Dokumentarfilm | USA 2000 | 90 Minuten

Regie: James Benning

Zweiter Teil von James Bennings "California Trilogy". In 35 jeweils zweieinhalbminütigen Einstellungen porträtiert der kontemplativ-experimentelle Film den urbanen Großraum von Los Angeles als Leerstelle einer geisterhaften Anonymität. Er zeigt Fabriken, Straßen, Einkaufszentren, Gärten, Parks und den Strand von Malibu, wobei in den präzise kadrierten Bildern Menschen meist abwesend sind und auch die Natur lediglich ein Nischendasein fristet. Ein bestechendes, im klassischen Sinne gewiss nicht dokumentarisches Porträt der Stadt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LOS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
James Benning Prod.
Regie
James Benning
Buch
James Benning
Kamera
James Benning
Schnitt
James Benning
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Der Titel des Films weist auf eine Leerstelle hin. Das „Angeles“ fehlt – eine demonstrative Markierung, die James Bennings Position als subjektiver Beobachter und „Autor“ kenntlich macht, zum anderen aber auf eine Architektur der Abwesenheit vorgreift, die sein kontemplatives Porträt von Los Angeles auszeichnet. „Los“ ist der zweite Teil der so genannten „California Trilogy“. Nach „El Valley Centro“ (1999), einer Studie über die Spuren landwirtschaftlicher Massenproduktion, und vor „Sogobi“ (2001), den Benning in der kalifornischen Wildnis gedreht hat, richtet der experimentelle Filmemacher seinen Blick auf den Großraum Los Angeles. Benning organisiert seine Trilogie nach einer „Politik des Wassers“, wie er es nennt. Denn „Los“ beginnt mit einem Bild, das den Film mit seinem Vorgänger verknüpft. Es zeigt, wie Wasser aus dem Valley in die Metropole Los Angeles gepumpt wird; die letzte Einstellung des ersten Films ist deshalb mit der ersten von „Los“ identisch. Ebenso wie die anderen beiden Filme ist auch dieser in einer Abfolge von 35, jeweils zweieinhalbminütigen Einstellungen strukturiert, und wie bei allen Filmen von James Benning beinhaltet die Länge und Statik des Bildes eine intensive zeitliche Erfahrung. Die mathematische Präzision der Einstellung und Bildabfolge ist zunächst zwar eine autoritäre Setzung, doch sie ermöglicht dem Betrachter umso größere Freiheiten und Entscheidungsmöglichkeiten. So bleibt es ihm überlassen, wo das Zentrum des Bildes zu suchen und zu finden ist, und selbst das Abschweifen der Gedanken scheint willkommen zu sein. „Los“ zeigt u.a. Fabriken, Straßen, Sportplätze, einen Friedhof, einen Schlachthof, ein Einkaufszentrum in Koreatown, Gärten, Parks, das Meer am Strand von Malibu. Es sind vorwiegend Bilder von Arbeit und Infrastruktur, in denen Menschen jedoch abwesend sind. Eine Kolonne von Lastwagen kriecht schwerfällig eine Straße bergauf, Gabelstapler schieben Autowracks auf einem Schrottplatz hin und her, eine sechsspurige Autobahn in der Abenddämmerung. Selbst dann, wenn Benning so etwas wie sozialen Raum einfängt – Familien, die von Besuchen aus einem Gefängnis zurückkehren, Obdachlose auf der Straße, Yuppies in einem Geschäftsviertel –, wirken die Menschen darin anonym und wie Fremdkörper in ihrer Umgebung; eine nahezu geisterhafte Atmosphäre. Benning begreift den urbanen Raum wie eine Landschaft; Straßen, Kreuzungen und Gebäude fungieren als formale Elemente. Dabei wird der kinematografische Raum weniger nach geometrischen Aspekten strukturiert, also in Vertikalen, Horizontalen und Diagonalen (wie es etwa in „One Way Boogie Woogie“, 1977, der Fall war) fächert sich vielmehr in die Tiefe, entlang seiner Textur auf. So finden sich in „Los“ auffallend oft Bilder von Ansammlungen und räumlicher Enge: Autowrackteile auf einem Schrottplatz, dichtgedrängte Rinder in einem Gehege vor einem Schlachthof, eine Truppe von Polizisten in Alarmbereitschaft und natürlich immer wieder Autos, Autos und Autos. Die Natur ist hier ganz an den Rand gedrängt, führt ein Inseldasein. Ein Sportplatz, der gerade bewässert wird, mutet fast wie ein kleiner Garten Eden an, ein von Bäumen umsäumter Weg suggeriert für einen kurzen Augenblick beschauliche Ruhe, führt aber auf einen riesigen Parkplatz. Zuweilen werden sogar „Reste“ von Natur in den absurdesten Nischen genutzt, wie das Bild von Joggern auf einer begrünten Verkehrsinsel zeigt. Vieles in „Los“ findet außerhalb des Bildes statt. Einmal ruft ein Passant einem „unsichtbaren“ Adressaten zu: „What the fuck are you looking at?“ Der Betrachter ist jedoch vom Geschehen ausgeschlossen. Oder die Polizisten, die mit Helmen und Schlagstöcken in großer Anspannung warten – man glaubt einen herannahenden Demonstrationszug zu hören, doch auch darüber lässt sich keine Gewissheit verschaffen. „Los“ ist ein bestechend präzises Dokument der Stadt Los Angeles, ohne im klassischen Sinne dokumentarisch zu sein. Bennings Perspektive ist subjektiv, sie ist auf die geisterhafte Anonymität des urbanen Raums fokussiert, der von dem allgegenwärtigen Verkehr beherrscht wirkt. So ist das Rauschen, Brummen und Donnern der Autos und Lastwagen auch der tragende Sound des Films. Nur in der letzten Einstellung wird es von einem anderen Rauschen abgelöst – es ist das Rauschen des Meeres.
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