Summer of Sam

- | USA 1999 | 141 Minuten

Regie: Spike Lee

New York im Sommer 1977: Eine Metropole im Augenblick der Hybris. Die Stadt stöhnt unter nie gekannten Temperaturen. Stromausfälle nehmen zu, ein Serienmörder treibt sein Unwesen. Als Polizei und Mafia dabei versagen, die "Ordnung" wieder herzustellen, greift eine Gruppe nicht mehr ganz junger Männer zur Selbstjustiz. Ein sich zum Punk gewandelter ehemaliger Gefährte avanciert zum Feindbild, das es auszulöschen gilt. Nur durch Zufall überlebt der harmlose Musiker, doch nichts bleibt wie es war. Spike Lee bleibt sich in seinem ersten Film, der nicht explizit die Belange der schwarzen Community verhandelt, künstlerisch wie ethisch treu. Großartig besetzt, überzeugend in Dramaturgie und Charakterzeichnung, registriert er zwar fassungslos den latenten Faschismus menschlicher Gemeinwesen, setzt diesem Fazit jedoch unbeirrbar eine Utopie der Toleranz entgegen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SUMMER OF SAM
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
40 Acres and a Mule Filmworks/Touchstone
Regie
Spike Lee
Buch
Victor Colicchio · Spike Lee
Kamera
Ellen Kuras
Musik
Terence Blanchard
Schnitt
Barry Alexander Brown
Darsteller
John Leguizamo (Vinny) · Adrien Brody (Ritchie) · Mira Sorvino (Dionna) · Jennifer Esposito (Ruby) · Anthony LaPaglia (Det. Petrocelli)
Länge
141 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Verleih DVD
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Diskussion
Nun hat auch Spike Lee seinen Serienmörder-Film gedreht. In „Summer of Sam“ nimmt er sich des authentischen Falls von David Berkowitz an, der sich in Bekennerschreiben „Son of Sam“ nannte und in New York zwischen Juli 1976 und August 1977 sechs Menschen tötete sowie mehrere schwer verletzte. Doch im Unterschied zu den gängigen Genreschemata geht es Lee weder um eine psychologische Analyse des Täterprofils noch um die kriminalistische Rekonstruktion des Geschehens, wie sie z.B. Jud Taylor 1985 in seiner Bearbeitung desselben Falls („Out of the Darkness“/„Nachts, wenn der Mörder kommt“) unternahm. Das verbürgte Geschehen dient ihm lediglich als Struktur und Hintergrund für ein weiteres Sittengemälde seiner hassgeliebten Heimatstadt New York. Das Unwesen des Mörders Berkowitz, der vom Gefängnis aus vergeblich gegen die Realisierung des Projekts protestierte, stellt nur eine Ebene dieses filmischen Pasticchios dar, das deshalb im strengen Sinne eigentlich gar kein Serienmörder-Film ist.

