Erklärt Pereira

Drama | Italien/Frankreich/Portugal 1995 | 103 Minuten

Regie: Roberto Faenza

Lissabon 1938: Der nach dem Tod seiner Frau bequem gewordene Kulturredakteur einer kleinen Zeitung wird durch den Enthusiasmus eines neugewonnenen Autors und die Gespräche mit einem Arzt aus seinem Desinteresse am Faschismus in Portugal gerissen. Als der Mitarbeiter ermordet wird, prangert er das Regime öffentlich an. Die kongeniale Verfilmung eines Erfolgsromans, die das berührende Porträt eines Menschen zeichnet, der im Alter noch einmal die Kraft findet, sein in Fatalismus und Passivität erstarrtes Leben zu ändern. Anrührend inszeniert und stimmungsvoll fotografiert, beeindruckt der Film vor allem durch die herausragende Schauspielkunst Marcello Mastroiannis. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
SOSTIENE PEREIRA | PEREIRA PRETEND
Produktionsland
Italien/Frankreich/Portugal
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Jean Vigo International/K.G./Fábrica de Imagens/Instituto Português da Arte Cinematográfica e Audiovisuel
Regie
Roberto Faenza
Buch
Roberto Faenza · Sergio Vecchio · Antonio Tabucchi
Kamera
Blasco Giurato
Musik
Ennio Morricone · Dulce Pontes
Schnitt
Ruggero Mastroianni
Darsteller
Marcello Mastroianni (Pereira) · Joaquim de Almeida (Manuel) · Daniel Auteuil (Dr. Cardoso) · Stefano Dionisi (Monteiro Rossi) · Nicoletta Braschi (Marta)
Länge
103 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Die Filme des Politik-Wissenschaftlers und „Gelegenheitsregisseurs“ Roberto Faenza sind hierzulande fast unbekannt geblieben. Nach seinem durch die innovative Bildsprache beeindruckenden Debütfilm „Escalation“ (fd 16 063) dauerte es 15 Jahre, bis er mit „Copkiller“ (fd 24 055) wieder den Weg auf deutsche Leinwände fand. Auch in diesem Thriller setzt sich Faenza mit der Zwiespältigkeit gesellschaftlicher Normen und Werte auseinander. Jetzt hat es wieder 15 Jahre gedauert, bis ein Film Faenzas eine Chance im Kino bekommt. Eine durchaus mutige Entscheigung, sich in oberflächlichen (Kino-)Zeiten gesellschaftspolitischen Fragestellungen und Moralbegriffen zuzuwenden. Lissabon im Sommer 1938: Pereira, ein alt und fett gewordener Kulturredakteur der Stadtzeitung „Lisboa“, wird durch ein Essay über den Tod auf den jungen Autor Monteiro Rossi aufmerksam. Er bittet ihn, einige Vorab-Nachrufe auf betagte Schriftsteller zu verfassen. Doch unter dem Einfluß von Monteiros kommunistischer Geliebter Marta werden die Artikel zu kaum versteckten Abrechnungen mit der faschistischen Diktatur Salazars. Obwohl Pereira die Nachrufe für nicht verwertbar hält und immer wieder betont, daß er mit Politik nichts zu tun haben will, empfindet er viel Sympathie für die jungen Leute, die sich von der „Vernunft des Herzens“ leiten lassen. Aber erst, als er in der Kur den jungen Arzt Dr. Cordoso kennenlernt, der ihm die „Theorie des Seelenbundes“ nahebringt, demzufolge die eigenen Lebensabschnitte von immer wieder wechselnden „Ichs“ geprägt werden, erkennt er, daß die Literatur nicht das Wichtigste auf der Welt ist. Zurück in Lissabon wird er mit den sich immer mehr zuspitzenden Verhältnissen konfrontiert: Die Zensur macht nicht mehr vor der Kulturseite halt, Pereiras Telefonate werden von der Sicherheitspolizei überwacht. Als er dem mittlerweile im Widerstand aktiven Monteiro Unterschlupf gewährt, dringt die Geheimpolizei bei ihm ein. Sie prügelt Monteiro zu Tode. Der bis dahin noch zaudernde Pereira ringt sich nun zu einer klaren Haltung durch: Er überlistet die Zensur und lanciert Monteiros Ermordung als Titelgeschichte in die nächste Ausgabe der „Lisboa“.

