François Ozons Kurzfilme

- | Frankreich 1994/95/96 | 26/15/67 Minuten

Regie: François Ozon

Drei Kurzfilme, die das Thema Sexualität als existenziellen menschlichen Lebensbereich untersuchen: Ein junger Mann mit Fotoleidenschaft leidet darunter, dass sein Vater ihn, wahrscheinlich wegen seiner Homosexualität, ignoriert ("La petite mort"). Ein junger Mann fährt mit seinem Freund in Urlaub, lernt ein Mädchen kennen und lässt sich auf ein Abenteuer ein, bei dem er seine Kleidung verliert ("La robe d'été"). Eine junge Mutter, die seit Tagen mit ihrem Säugling allein in ihrem Landhaus ist, lässt eine Herumtreiberin in ihrem Garten zelten; die sehr unterschiedlichen Frauen beginnen, sich füreinander zu interessieren, aber die Fremde ist unzugänglich und offenbar seelisch gestört ("Regarde la mer"). Außergewöhnliche Werke, in denen in langen Einstellungen die Psychologie und die vorsichtige Interaktion der Figuren meisterhaft beleuchtet werden. (O.m.d.U.)
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Filmdaten

Originaltitel
LA PETITE MORT | LA ROBE D'ETE | REGARDE LA MER
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1994/95/96
Produktionsfirma
Fidélité/Local Films
Regie
François Ozon
Buch
François Ozon · Didier Blasco
Kamera
Yorik Le Saux
Musik
Éric Neveux
Schnitt
Jeanne Moutard
Darsteller
François Delaire · Camille Japy · Frédéric Mangenot · Lucia Sanchez · Sasha Hails
Länge
26
15
67 Minuten
Kinostart
-

Diskussion
Bevor sich François Ozon an seinen ersten Kinofilm „Sitcom“ (fd 33 594) wagte, der bei aller Experimentierlust noch einige Schwächen im unbekümmerten Umgang mit seinen Kinovorbildern wie Chabrol und Buñuel offenbarte, hatte sich der junge französische Regisseur durch seine Kurzfilme als Meister der psychologischen Pretiosen ausgewiesen. Als eine Art „Ozon-Rolle“ kommen nun drei dieser Kurzfilme ins Kino, die sich mit Sexualität und ihren unterschiedlichen Ausprägungen und Festlegungen befassen. Die Filme sind jeweils von ganz unterschiedlicher Stimmung geprägt, aber sie alle zeigen die existenzielle Dimension des Sexuellen.

„La petite mort“ ist die Geschichte einer Selbstfindung mit dem Mittel der Fotografie. Der junge Martial leidet darunter, dass ihn der Vater zeitlebens ignoriert hat. Vielleicht, weil er dadurch seine Existenz an eine Art Abgrund transzendiert, besteht er darauf, dass sich die beiden immer nur im Moment des Orgasmus gegenseitig fotografieren, während des „kleinen Todes“. Als Martial von seiner Schwester erfährt, dass der Vater im Sterben liegt, fotografiert er auch ihn, heimlich und nackt. Es ist ein düsterer kleiner Film, der aber direkt ins Bewusstsein der Hauptfigur hineinführt, in seine Ängste, seine Begierden und seine Suche nach Erlösung. Ozon lässt sich grundsätzlich viel Zeit, er beobachtet die Figuren dabei, wie sie sich gegenseitig beobachten, versuchen einzuschätzen und vorsichtig bleiben. Dialoge kommen nie leicht zustande, sie sind das Ergebnis eines solchen Vortastens. Das gilt auch für die einzige heitere Geschichte dieser Auswahl: „La robe d’été“. Zwar steht auch hier ein homosexuelles Paar im Mittelpunkt, doch der eine der beiden scheint noch nicht ganz festgelegt zu sein. Er findet das Getanze seines Begleiters auf der Terrasse des Ferienapartments „tuntig“, und er lässt sich auf die Anmache eines Mädchens am Strand ein. Dabei kommen ihm allerdings seine Anziehsachen abhanden. Anders als bei Rohmer, der den Dialog unter jungen Leuten als selbstverständliches Mittel der Kommunikation auffasst, tun sich die Figuren bei Ozon schwerer, werden dafür aber manchmal mit Erkenntnis belohnt.

In der dritten Geschichte, „Regarde la mer“, ist es gerade das Unausgesprochene, Verdrängte, das schließlich in die Katastrophe führt. Ihre Einsamkeit verleitet eine junge Mutter dazu, einer Herumtreiberin das Zelten im Garten zu gestatten. Die Beschäftigung mit ihrer Tochter im Säuglingsalter füllt sie nicht aus, der Ehemann kehrt tagelang nicht von seiner Geschäftsreise zurück; also lädt sie das Mädchen zum Essen und Frischmachen ins Haus ein. Dieses aber ist ein harter Brocken, gezeichnet vom einsamen Herumziehen und ohne Anstand. Was in seinem Kopf vorgeht, erkennt die Mutter spätestens, als sie die düsteren Kritzeleien in seinem Tagebuch findet. Zu welchen Taten diese gepeinigte Seele aber fähig ist, vermag sie nicht vorauszusehen. Hier die bürgerliche Mutter in gesicherter, aber unerfüllter Existenz, dort die freiheitsliebende, aber asoziale Herumtreiberin – die Gegensätze ziehen sich an, bleiben aber unüberwindlich. Ozon inszeniert die Mutter immer wieder eingefasst in die Rahmen ihrer Wohnhausarchitektur und die Fremde als einen Eindringling, der dem latenten Freiheitsstreben der Mutter nicht entspricht. Mittels hochkonzentrierter Bilder inszeniert er das gegenseitige Herantasten, mit aufgehellten Gesichtern vor schwarzem Dunkel und mit Dialogen, die nur Fragen stellen - Antworten bleiben aus. Mit manchen Bildern geht Ozon bis an die Grenzen des Erträglichen (das Wesen der Fremden offenbart sich auch über ihren Umgang mit Exkrementen). Hier scheint er ausloten zu wollen, wie weit er gehen kann, versucht sich dafür aber nicht an pornografischen Bildern. Die drei Kurzfilme erscheinen zeitgleich mit Ozons Fassbinder-Verfilmung „Tropfen auf heiße Steine“ (fd 34602) und zeigen, in Ergänzung dazu, zu welchem Facettenreichtum der Regisseur imstande ist.
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