Yentown - Swallowtail Butterfly

- | Japan 1996 | 146 (148 DVD) Minuten

Regie: Shunji Iwai

Die Initiationsgeschichte einer jungen Frau begleitet den märchenhaften Aufstieg ihrer älteren Freundin, einer Prostituierten, zur Popsängerin. Ein abenteuerliches filmisches Märchen, konzipiert als Pop-Oper von fantastischem Realismus. Bildgewaltig und gewaltvoll, poetisch und schroff zugleich, ist der Film bei allen möglichen Vorbehalten von einer sogartigen Faszination und fesselt dank seiner avantgardistischen Kraft. (O.m.d.U.) - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
SWALLOWTAIL BUTTERFLY | SWALLOWTAIL
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Rockwell Eyes Inc.
Regie
Shunji Iwai
Buch
Shunji Iwai
Kamera
Noboru Shinoda
Musik
Takeshi Kobayashi
Darsteller
Ito Ayumi (Ageha) · Chara (Glico) · Hiroshi Mikami (Feihong) · Yôsuke Eguchi (Ryou Ryanki) · Andy Hui
Länge
146 (148 DVD) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
REM (16:9, 1.66:1, DD5.1 jap.)
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Diskussion
In einem Land wie unserem, dass keine nennenswerte Popkultur besitzt, fällt es naturgemäß schwer, sich für das gegenwärtige japanische Kinowunder zu begeistern. Dass Japan umgekehrt der letzte Filmmarkt ist, der eine größere Zahl deutscher Produktionen importiert, spricht dabei nur für die Spannbreite und das schwer dechiffrierbare Geflecht aus Hoch- und Populärkultur, mit dem das für ästhetische Extreme seit langem empfängliche Kaiserreich gesegnet ist. Eine schöne Vorstellung, dass vielleicht zur selben Zeit die Erfolgsgeschichte der Yentown-Band, die in der Leiche eines Yakuza ein Sinatra-Tape mit einer Anleitung zum Gelddrucken findet, in Tokio zu sehen war, wie Katja von Garniers spießige Ausbruchsutopie der „Bandits“ (fd 32 614). Wie sehr Popkultur zum japanischen Bewusstsein gehört, zeigte sich bei der letzten Parlamentswahl, als die gegenwärtige Regierungspartei die Zensurfreigabe eines Films des in Japan überaus populären Hongkong-Regisseurs Wong Kar-wai auf ihr Programm setzte.

Regisseur Shumji Iwai debütierte mit Videoclips, was ihm in einer der ersten hiesigen Feuilleton-Kritiken bereits zum Vorwurf gemacht wurde. Solange noch in den Köpfen der deutschen Kulturvermittler die stets negativ codierte Worthülse der „Clipästhetik“ kursiert, sieht es schlecht aus mit dem Erfolg eines Films wie „Swallowtail Butterfly“. In dieser knapp zweieinhalb-stündigen Pop-Oper ergänzen sich Handkamera-Realismus und Farbenrausch, Elend und Glamour, Exploitation und Poesie zu einer gewiss polarisierenden Synästhesie der Kontrapunkte. Der Schwalbentanz-Schmetterling des Originaltitels ist das zentrale Bild des Films, mit dessen Symbolik der Schönheit in Zerbrechlichkeit sich die junge Protagonistin Ageha während ihrer Initiationsgeschichte identifiziert. In der zentralen Szene wird sie sich das Motiv von einer Art von weisem Quacksalber auf die Brust tätowieren lassen. Während sie dieser psychologisch an den Ursprung ihrer Erinnerung führt, die sogleich zu Bildern werden: Da verfolgt sie als Mädchen ein besonders schönes Exemplar der Spezies und tötet es versehentlich durch ein zuschlagendes Fenster, hinter dem ihre Mutter beim Liebesakt zu sehen ist. Ein Flügel des Insekts sinkt sanft auf die Brust des Kindes, wo er nun, Jahre später, bildhaft verewigt wird. Die Trägerin einer solchen Tätowierung hatte sich freilich erst auf den Weg ihrer Selbstfindung gebracht: Es ist die Prostituierte und Sängerin Glico, dargestellt von Japans Pop-Madonna Chara, der sie nach Yentown folgt, ein ruinöses Eldorado in einem endzeitlichen Japan wie aus zahlreichen Manga-Comic-Büchern bekannt. Im Magen eines toten Yakuza finden die Desperados von Yentown eine Kassette, die neben Frank Sinatras „My Way“ auch eine Anleitung zur Geldvermehrung bereit hält. Der Trick ist simpel: Durch Einkleben eines Tesastreifens lassen sich Zehntausender-Scheine zumindest für die Scanner der Wechselautomaten in Hunderttausender verwandeln. Mit dem neuerworbenen Wohlstand gründen Clico und ihre Freunde eine Band, die sich bald auf Erfolgskurs befindet. Eine kommerzielle Industrie und nach dem Tape jagende Yakuza machen aus Clicos Pop-Formation indes eine „Band on the Run“.

Wenn man derzeit auch das künstlerische Ausbluten des wirtschaftlich gebeutelten Hongkong-Kinos beklagen muss, kann man sich durch die schon einige Jahre früher einsetzende Blüte der japanischen Avantgarde trösten. Nicht, dass Shimoda Noburus aufgeweichte Handkamera, seine Schwenks und Jump Cuts mit denen eines Christopher Doyle zu verwechseln wären - seine Bilder sind grafischer und scheuen sich bei aller Expression vor verzerrender Optik. Auch ist der Umgang mit Zitaten intellektueller und maßvoller als in Hongkong, das Baden im Schönklang eines Sinatra-Songs reflektierter und weniger zügellos in seiner Hingabe. Und doch gibt es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede: Das Aufgehen in einfachen Bildzeichen wie dem Schmetterling oder in den Harmonien eines Songs, die gerade durch ihre hemmungslose Ausbeutung und das Bekenntnis zu ihrem Emotionsgehalt erneuert werden, machen auch dieses Kino neu und von allen Vorbildern unabhängig. Dass es im Fall des in Japan gefeierten Regisseurs Iwai nur die Vorstufe zu einem neuen Klassizismus sein sollte, schmälert ihre avantgardistische Kraft in keiner Weise. Auch wenn dieser bereits vier Jahre alte Film, der seinerzeit in Japan 12 Mio. Zuschauer fand, schon „historisch“ ist, für uns ist er aufregend neu.
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