Vielleicht liegt der Erfolg von Tabucchis Roman und die Chance des Films darin, daß sich beide dem Tabu-Thema „Vergangenheitsbewältigung“ auf eine sehr hoffnungsvolle und persönliche Art nähern. Die Aufarbeitung der Vergangenheit wird dabei fast unmerklich zum Nachdenken über die Gegenwart und das eigene (hypothetische) Verhalten. Faenzas filmische Umsetzung folgt fast sklavisch der literarischen Vorlage: Der Roman und der Film beginnen mit den Worten „Pereira erklärt...“, Worte, die, immer wieder eingestreut, den Zuschauer einerseits zum Komplizen eines scheinbar an ihn persönlich gerichteten Lebensprotokolls machen, andererseits ihm aber auch die Möglichkeit geben, Pereira aus der Distanz zu betrachten. Daß man sich dann der Figur immer mehr nähert, ist untrennbar mit der Schauspielkunst Marcello Mastroiannis (in seiner vorletzten Rolle) verbunden. Wenn er am Anfang fast teilnahmslos an einem Überfall der faschistischen Schergen Salazars vorbeifährt und die Vorwürfe Manuels, warum die „Lisboa“ nichts davon berichtet, beiseite wischt, oder wenn er mit dem Bild seiner verstorbenen Frau Zwiegespräche führt, dann spürt man, daß dieser durch übermäßigen Limonaden-Genuß aufgedunsene Mann mit dem Alter nicht weise, sondern nur müde geworden ist. Mastroianni füllt die Figur mit der ihm eigenen Melancholie und einem fast vertrockneten Charme, und Faenza verläßt sich mit seiner angenehm altmodischen Inszenierung ganz auf die Ausstrahlung seines Stars, wobei er es keineswegs versäumt, die überzeugenden Nebendarsteller präzise zu führen. Ennio Morricones Musik ist wohltuend zurückhaltend wie schon lange nicht mehr, und Kameramann Blasco Giurato schuf klare Bilder, die die Hoffnung ins goldgelbe Licht der untergehenden Sonne tauchen, während sich der Terror der Faschisten im harten Schwarz spiegelt. Ansonsten beherrschen warme Farben den Film und vermitteln etwas Vertrautes, ein „Nest“, in dem es sich Pereira gemütlich gemacht hat. Auch wenn er ab und zu über den Tod nachdenkt und mit einem befreundeten Priester über die Auferstehung des Fleisches streitet, bekommt seine fatalistische Grundstimmung erst Risse, als er eine Jüdin kennenlernt, deren Schicksal so gar nicht zu der gepflegten Konversation passen will, auf die er es abgesehen hat.

Das sind Augenblicke der Wahrheit, die Faenza mit feinem Gespür für Humor und anrührender Betroffenheit herausarbeitet. Kein Satz, keine Geste sind zuviel, die Stimmungen genau auf den Punkt gebracht, und so braucht es am Ende auch keiner Bebilderung der Wirkung von Pereiras kleinem „Staatsstreich“. Wenn er seinen Rucksack schnürt, das Bild seiner Frau einpackt und in die Menge eintaucht, ist die Schwerelosigkeit dieser letzten langen Einstellung zugleich eine Hymne auf die Fähigkeit des Menschen, sich seiner moralischen Verantwortung zu stellen. Zugleich ist sie aber auch ein wehmütiger Abschied von einem der bedeutendsten Filmschauspieler des europäischen Kinos.
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