Ein flüchtiger Zug nach dem Orient

- | Österreich 1999 | 81 Minuten

Regie: Ruth Beckermann

Dokumentarische Re- und Dekonstruktion der Orientreise, die die österreichische Kaiserin Elisabeth 1885 unternahm. Der Film folgt ihrem Reisebericht, billigt sich jedoch genügend Raum für eigene Reflexionen zu, um die beiden Projektionsflächen der "Kaiserin" und des "Orients" aufeinander beziehen zu können. Ein historisierender Dokumentarfilm als reizvolles intellektuelles Vexierbild, dessen Weitungen bis in die Gegenwart ragen. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Aichholzer Filmproduktion
Regie
Ruth Beckermann
Buch
Ruth Beckermann
Kamera
Nurith Aviv · Sophie Cadet
Musik
Bruno Pisek · Peter Ponger · Ernst Zettl
Schnitt
Gertraud Luschützky
Länge
81 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Diskussion
Zu Beginn der Blick aus dem fahrenden Zug: die zu einer grünlichen Farbfläche aufgelöste Außenwelt schafft dem Off-Kommentar eine Basis. Im Text geht es um Fächer und Schirm als Mittel zur Blickbehinderung und die überraschende Unähnlichkeit einer Person mit den „geläufigen Bildern“ von ihr. Beim Umschnitt ins Abteil sieht man das schwarz-weiße Porträtfoto einer Frau. Organisierendes Zentrum dieses Reise-Filmessays von Ruth Beckermann ist eine „Leerstelle“: Im Alter von 31 Jahren beschloss Elisabeth von Österreich, sich nicht mehr fotografieren zu lassen. Als die Kaiserin 1898 ermordet wurde, war sie 61 Jahre alt. Durch ihre seinerzeit völlig unmodische Entscheidung, sich dem Zugriff der Fotografie zu entziehen, sicherte Elisabeth sich einerseits eine ewige Jugend, andererseits die nötige Autonomie für ihre ausgeprägte Reiselust: „Durch die ganze Welt will ich ziehen. Ahashver soll gegen mich ein Stubenhocker sein. Ich will zu Schiff die Meere durchkreuzen, ein weiblicher Fliegender Holländer, bis ich einmal versunken und verschwunden sein werde“, soll sie, die 1885 eine ausgedehnte Orientreise unternahm und hierzu auch einen Reisebericht verfasste, gesagt haben.

Ruth Beckermann hat sich ihrerseits auf den Weg nach Kairo gemacht, um sich dort auf eine Spurensuche zu begeben. Doch statt um eine historische Biografie geht es ihr um eine assoziative Rekonstruktion von Elisabeths Blick auf die fremde Kultur und dessen reflexive Bearbeitung im Reisebericht, den Beckermann ihrerseits durch Beobachtungen und Überlegungen ergänzt. Der poetisierende Off-Kommentar, der um seine eigene Historizität weiß, wird von langen, statischen Einstellungen oder ausgedehnten Kamerafahrten gegliedert, die den gesprochenen Text mehr oder weniger kontingent umspielen. Aus einer Bewegung zurück in die Zeit wird (notgedrungen) eine Bewegung zur Seite: „Manchmal werden alle Zeitschichten auf wenigen Kilometern sichtbar und der apokalyptische, schwarze Rauch aus den uralten Töpferwerkstätten überzieht ganz selbstverständlich die unfertigen Wohnstätten der Zukunft.“ Wenn die Kamera mit kalkulierter Unaufmerksamkeit und Distanz Impressionen sammelt, wenn endlose Fahrten das urbane Gewebe durchmessen, wenn lange Einstellungen häufig halb verdeckte Objekte registrieren, schafft Beckermann ausreichend Raum für ihre Reflexionen. Denkwürdig die Szene, in der der Kamerablick durch den Gewürzbasar „streift“, einem Händler Aufmerksamkeit schenkt, um dann mitten in dessen Rede unbeteiligt weg zu schwenken, um auf der Kommentarebene über die Farbe eines Gewürzes nachzudenken. Gleich nach ihrer Ankunft in Kairo hatte Beckermann ihre Handlungsoptionen kritisch auf eine imperialistische oder eine romantische reduziert. An anderer Stelle heißt es: „Dokumentarfilm und CNN - zwei Variationen der real existierenden Machtverhältnisse. Daran ändert auch ein 360 Grad-Schwenk oder ein noch so langes Travelling nichts. (...) Denn in Wahrheit drehe ich hier, weil mein Herz höher schlägt vor Bilderlust, vor Bildergier.“ Wenig überraschend wird dieser Satz mit einer ausgedehnten Kamerafahrt kombiniert, damit niemand auf die Idee kommt, man könne den Worten mehr trauen als den Bildern. „Wer angestrengt zuhört, sieht nichts mehr“, hat Walter Benjamin in seinem Kafka-Essay geschrieben. Vor dieser Gefahr hat Ruth Beckermann bei ihrer eigensinnigen Spurensuche im Gefolge des Mythos „Elisabeth“ den Zuschauer bewahrt, indem sie die einander spiegelnden Projektionsflächen „Elisabeth“ und „Orient“ dekonstruktiv aufeinander bezogen hat. Am Ende schiebt sich vor die Re-/Dekonstruktion von Geschichte und Gegenwart die Geräuschkulisse der Stadt Kairo. Man kann dem Film durchaus vorhalten, an seinem eigenen Anspruch gescheitert zu sein, vielleicht liegt hierin gar seine Leistung.
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