „Männer & Frauen – Die Gebrauchsanleitung“ ist großes Unterhaltungskino, das nie mit seinem Aufwand protzt, vielmehr seinen Einfallsreichtum elegant und spielerisch vorführt. Jedes Bild ist bewußt auf seine größtmögliche Wirkung hin ausgesucht: Ob Lelouch in grandiosen Flugpanoramen schneebedeckte Loire-Schlösser oder die Kirche von Lourdes einfängt oder mit langen Brennweiten Gesichter beobachtet – die Bilder transportieren immer die Handlung weiter, erklären die Gefühle der Protagonisten. Wie die meisten Filme Lelouchs wäre auch dieser stumm verständlich; was nicht heißt, daß man die Dialoge missen möchte, die zwar ab und an in die vielsagend-nichtssagende Geschwätzigkeit typisch französischer Alltagsphilosophie abdriften, dann aber wieder voller Poesie und lebensnahem Humor sind und sich einen Spaß aus vorgefertigten Lebensweisheiten machen: die Koketterie ist die Poesie der Frauen.

Geschickt webt Lelouch in seine skurrile Krankheitsgeschichte die anrührende Erzählung von der Trauung seiner Mutter ein, die mit 84 Jahren zum ersten Mal heiratet, läßt das Hochzeitsfest mit knalligen Rottönen, die sich hart vom kalten Blau der übrigen Szenerie abheben, auch zu einem Augenschmaus werden. Genauso findet Francis Lai mit der wunderschönen Falsett-Stimme eines Landstreichers, der während des Films zum Star aufsteigt, eine die Episoden immer wieder zusammenhaltende musikalische Klammer, die die ironisch-romantische Stimmung des Films eingängig verstärkt. So, als wolle er auch die jungen Zuschauer schon mit dem Liebesleid und -glück des Lebens bekanntmachen, schickt er einen 18jährigen, der sich gerne jünger macht, und eine 13jährige, die sich als 15jährige ausgibt, nach einer kurzen Begegnung im Urlaub, auf die Suche nach dem jeweils anderen. Da sie ihre Namen nicht kennen, sie ihm vorflunkert, sie wäre Balletttänzerin, und er sich als Mittelstürmer einer Pariser Fußballmannschaft ausgibt, braucht es viel (Drehbuch-)Fantasie, um sich am Ende in die Arme zu schließen. Natürlich ist der Film auch eine „Gebrauchsanleitung“ für den Blick auf andere Filme Lelouchs. Seine Hommage an Anouk Aimée, Hauptdarstellerin in „Ein Mann und eine Frau“, die hier, schön wie eine Skulptur, die Witwer-Trösterin spielt, oder die Liebesgeschichte zwischen dem Falsett-Sänger und einer Geigerin, die sich genauso über Blicke verlieben wie Nicole Garcia und Robert Hossein in „Ein jeglicher wird seinen Lohn empfangen...“. Überhaupt sind die Schauspieler bis in die Nebenrollen wunderbar präzise besetzt. Fabrice Luchinis jungenhafte Schüchternheit korrespondiert perfekt mit seiner neurotischen Ängstlichkeit, Pierre Arditi bietet als Magenspezialist ein Kabinettstück seiner nonchalanten Schauspielkunst, und die mittlerweile zur „Lelouch-Familie“ gehörende Allessandra Martines ist einfach hinreißend, wenn sie Benoît bei der Magenspiegelung genüßlich mit der Sonde quält. Die große Überraschung aber ist Bernard Tapie, ehemaliger Fußballclub-Präsident und Stadtentwicklungsminister und eine der schillerndsten Gestalten der französischen Polit- und Wirtschaftsszene. Der wegen Korruption, Bestechung und Steuerhinterziehung verurteilte „Hans-Dampf-in-allen-Gassen“ spielt Benoît, als habe er nie etwas anderes getan, als vor der Kamera zu stehen, trifft auf den Punkt sowohl dessen arrogant-überhebliche als auch eine verletzliche und charmante Seite. Sicherlich nicht zufällig hat ihm Lelouch den Satz „Das Schlimmste ist niemals enttäuschend“ in den Mund gelegt. Schließlich soll „Männer & Frauen – Die Gebrauchsanleitung“ ja eine „inhumane Komödie“ sein.
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