Im Sommer 1977 stöhnt Manhattan unter brütender, fast unheimlich wirkender Hitze. Noch nie seit Beginn verbürgter Messungen sind derartige Temperaturen registriert worden. Es scheint, als kommentiere das Klima dabei den herrschenden Zeitgeist. Eine Phase der Hybris setzt ihre Zeichen: Parallel zur vergnügungssüchtigen Seichtheit des „Disco Fevers“ schwappt von Europa her die Welle des Punk zurück nach New York. Täglich sind im Straßenbild mehr No-Future-Kids mit Irokesen-Schnitt und in Müll-Garderobe zu sehen. Sowohl in den geschniegelten Tanzpalästen à la „Virgo“ oder „Studio 54“ als auch im legendären CBGB (in dem einst Patty Smith und Suicide die Rockgeschichte revolutionierten) kreisen Drogen, gehört promiskuitive Sexualität zum guten Ton. Ein trügerisches Schillern. Wenig später werden Überdosen und AIDS massenweise ihren Tribut fordern. Prominente Tote wie Sid Vicious von den Sex Pistols (+ 1979) oder Counter-Tenor Klaus Nomi (+ 1983) stehen stellvertretend für ein namenloses Heer. Wie ein Vorbote dieser Katastrophe erscheint das Auftreten jenes Serienmörders, der es vorrangig auf junge Frauen und Paare abgesehen hat. Der Mörder titelt sich als „Son of Sam“, wahlweise auch als „Mr. Monster“ und „The 44th Killer“, verbreitet zunehmend Furcht und Schrecken auf der Halbinsel. Für eine Gruppe italienischer Jungmänner, deren Treffpunkt sich symbolträchtig am Ende einer Sackgasse in der Bronx befindet, stellt das Geschehen zunächst nur eine willkommene Gesprächsgrundlage dar, vor deren Hintergrund sich ihr Alltag zwischen Job und Disco ein wenig abenteuerlicher ausnimmt. Doch die Kreise des Täters ziehen sich auch in ihrem Viertel immer enger - mit der Zeit werden die Discotheken leer, die Kirchen dagegen voll. Hysterie macht sich breit. Väter kaufen ihren Töchtern Blondhaar-Perücken, weil „Son of Sam“ offenbar nur auf brünette Frauen fixiert ist. Als eines Nachts der Strom ausfällt, liegt Bürgerkriegsstimmung in der Luft. Weder Polizei noch Mafia gelingt es, die Mordserie abzubrechen. Für die müßiggängerischen Kleinganoven aus der Sackgasse schlägt die Stunde der Selbstjustiz: Aus ihrer Liste mit Verdächtigen kristallisiert sich ausgerechnet der harmlose Ritchie heraus, vor kurzem noch zu ihrer Gang gehörend, nun aber als Punk zum vermeintlichen Bürgerschreck avanciert. Nur der Zufall rettet ihm das Leben: Im letzten Moment bevor ihn seine ehemaligen „Freunde“ lynchen, wird der Mörder gefasst und genießt im gleißenden Licht der Pressefotografen seine fünf Minuten Ruhm. Ritchie überlebt, doch nichts bleibt wie es war.

Oberflächlich betrachtet, versucht sich Spike Lee von seinen ureigenen Themen zu emanzipieren. Es ist sein erster Film, der nicht explizit in der afroamerikanischen Community angesiedelt ist bzw. deren Konflikte mit dem weißen Establishment reflektiert; weiße Musik unterlegt die Probleme eines europäisch verwurzelten Mikrokosmos mit weißen Opfern und Tätern. Nicht-europäisch verwurzelte Protagonisten werden nur als Randfiguren zugelassen, mal ein erfolgloser Polizist, mal ein zahnlückiges Punk-Mädchen. Ironischerweise gibt sich Lee selbst die Rolle eines eher dilettantisch wirkenden Fernsehmoderators, der die Vorfälle hin und wieder direkt in die Kamera hinein kommentiert. Es sind diese seltenen Auftritte von Farbigen im Film, die ihr Fehlen erst verdeutlicht. Kommerziell stellt das damit einhergehende Ignorieren traditioneller Zielgruppen ein Wagnis dar; in künstlerisch-ethischer Hinsicht kann man Lees Verweigerungshaltung nur Hochachtung zollen. Abgesehen von einigen überflüssigen Manierismen (Blutfontänen zu Disco-Musik nutzen sich recht schnell ab) verkörpert „Summer of Sam“ ein authentisches Stück Autorenkino, das Perspektiven in viele Richtungen offen lässt. Der Film ist großartig besetzt, überzeugt durch stimmige Dramaturgie und plastische Charaktere. Wichtiger noch als diese handwerklichen Parameter erweist sich die Tatsache, dass sich Lee inhaltlich treu bleibt: Auch sein jüngster Film registriert fassungslos den latenten Faschismus aller Gemeinwesen, setzt dem jedoch unbeirrbar die Utopie der Toleranz entgegen.
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